Dankbar für Organspende: Lebertransplantation rettet Mindener das Leben

Minden. Senad Rashitis neues Leben beginnt am 5. Mai 2024. An jenem Sonntag transplantieren Ärzte ihm in einer achtstündigen Operation eine fremde Leber. Der Mindener weiß, wie viel Glück er hatte: &bdquo;Es gibt viele, die diese Chance nicht bekommen.“ Mehr als 8.200 Menschen in Deutschland stehen derzeit auf einer Warteliste für ein Organ - aber nur 953 Personen haben laut Deutscher Stiftung Organtransplantation (DSO) vergangenes Jahr eines gespendet. Im Gegensatz zu vielen anderen dauert es bei ihm nur sieben Tage bis zum lebensrettenden Eingriff. Zu diesem Zeitpunkt liegt bereits eine lange, etwa zehn Jahre währende Krankheitsgeschichte hinter Rashiti: Mit Anfang 30 fühlt sich der Mindener oft schlecht, erschöpft, seine Gelenke schmerzen, die Blutwerte sind nicht in Ordnung. Im Krankenhaus wird schließlich die Autoimmunerkrankung Lupus bei ihm festgestellt. Das Immunsystem greift dabei körpereigene Zellen an, in Rashitis Fall die Leber. &bdquo;Sie wurde nach und nach geschädigt.“ Er wird zur Medizinischen Hochschule Hannover überwiesen, wo es auch ein Transplantationszentrum gibt. Mit Medikamenten hoffen die Ärzte, den Verlauf zu verlangsamen. &bdquo;Wir hatten das Gefühl, dass das reichen könnte“, sagt er. Das tut es aber nicht. Auch die Nieren arbeiten nicht mehr richtig Der Zustand des Mindeners verschlechtert sich zunehmend. Vor etwa vier Jahren lagert sich immer wieder Flüssigkeit in der Bauchhöhle ab. &bdquo;Das war ein Zeichen, dass die Leber nicht mehr richtig arbeitet“, erklärt er. Parallel entwickelt Rashiti eine primär sklerosierende Cholangitis (PSC), die Gallengänge in der Leber sind entzündet, die Galle staut sich. Das geht häufig einher mit einer chronischen Entzündung des Darms. Auch die Nieren arbeiten nicht mehr richtig. &bdquo;Ich war oft krank, hatte häufig Übelkeit.“ Seiner Tätigkeit als Staplerfahrer im Edeka-Lager in Lauenau kann er kaum noch nachgehen - zum Glück habe sein Arbeitgeber ihn in all der Zeit unterstützt, immer Verständnis für ihn gehabt, sagt Rashiti. Der Gedanke an eine Transplantation rückt näher. Während die einen auf ein Organ warten, gehen an anderer Stelle Menschen auf die Suche nach einem Spender. Jedes Krankenhaus, das Organe für eine Spende entnehmen darf, muss Transplantationsbeauftragte haben. Am Johannes-Wesling-Klinikum (JWK) gibt es zwei dafür geschulte Mitarbeiterinnen, eine davon ist Dr. Iris Barndt. Die Oberärztin ist Leiterin der Intensivstation in der Klinik für Kardiologie und Internistische Intensivmedizin. Sie und ihre Kollegin prüfen, ob jemand als Spender infrage kommt, und stellen den Kontakt zur DSO her. Sie ist in Deutschland für die Koordinaton der Organspenden verantwortlich. Das Gehirn muss seine Funktion eingestellt haben Leber, Herz und Niere etc. dürfen nur entnommen werden, wenn das Gehirn eines Patienten unwiederbringlich und vollständig seine Funktion eingestellt habe, erklärt Iris Barndt. Die Arbeit anderer Organe werde aber noch durch Geräte aufrechterhalten. &bdquo;Die Menschen sind bereits verstorben – eine Rettung ist nicht mehr möglich - egal, was wir tun“, macht die Intensivmedizinerin deutlich. Die Organe der Betroffenen dürfen zudem keine schweren Vorschädigungen haben, eine Krebserkrankung etwa wäre ein Ausschlusskriterium. Das Alter ist es hingegen erst mal nicht. In einigen anderen Ländern ist eine Transplantation übrigens rechtlich auch nach einem Herztod möglich. Erfüllt jemand die Kriterien, suchen Barndt oder ihre Kollegin zusammen mit Mitarbeitenden der DSO das Gespräch mit den Verwandten. In Deutschland müssen Menschen einer Organspende zu Lebzeiten aktiv zugestimmt haben, etwa mit einem entsprechenden Ausweis. Auf politischer Ebene wird derzeit aber diskutiert, die Widerspruchsregelung einzuführen: Demnach gilt jeder automatisch als potenzieller Spender, wenn er sich nicht dagegen ausgesprochen hat. Barndts Erfahrung ist, dass viele der Verstorbenen nichts zu dem Thema geregelt haben. Dann treffen Angehörige die Entscheidung für sie. &bdquo;Das ist ganz besonders schlimm, weil die sich ja in einer extremen Belastungssituation befinden.“ Oft würden Emotionen die Abwägung beeinflussen. Vergangenes Jahr konnten am JWK insgesamt nur neun Spender identifiziert werden, bei denen alle Kriterien – vom gesundheitlichen Zustand bis zur Zustimmung – passten, berichtet Iris Barndt weiter. Senad Rashitis Gesundheitszustand verschlechtert sich Anfang April 2024 rapide. Der 41-Jährige entwickelt extreme Wassereinlagerungen, Medikamente dagegen wirken zunächst nicht, dann verliert er binnen kurzer Zeit zehn Kilogramm Flüssigkeit. &bdquo;Daraufhin ist mein Kaliumwert lebensbedrohlich runtergegangen.“ Kalium ist wichtig für die Funktion von Nerven, Muskeln und Zellen, ein zu niedriger Wert kann zum Beispiel einen Herzstillstand zur Folge haben. Es wird eng für Rashiti. Sein Bruder bringt ihn ins Klinikum nach Hannover. Als nach drei Wochen keine Besserung eintritt, wird klar, dass er dringend eine neue Leber braucht. Nun kommt er auf die Warteliste für ein Spenderorgan. &bdquo;Wie lange kann ich noch leben?“, ist eine Frage, die er sich oft in dieser Zeit stellt. &bdquo;Ein Empfänger muss Organversagen haben, damit er auf die Transplantationsliste kommt. Das Organ muss irreversibel geschädigt sein“, erklärt Dr. Iris Barndt. Denn nur bei wenigen Organen wie Niere und Bauchspeicheldrüse könnten die Funktionen teilweise durch Geräte oder Medikamente ersetzt werden. Nach einer Woche, am 5. Mai, sei dann der Oberarzt in sein Zimmer gekommen. &bdquo;Wir haben eventuell ein Organ für Sie“, erinnert sich Senad Rashiti an dessen Worte. Nach ein paar Untersuchungen wird er auf der Warteliste auf &bdquo;T“ wie transplantabel und &bdquo;HU“ (High Urgency, zu Deutsch &bdquo;hochdringlich“) eingestellt. Lesen Sie auch: Angst vor der Organspende: Bielefelder Experten räumen mit Vorurteilen auf Wird am JWK ein Organspender gefunden und der Entnahme zugestimmt, muss es schnell gehen, erklärt Barndt die andere Seite. Ein Mitarbeiter der DSO komme dazu, über Eurotransplant würden die Wartelisten in acht europäischen Ländern nach einem passenden Empfänger abgesucht. Deutschland profitiert besonders davon: Es bekommt mehr Organe aus dem Ausland, als Menschen hier spenden, weiß Barndt. Der Empfänger muss Voraussetzungen erfüllen, zum aktuellen Zeitpunkt infektfrei sein, die Blutgruppe ist wichtig, sie muss nicht gleich, aber verträglich sein. Das Geschlecht spiele hingegen keine entscheidende Rolle, erklärt die Medizinerin. Sind die Voraussetzungen, dass der Empfänger das Organ gut annehmen wird, vorhanden, reist ein Entnahmeteam aus dem zuständigen Transplantationszentrum per Hubschrauber an. Die JWK-Mitarbeitenden unterstützen die Organentnahme, so Barndt. Schließlich wird das Spenderorgan zum Transplantationszentrum geflogen. Es können auch Spezialisten von unterschiedlichen Zentren anreisen, erklärt die Intensivmedizinerin. Lesen Sie auch: Ausweis, Register und Tattoo: Was Sie zur Organspende wissen müssen Senad Rashiti wird schließlich am 5. Mai von 19.30 bis 3 Uhr operiert. Als er auf der Intensivstation aufwacht, kann er zunächst nicht sprechen – er ist noch intubiert. Also streckt er die Daumen nach oben, erinnert er sich. &bdquo;Ich habe sofort einen Unterschied gemerkt.“ Es geht ihm besser, die Haut verliert den für Leberkranke typischen Gelbton, schon am nächsten Tag habe er aufstehen können und kaum Schmerzen gehabt. Sein Körper muss nun medikamentös eingestellt werden – sonst würde er das fremde Organ abstoßen. Einen Schockmoment gibt es, als die Blutwerte genau das innerhalb der ersten zwei Wochen anzeigen. &bdquo;Ich habe das gar nicht gemerkt.“ Etwa ein Drittel aller Patienten erleiden laut des Patientenverbands &bdquo;Lebertransplantierte Deutschland“ innerhalb der ersten drei Monate nach der Operation eine solche Abstoßungsreaktion. Sie sei in der Regel medikamentös gut zu beherrschen. Auch bei Senad Rashiti kann die Abstoßung mit einer hochdosierten Kortison-Therapie verhindert werden. Ihm habe das Angst gemacht, aber die Ärzte ermutigen ihn, dass alles gut gehen wird. Nach insgesamt sieben Wochen kann Rashiti, der zusammen mit seiner Mutter und Schwester in Dankersen wohnt, das Krankenhaus verlassen. &bdquo;Danach hat ein neues Leben für mich angefangen“, sagt er. &bdquo;Ich habe mich wie ein neuer Mensch gefühlt.“ Er macht eine Kur, kommt langsam auf die Beine. Mittlerweile geht es ihm wieder gut. Dass er das Organ eines anderen Menschen in sich trägt, wird ihn ein Leben lang begleiten. Daran erinnert ihn nicht nur die riesige Narbe, die quer über seinen Bauch verläuft, sondern auch ein täglicher Medikamentencocktail, der sein Immunsystem runterfährt – andernfalls würde es das fremde Organ abstoßen. Deshalb ist der 41-Jährige auch anfälliger für Krankheitserreger. Alle zwei Wochen muss er zur Blutkontrolle, ob er noch gut eingestellt ist. 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Minden-Lübbecke Natürlich hat der Mindener auch über den Menschen nachgedacht, von dem seine Leber stammt. &bdquo;Wer war diese Person?“ Der 41-Jährige würde das gerne wissen. Aber Spender und Empfänger sind und bleiben anonym. Rashiti ist dem oder der Unbekannten vor allem eines: &bdquo;Ich bin dankbar dafür, dass die Person gespendet hat.“ Dass mehr Menschen sich dafür entscheiden, wäre sein Wunsch. Er ist für die Widerspruchslösung. Rashitis Appell: Früh genug über Organspende Gedanken machen Die letzten zehn Jahre vor seiner Lebertransplantation bezeichnet Rashiti als &bdquo;kein schönes Leben“. Geholfen hat ihm seine Familie, vor allem seine kleinen Neffen hätten ihn in der schweren Zeit abgelenkt, berichtet er. Nun will er intensiver leben. &bdquo;Ich hatte zum Beispiel immer Panik zu reisen. Ich hatte Angst, dass etwas im Urlaub passieren könnte.“ Das will er nun nachholen. Senad Rashiti hat sich bis zu seiner eigenen Erkrankung nie mit dem Thema Organspende befasst. Heute appelliert er an andere, sich darüber Gedanken zu machen. Auch Dr. Iris Barndt rät frühzeitig dazu: &bdquo;Das entlastet auch die Angehörigen.“

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