Unfall mit Güterzug: Wann werden die unbeschranken Bahnübergänge sicherer?

Petershagen-Döhren. Leuchtend grüne Markierungen sind alles, was vom Unfall am Samstag in Döhren noch zu sehen ist. Markiert hatten die Ermittler die letzte Lage des Unfallautos, auch jene Stelle, an der der Zusammenprall stattgefunden hatte. Noch sind einige Fragen offen: Warum genau kam es auf der wenig befahrenen Straße Auf dem Brame zum Crash? Wieso konnte die Fahrerin nicht mehr reagieren? Und wieso hat sie den von links herannahenden Güterzug übersehen? Die 70-Jährige liegt noch im Klinikum, sie war bislang nicht vernehmungsfähig, so die Polizei auf Anfrage des Mindener Tageblatts. Ungeachtet dessen steht fest, dass sie großes Glück gehabt hat. &bdquo;Das war eine Frage von 50 Zentimetern", sagte ein Feuerwehrmann, der am Samstag im Einsatz war. Gegen 6.50 Uhr hatte es den Zusammenstoß zwischen dem VW Tiguan der Seniorin und einem mit Autos beladenen Güterzug gegeben. Die Frau war zu diesem Zeitpunkt in Richtung B 482 unterwegs, durch die Kollision wurde ihr Wagen auf den angrenzenden Grünstreifen geschoben. Die Autofahrerin kam ins Krankenhaus, die Zugführerin (40) blieb unverletzt. Übergang wird wohl keine Schrank bekommen Der Übergang ist unbeschrankt und wird es wohl auch weiter bleiben. Die Absicherung einer Bahnstrecke sei verbindlich in der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) festgelegt, wie eine Bahnsprecherin auf MT-Anfrage sagte. Wörtlich: &bdquo;Die Sicherung hängt unter anderem von der Art der Bahnstrecke, der Geschwindigkeit des Zuges sowie der Verkehrsstärke auf der kreuzenden Straße ab." Sollen etwa Änderungen an bestehenden Anlagen vorgenommen werden, müssten Bahn, Bund und Straßenbaulastträger gemeinsam aktiv werden. Bei Änderungen würden dann auch die Kosten gedrittelt, hieß es von der Bahn, die den Unfall in Döhren ausdrücklich bedauert. Unmittelbar nach der Online-Berichterstattung auf mt.de setzte die Diskussion in den sozialen Medien ein. Daran, so Polizeisprecher Ralf Steinmeyer, beteilige sich die Polizei nicht. Erst recht nicht daran, ob eine 70-Jährige vielleicht schon zu alt fürs Autofahren sei. Eine solche Aussage hält Steinmeyer für eine Frechheit. Die Polizei spricht sich jedoch für die deutlichere Sicherung auch der bislang unbeschrankten Bahnübergänge aus – entweder per Lichtsignal oder Schranke. &bdquo;Wenn beides nicht geht", so Steinmeyer, &bdquo;muss man den Übergang komplett sperren." Elf Unfälle, zwei Tote und vier Schwerverletzte Zwischen Juni 2010 und Ende August 2019 habe es laut Polizei in Petershagen elf Unfälle an beschrankten und nicht beschrankten Bahnübergängen gegeben: Zwei Menschen verloren ihr Leben, vier Personen wurden schwer verletzt, vier leicht. Es gab vier Unfälle, bei denen es &bdquo;nur" Sachschaden gab. In die Statistik fällt auch ein weiterer Unfall auf der Straße Auf dem Brame: 2014 war hier ein Lkw mit einem Zug kollidiert, schwere Verletzungen gab es damals nicht. Das Streitthema unbeschrankter Bahnübergänge flammt seit Jahren immer wieder auf. In Petershagen wurde die Diskussion insbesondere 2014 laut, nachdem es im November zu einem tödlichen Unfall auf der Holzstraße in Frille gekommen war. Damals wurde der Caddy einer 48-Jährigen von einem Güterzug erfasst, die Frau starb noch am Unfallort, der 34-jährige Zugführer erlitt einen Schock. Die Anwohnergemeinschaft &bdquo;Die Brinker" hatte sich wenig später erneut an die Deutsche Bahn gewandt. &bdquo;Unser Ziel bleibt eine technische Sicherungsmaßnahme", so damals Gemeinschaftssprecher Henrik Prange, der unter anderem auf einen weiteren Unfall mit Todesfolge 2001 verwies. Für die Brinker stand es längst fest: Der unbeschrankte Bahnübergang in Frille ist ein Unfallschwerpunkt. Hingewiesen wurde auch auf die Nähe zu Grundschule und Bushaltestelle. Das alles ohne durchgreifenden Erfolg – bis heute ist der Übergang nicht durch Ampel oder Schranke gesichert. 38 Prozent ohne Sicherung, sagt die Deutsche Bahn Döhren und Frille sind keine Einzelfälle: Im vergangenen Jahr gab es im Gebiet der Deutschen Bahn 144 Unfälle an Bahnübergängen, 2017 waren es 157, 1995 sogar 603 Kollisionen. In den vergangenen Jahren seien bereits viele Bahnübergänge beseitigt worden, erläuterte die Bahnsprecherin. Ende 2017 gab es demnach noch 16.541 Kreuzungen zwischen Schiene und Straße, davon etwa 38 Prozent ohne technische Sicherung. Veränderungen sind nach jetziger Planung am Bahnübergang in Döhren nicht vorgesehen. Extrem wichtig, so die Bahn auch im Zusammenhang mit dem Unfall vom Samstag, sei jedoch das richtige Verhalten am Bahnübergang. Verwiesen wird dabei auf die seit über 15 Jahren laufende Präventionskampagne &bdquo;Sicher drüber", an der auch Polizei, Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und Unfallversicherer beteiligt sind. Die Ursachen für Bahnunfälle seien danach vielfältiger Natur: Dennoch zeigten Erfahrungen und statistische Auswertungen, dass im Schnitt mehr als 90 Prozent der Kollisionen wegen Unaufmerksamkeit, Leichtsinn oder Unkenntnis passieren. Vielen Autofahrern, Radlern und Fußgängern sei die Bedeutung des Andreaskreuzes und der Sicherungsanlagen am Bahnübergang oft nicht richtig bekannt. So habe fast ein Viertel von 2.500 bei einer Umfrage Befragten der Aussage zugestimmt, dass ein rotes Blinken am Bahnübergang dem Gelb der Ampel entspricht und ein Anhalten demnach nicht erforderlich sei. Das ist falsch. Scheinbare Sicherheit Kommentar von Oliver Plöger Schon wieder ein Unfall am unbeschrankten Bahnübergang, zum großen Glück ohne tödlichen Ausgang: Da gibt es – auch in Petershagen – andere Beispiele. Nicht nur jenes von 2014 aus Frille, bei dem eine 48-Jährige von einem Güterzug erfasst wurde und starb. Immer wieder weist die Bahn auf wenig befahrene Straßen hin, an denen keine Schranken errichtet werden, im gleichen Zug auf die – sicher lobenswerte – Aktion &bdquo;Sicher drüber", die auch an die Bedeutung der Andreaskreuze erinnert. Dennoch sollte es möglich sein, deutlichere Sicherungen als eben jene Kreuze anzubringen. Die Auswahlkriterien sollten neu definiert werden. Denn auch wenig befahrene Strecken führen zu Schulen und Kindergärten. Und wenn man das böse Argument der Kosten-Einsparung nimmt, dann ist es gar nicht so schlecht, dass Bahnübergänge als Gemeinschaftsaufgabe von Bahn, Bund und Kommune gesehen werden. Ein Bahnübergang mit Ampel oder (noch besser) mit Schranke ist die Investition allemal wert.

Meistgelesen