Verwunschenes Haus am Jakobsberg: Ehepaar lebt in der ehemaligen Gaststätte Pinselburg

Porta Westfalica-Hausberge. Dem Ziel nähert man sich im Auto am besten mit Schrittgeschwindigkeit, denn der Schwollmannsweg hat ruckelige Passagen. An einigen Stellen ist er so schmal, dass die Vorstellung von plötzlichem Begegnungsverkehr keine angenehme ist. Früher waren auf der knapp einen Kilometer langen Zufahrt sogar Busse unterwegs. Da war die Pinselburg noch ein beliebtes Ausflugsziel. Diese Zeit liegt mehr als 40 Jahre zurück, geblieben sind die malerische Aussicht - und das Ehepaar Rösch. "Jetzt im Frühjahr, wenn alles zu sprießen beginnt, ist es hier oben besonders schön", sagt Anita Rösch, während sie in der Küche Kaffee einschenkt. Gemeinsam mit ihrem Mann Siegfried lebt sie seit mehr als einem halben Jahrhundert auf dem Jakobsberg. Sie ist 79 Jahre alt, er 81. Allmählich bereiten sie sich auf den Abschied von ihrem abgelegenen Domizil vor, zumindest gedanklich. Es gibt Tage, da sinnieren sie über einen Verkauf, sagt Anita Rösch. An guten Tagen schieben sie den Gedanken wieder beiseite. Ein halbes Jahrhundert auf dem Berg lässt sich nicht so einfach in Umzugskisten packen. Die Röschs kamen 1970 aus dem Schaumburger Land, wo sie eine Diskothek betrieben hatten, an die Porta. Die Pinselburg stand damals zum Verkauf, die Röschs griffen zu und mussten zunächst reparieren und modernisieren. "Hier war vieles kaputt", sagt Anita Rösch. Von 1971 an bewirtete das Ehepaar zahllose Gäste. Diese erreichten mit Fahrzeugen über den Schwollmannsweg die Gaststätte oder kamen zu Fuß auf den steilen Wegen, die vom Bahnhof und der katholischen Kirche in den Berg führten. Die Besucher genossen nicht nur die Sicht auf Weser und Kaiser Wilhelm, sondern auch Suppe, Mettbrote und natürlich Kuchen, der aus dem Hausberger Café Hinz kam. Und im Winter wärmten sich Gäste gerne am heißen Sauerkirschwein von Getränke Nehrmann, erinnert sich Anita Rösch. Belebung des Tourismus auf Jakobsberg Zehn Jahre lang führten die Röschs das Lokal, das zuletzt "Forsthaus Zur Schönen Aussicht" hieß. Gastronomie gab es an dieser herausragenden Stelle bereits lange zuvor. Wie der Hausberge-Chronist Hans-Martin Polte berichtet, existierte vor dem Ersten Weltkrieg ein "Wirtshaus Zur Schönen Aussicht". Das einfache Gebäude aus Porta-Sandstein-Quadern war vermutlich Ende des 19. Jahrhunderts als Unterkunft für die damaligen Arbeiter im angrenzenden Steinbruch errichtet worden. Anfang des 20. Jahrhunderts kaufte die Stadt Hausberge das Grundstück und verpachtet die Gaststätte. An den folgenden Erweiterungen war auch maßgeblich der Eigentümer des Hausberger "Amtskellers", Ludwig Starke, beteiligt. Der langjährige Stadtverordnete habe schon damals eine Chance zur Belebung des Tourismus auf dem Jakobsberg gesehen, berichtet Polte. Nach dem Zweiten Weltkrieg verkaufte die Stadt ihre ungewöhnliche Immobilie an einen Spirituosenhändler. Mehrere Pächter folgten und entwickelten die "Pinselburg", wie sie meistens genannt wurde, in den fünfziger und sechziger Jahren zu einem beliebten Ausflugsziel. Der merkwürdige Name soll übrigens auf einen Kunstmaler zurückgehen, der dort früher mit einer Gastwirtin in eheähnlicher Gemeinschaft zusammenlebte. Gäste sollen den Maler als "Pinselquäler" bezeichnet haben, wodurch die Gaststätte zu ihrem Namen kam, der auch heute noch am Gebäude zu lesen ist. Mehr Freizeit-Konkurrenz in den Siebzigern Dachdeckermeister Siegfried Rösch baute von 1970 an die Gaststätte nach und nach um. Der Parkplatz wurde vergrößert, ein Spielplatz angelegt und die Zufahrt verbreitert. Die Außenanlagen wurden zum Teil überdacht, um praktisch bei jedem Wetter die Aussicht genießen zu können. Anita Rösch und ihre Mutter Mia Hennemann kümmerten sich täglich von 8 bis 22 Uhr um den Betrieb. "Das ist ein Liebhabergrundstück", sagt Anita Rösch. Die guten Jahre der Pinselburg endeten in den späten Siebzigern. Ungefähr zu dem Zeitpunkt, als der neue Fernsehturm gebaut wurde, sagt Anita Rösch. Die Gaststätte teilt das Schicksal vieler Ausflugslokale, die in einer zunehmend mobilen Gesellschaft mit immer mehr Freizeitangeboten konkurrierten. So stand in unmittelbarer Nähe des Fernsehturmes die Gaststätte Bismarckburg anderthalb Jahrzehnte leer, bevor die Ruine 2013 abgerissen wurde. Gastronomie, zumal in exponierter Lage, ist ohnehin ein schwieriges Geschäft. Familie Rösch hatte von Anfang an in einer Dachdeckerfirma ein zweites Standbein an der Pinselburg. Steiler Abhang und mitten im Wald Ihre beiden Kinder werden das alte Gebäude wohl nicht übernehmen, sagt Anita Rösch. Und da sie und ihr Mann die anfallenden Arbeiten ("Hier ist viel zu tun, zum Beispiel muss das Dach gemacht werden") nicht mehr allein erledigen können, ist ein Verkauf wahrscheinlich. Einzelne Anfragen habe es schon gegeben, doch die Preisvorstellungen hätten weit auseinander gelegen, sagt die 79-Jährige. "Das ist ein Liebhabergrundstück." Künftige Eigentümer müssten nicht nur solvent sein, sondern auch die Lage mitten im Wald am steilen Abhang mögen. Und sich beispielsweise damit arrangieren, den Müll selbst wegzubringen, weil dort oben keine Tonne abgeholt wird. "Und wenn mal Schnee liegt, dann bleibt man am besten ein, zwei Tage zu Hause und wartet ab." Beschwerlich sei es an der Pinselburg zuweilen, sagen die Röschs, aber einsam fühlten sie sich nicht. "Wir haben ja ein Auto." Sie wollen jetzt erst einmal aufräumen, im Laufe eines halben Jahrhunderts hat sich manches angesammelt, was auf dem 4.000 Quadratmeter großen Grundstück irgendwo hingeräumt wurde. Wo sie eines Tages wohnen werden? "Ich weiß es noch nicht", sagt Anita Rösch. Eine normale Wohnung mit Nachbarn gleich nebenan, das wäre eine große Umstellung und im Moment schwer vorstellbar. Auch, weil ihr dann der gewohnte Blick auf die Weser fehle und hinüber zum Denkmal. Mit dem Kaiser sind die Röschs seit einem halben Jahrhundert sozusagen auf Augenhöhe. Das sind die majestätischen Momente an der Pinselburg.

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