„Ich bin zum Sterben hier“: Mindenerin (54) spricht über ihr Leben im Hospiz

Minden. Zuhause sterben – eigentlich war das Andrea Beltes Plan. Einer von vielen, den sie wegen ihrer lebensverkürzenden Lebererkrankung letztlich aufgeben musste. Das Haus, die Treppen, der große Garten – es war dann doch zu viel. Am 8. Mai zog die Mindenerin im Hospiz ein. &bdquo;Ich bleibe zwei Tage, dann gehe ich wieder“, war ihre erste Reaktion. Zu groß war das Heimweh. Mittlerweile ist es Dezember, die 54-Jährige noch immer da und dankbar für die Fürsorge, die sie hier erfährt. Das Volker-Pardey-Haus gibt es seit 2019 in Minden, es wird von der Diakonie Stiftung Salem und Parisozial Minden-Lübbecke/Herford betrieben. Zwölf Gäste können hier ihre letzten Tage verbringen. Ihre Erkrankungen sind oft mit Schmerzen verbunden. Im Hospiz soll ihr Leiden gelindert, sollen Symptome wie Angst, Luftnot und Panik gemildert werden, berichtet Leiterin Claudia Dierkes. Der Tod ist zwar ganz nah: Er steht aber nicht im Mittelpunkt. &bdquo;Es geht hier vorrangig ums Leben“, sagt Dierkes. Und auch wenn die Stille, die im Haus herrscht, es nicht vermuten lässt, betont die Leiterin: Es werde viel gelacht, Scherze gehören dazu. &bdquo;Es wird getrauert, geweint und getröstet“, ergänzt Belte. Leben im Hospiz: Bewohner bleiben im Schnitt 21 Tage Im Schnitt bleiben Bewohner 21 Tage im Hospiz. Manchmal sind es aber auch nur ein paar Stunden: Die Menschen ziehen morgens ein, abends steht eine Kerze vor der Tür. Das Zeichen, dass ein Gast verstorben ist. &bdquo;Ich weiß nicht, wie viele Kerzen ich schon habe brennen sehen“, sagt Belte. Das ist für sie nicht einfach zu verkraften: Es gab Phasen, da wollte sie keine Freundschaften mehr hier schließen. Den neuen Nachbarn stelle sie sich aber trotzdem immer vor: &bdquo;Ich bin Andrea und wohne nebenan.“ Die Begegnungen zeigen ihr oft, dass es anderen noch schlimmer gehe, meint sie. Lesen Sie auch: In Herford entsteht das erste stationäre Hospiz im Kreis Dass Beltes Aufenthalt im Hospiz Monate dauern würde, war anfangs nicht klar. &bdquo;Als sie hier angekommen ist, dachte man, sie würde die nächsten 14 Tage nicht erleben“, erinnert sich Claudia Dierkes. Belte hatte starke Schmerzen, in jedem Bein hätten sich acht Liter Wasser eingelagert. Die Mindenerin wurde medikamentös neu eingestellt, bekommt nun Morphin und Beruhigungsmittel. Mit zusätzlicher Ruhe, festem Willen und Fürsorge des Teams ging es bergauf. &bdquo;Aber das kann schnell umschlagen“, sagt Dierkes. An guten Tagen ist die rothaarige Frau mit ihrem Rollator im Haus unterwegs, bekommt Besuch auch von Angehörigen ehemaliger Gäste. An schlechten zieht sie sich in ihr Zimmer im ersten Stock zurück. &bdquo;Wer schön sein will, muss lachen“ steht auf einem bunten Schild außen an ihrer Tür. Dahinter hat sie es sich weihnachtlich-gemütlich eingerichtet – die Gäste können Gegenstände von daheim mitbringen. Überall steht Deko, an ein Pflegezimmer erinnert hier nichts. Wenn Belte mal mehr Unterstützung braucht, wird sie sich von einigem trennen müssen. Mindenerin geht freiwillig ins Hospiz An besonders guten Tagen fährt die 54-Jährige in ihr Haus, schaut nach dem Rechten und bringt neue Erinnerungsstücke mit. &bdquo;Es fällt mir schwer, dort zu bleiben“, sagt sie. Hier sei sie frei gewesen. Die Erkrankung habe ihr alles genommen. Das Heimweh ist weiter groß, ebenso die Sehnsucht nach ihrem Hund. Für ihn hat sie vor ihrem Umzug eine neue Bleibe gesucht, die neuen Halter kommen oft mit ihm zu Besuch. Gerne hätte sie sich noch mehr Tiere angeschafft, zum Beispiel Hühner. Der Garten wäre groß genug gewesen. Mehr zum Thema: Bielefelder Hospizverein: &bdquo;Immer mehr Menschen wollen zuhause sterben“ Andrea Belte hat sich bewusst dafür entschieden, ins Hospiz zu gehen. Vor zwei Jahren bekam sie die Diagnose, dass ihre kaputte Leber über kurz oder lang ihr Leben beenden wird. Sie habe nicht mal geweint, erinnert sie sich. Wie lange sie noch hat – das wolle sie nicht wissen. Vor vier Jahren sei ihr Mann nach einem wochenlangen Aufenthalt im Krankenhaus verstorben. So wolle sie nicht enden, habe sie sich gesagt. Mit ihren beiden Töchtern habe sie sich deshalb das Volker-Pardey-Haus an der Marienburger Straße 10 angeschaut, sich auf eine Warteliste setzen lassen. Ihre Bedingung: Sie melde sich wieder, wenn sie so weit sei. Feststand für Andrea Belte: &bdquo;Man soll mich hier nicht reinschieben.“ Die Mitarbeitenden sollten sie so kennenlernen, wie sie ist. Im Gespräch wird deutlich, dass sie gerne lacht, schlagfertig ist und nicht um einen Spruch verlegen. Hospiz als Ort der Würde Auch wenn Sterben und Tod für viele Menschen Tabus seien, empfiehlt sie anderen: &bdquo;Man sollte sich früh genug informieren.“ Sie hat noch einige Zeit alleine zu Hause gewohnt, wurde vom Ambulanten Palliativnetz betreut. Dann kam der Tag X: Belte konnte die Treppen nicht mehr bewältigen. Da meldete sie sich wieder im Hospiz. Die Menschen kommen oft, wenn die Pflege zu Hause nicht mehr möglich ist. Die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden im Volker-Pardey-Haus fangen sie auf. &bdquo;Hier ist der Gast Chef“, sagt Claudia Dierkes. Er bestimmt zum Beispiel, was und wann er essen möchte. Andrea Belte macht sich auch gerne nachts nochmal die Rouladen vom Mittagessen warm. &bdquo;Wenn man essen kann, dann sollte man essen“, sagt die zierliche Frau. Der ganze Tagesrhythmus wird an die Vorlieben der Bewohner angepasst. Auch die Angehörigen werden umsorgt, Gespräche angeboten. Sie können mit einziehen, um in der verbleibenden Zeit ihren Liebsten nahezu sein. &bdquo;Sterben deluxe“ habe mal jemand zum Aufenthalt im Hospiz gesagt. Zwar gibt es keine Vorgaben, wie lange Gäste bleiben dürfen. Doch eine Kostenzusage von der Krankenkasse gelte immer nur für vier Wochen, berichtet Claudia Dierkes. Dann braucht es eine neue ärztliche Bescheinigung. Generell finanziert sich das Hospiz zu 95 Prozent über die Kranken- und Pflegekassen, den Rest – rund 200.000 Euro pro Jahr – muss die Einrichtung selber etwa über Spenden aufbringen. Belte geht davon aus, dass sie hier bis zum letzten Tag bleiben kann. Für sie ist es ein Ort der Würde und des Abschieds, der zu wenig Beachtung finde. Darum hat sie die Sache mit dem Artikel vorgeschlagen. &bdquo;Dann kann das MT mal über was Vernünftiges schreiben.“ Mindenerin geht Ende gefasst entgegen &bdquo;Ich bin zum Sterben hier“, sagt sie. Das so klar zu sehen, dagegen sträuben sich manche. Es ist schwerer, aus dem Leben zu gehen, wenn der Kopf noch nicht bereit ist, aber der Körper nicht mehr kann, hat Dierkes beobachtet. Und: &bdquo;Leute, die glauben, sterben ruhiger.“ Belte scheint ihrem Ende gefasst entgegenzugehen. Mit dem neuen Pastor, der regelmäßig ins Hospiz kommt, versteht sie sich gut. Dem habe sie gesagt, dass er ihre Trauerfeier halten dürfe. Ob sie an Gott glaubt? Sie sei nie eine Kirchgängerin gewesen, antwortet sie. &bdquo;Aber irgendwas nach dem Leben wird es schon geben.“ Und dann fügt sie noch an: &bdquo;Wir gehen alle unseren Weg, keiner kann davor weglaufen und alles sollte mit Würde und Achtung beendet werden. Hier werde ich es finden.“

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