Mit dem Fahrrad nach Ungarn, Griechenland und Gibraltar - und täglich ins Klinikum Minden

Minden/Bückeburg. Max Holz steckt mitten in einer kostspieligen Scheidung - und dann geht auch noch sein geliebter Bulli kaputt. &bdquo;Ich war blank und hatte kein Geld für die Werkstatt“, erinnert sich der 59-Jährige. Dennoch muss er von Bückeburg nach Minden zur Arbeit ins Klinikum kommen. Holz steigt aufs alte Rad seines Vaters. Er merkt, wie gut ihm das tut und dass er dadurch entspannter ist. Das war vor 25 Jahren - aus der Notlösung ist längst Routine geworden. Der Pfleger besitzt seitdem kein Auto mehr und ist bei Wind und Wetter jeden Tag auf dem Rad unterwegs. Sein Umstieg hat ihn auch in verschiedene Länder bis hin zum Orient gebracht und das Fernweh gestillt. An diesem Montag ist der Himmel grau, der Wind peitscht und Nieselregen erschwert die Sicht - insbesondere für Brillenträger wie Max Holz. Wie an jedem Werktag hat sich der 59-Jährige aufs Rad gesetzt. Bei dem aktuellen Wetter braucht der Bückeburger mit markantem Schnurrbart rund 45 Minuten für die 16 Kilometer bis zum Klinikum. Im Sommer auf dem Rennrad gelingt ihm das unter einer halben Stunde. Heute ist er wie sonst auch um 5.30 Uhr gestartet. Holz ist es egal, ob es regnet oder schneit, er hat keine Alternative für Ausreden und auf den öffentlichen Nahverkehr möchte er nicht setzen. &bdquo;Ich bin pünktlich um 6.30 Uhr bei der Frühschicht im Dialysezentrum“, hält Holz fest. Der Bückeburger sagt, dass er sich nach den Fahrten lebendig fühle, wenn er mit den Witterungen gekämpft habe. Spaß mache das nicht immer, im Hinterkopf bleibt jedoch, dass er auf der Arbeit oder zuhause wieder trocknen kann. Fahrradanhänger für Einkäufe und lange Touren Das Auto vermisst er nicht mehr und wenn er eins benötigt, dann leiht er es sich von Freunden. &bdquo;Ich hatte noch nie ein Problem ohne“, versichert er. Vielmehr hat Holz festgestellt, dass der Verkehr anstrengender geworden ist. &bdquo;Die Straßen und Autobahnen sind immer voller, das macht keinen Spaß mehr.“ Das bestätigen auch Zahlen des Portals Statista. Anfang 2024 waren rund 49,1 Millionen Fahrzeuge zugelassen, nie zuvor waren es mehr in Deutschland. Auch deswegen nutzt Holz für Einkäufe einen Fahrradanhänger und mit einem solchen war er schon auf langen Touren unterwegs. Nachdem er seinen Bulli irgendwann repariert und verkauft hatte, war das Rad auch sein Gefährte auf langen Ausflügen. Einer der ersten führte ihn nach Ungarn, dort umrundete er den Süßwassersee Balaton. Dafür hat er acht Tage gebraucht und weil er nicht liquide war, bei Stopps im Zelt geschlafen. Danach fuhr er mit dem Rad unter anderem bis nach Griechenland und zurück über Italien und die Alpen. Holz probierte sich immer wieder aus und testete sich, wie es Extremsportler gerne machen. So wollte er schauen, ob er es in vier Wochen von Gibraltar, wo seine Tante lebte, zurück nach Bückeburg schaffte. &bdquo;Im Prinzip war das eine gelungene Aktion, außer, dass ich mir das Höhenprofil von Spanien nicht so richtig angeguckt hatte.“ Mit den Steigungen hatte der Radfahrer zu kämpfen. Im Frühling hatte es damals geregnet, gestürmt und geschneit. Seine Kleidung wurde nie trocken, was ihn verzweifeln ließ. &bdquo;Das war alles ganz anders und nicht so, wie man sich die Strände von Marbella vorstellt.“ Holz hat es dennoch geschafft und hat noch Andorra mitgenommen. Es war allerdings eine Punktlandung, erst am letzten Urlaubstag war er wieder in Bückeburg und musste dafür nachts Extraschichten einlegen, blickt er zurück. Lesen Sie auch: Rentner will in 18 Monaten mit dem E-Bike 25.000 Kilometer durch Europa Vor dem Bürgerkrieg nach Syrien geradelt Diese Reise hat ihn motiviert, es folgten viele andere. Gerne erinnert er sich zurück an die Türkei-Reise, die ihn 2010 bis nach Syrien führte, ehe ein Jahr später der Bürgerkrieg ausbrach. &bdquo;Die Gastfreundschaft der Menschen dort ist unglaublich. Da sitzen welche an der Straße, winken dich heran und wollen bei einem Tee deine Geschichte hören.“ Holz hat im Orient eine andere Welt kennengelernt. Er war in Aleppo, traf dort den Vater eines Kollegen. Ein mulmiges Gefühl hatte er im türkisch-syrischen Grenzgebiet. &bdquo;Da war es düster und mehrere haben mich vor Schmugglern gewarnt.“ Von den Seefahrern hat er sich etwas abgeguckt und immer am Anhänger oben zwei Wimpel befestigt. Dort befand sich die deutsche Fahne und die des Landes, in dem er war. Irgendwann habe ihn ein Kurde angesprochen und ihm zu verstehen gegeben, dass es nicht klug sei, im Norden des Landes allein zu sein. Dessen Familie hat ihm Unterschlupf gewährt. Es kamen Nachbarn vorbei, er durfte duschen und bekam leckeres Essen. &bdquo;Alle aßen mit den Händen aus großen Schüsseln.“ Am Ende besorgten die Kurden dem Deutschen sogar Bier, das durfte bei der Herkunft ihres Gastes nicht fehlen. Von all diesen Erlebnissen berichtet Holz in einem Blog. Wenn Holz sich heute die Bilder vom zerstörten Aleppo anschaut und die Folgen des Krieges betrachtet, wird ihm ganz anders. &bdquo;Derjenige, der mich damals angesprochen hat, ist aus Syrien geflüchtet, er wohnt jetzt in Wien.“ Bei den anderen wisse er gar nicht, ob die noch leben. Denn bei der Schlacht um die Region um Kobanê gab es unter anderem einen Großangriff der IS-Milizen. 1.000 Kilometer in 24 Stunden auf dem Fahrrad Regelmäßig brachte Holz seinen Körper auch an die Grenzen der Belastbarkeit, etwa bei der italienischen Rad-Rundreise &bdquo;1001 Miglia“. &bdquo;Da bin ich 24 Stunden durchgefahren und irgendwann trampelt man einfach nur noch.“ Er schafft mehr als 1.000 Kilometer und braucht danach erst ein paar Bier, um wieder zur Ruhe zu kommen und in einen tiefen Schlaf zu fallen. Allein fühlt er sich nie bei den Touren. &bdquo;Man trifft häufig auf Gleichgesinnte und wenn es nicht miteinander klappt, kann man einfach die Bremse betätigen.“ Im Laufe der Jahre hat Holz nicht nur viel Geld gespart. Zwar besitzt er unterschiedliche Räder und sein aktuelles hat ihn auch um die 8.000 Euro gekostet. Ausgaben für Benzin, Reparaturen und Autokäufe hatte er keine und auch körperlich fühlt er sich fit, indem er jedes Jahr mindestens 15.000 Kilometer fährt. &bdquo;Von den vielen kalten Nächten schmerzen die Knochen vielleicht manchmal ein bisschen mehr, wenn es dann kühl wird“, so Holz. Bei seinen Blutwerten und dem Kreislauf würden die Ärzte aber nichts zu meckern haben. Verletzt hat er sich bislang nur zweimal schwerer: Einmal, als ihn ein Autofahrer in Minden nicht sah, er in den Wagen krachte und sich das Handgelenk brach. Ein anderes Mal, als er über einen Pfosten an der Glacisbrücke auf Kanzlers Weide stürzte. &bdquo;Den kannte ich zwar, aber ich war mit den Gedanken woanders.“ Da fiel er gleich mehrere Monate aus. Lesen Sie auch: OWL-Politiker fährt acht Stunden mit dem Rad nach Düsseldorf Stadt Minden nicht fahrradfreundlich Dass Autofahrer ihm nicht genügend Abstand gewähren, erlebt er häufig. &bdquo;Früher war ich zorniger, impulsiver und bin offensiver gefahren, das hat sich gewandelt“, sagt Holz, der die Stadt Minden nicht als sonderlich fahrradfreundlich empfindet. &bdquo;Sobald es um Radwege in einer gewachsenen Innenstadt geht, wird es schwierig.“ Alle würden ihre eigenen Interessen vertreten, Autofahrer, Radler und Fußgänger. &bdquo;Aber darum geht es nicht, in Minden gibt man sich zwar Mühe, das ist aber alles reaktiv.“ Problematisch findet er es zum Beispiel, dass von der Birne aus das Klinikum für Radfahrer nicht ausgezeichnet wird. Er kenne auch weitere problematische Stellen wie etwa am Kreisel in Dützen. &bdquo;Da haben sich schon mehrere Kollegen verletzt.“ Ein Dorn im Auge ist ihm auch der E-Bike-Hype. Seit 2019 hat sich die Zahl der elektrifizierten Fahrräder auf elf Millionen mehr als verdoppelt, so die Wirtschaftswoche. Holz sieht diesen Trend kritisch. Einerseits hat er Verständnis für Menschen, die körperlich eingeschränkt sind und einen Motor benötigen, um überhaupt fahren zu können. Andererseits bemerkt er inzwischen auch Menschen im Kindesalter, die damit bereits fahren. &bdquo;Da werde ich wahnsinnig, das ist für die Koordination und körperliche Entwicklung der Kinder absolutes Gift.“ Sie würden lieber am Schalter drehen, als ein bisschen mehr in die Pedale zu treten. Und noch eine Sache regt ihn auf, das sind die E-Roller-Nutzer. &bdquo;Die werfen diese Dinger überall hin und im Dunkeln sieht man sie nicht auf dem Fahrradweg.“ Deswegen wünscht er sich ein Verbot wie in Paris. Eine Freundschaft zwischen Max Holz und Fahrzeugen mit Motor wird es so schnell nicht mehr geben.

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