Ein Jahr E-Scooter: Mehr Nutzer, mehr Unfälle und Beschwerden über geparkte Roller

Minden. An Menschen, die auf den E-Scootern durch die Stadt flitzen, hat man sich inzwischen gewöhnt. Die türkisen Leih-E-Scooter der Firma Tier gehören in Minden bereits zum Stadtbild. Im Juni des vergangenen Jahres ist die Firma gestartet und zieht nach einem Jahr ein positives Fazit. "Mit der bisherigen Bilanz in Minden sind wir weiterhin sehr zufrieden und freuen uns, dass unser Service so gut angenommen wird", berichtet Tier-Sprecherin Rieka Beer auf Anfrage des Mindener Tageblatts (MT). Seit dem Start vor einem Jahr haben laut Beer rund 11.000 Nutzer mehr als 100.000 Fahrten mit den E-Scootern in Minden unternommen. Insgesamt wurden in dem Jahr rund 31.500 Kilometer zurückgelegt. Zum Vergleich: Der Erdumfang beträgt circa 40.000 Kilometer. Inzwischen stehen 200 der Roller im Stadtgebiet, gestartet war der Anbieter mit 150 Fahrzeugen. Die Bereiche, in denen die Roller in Minden genutzt werden können, wurden bereits mehrmals um neue Gebiete – wie in der Nordstadt – ergänzt. Der Anbieter bemerkt eine steigende Nachfrage nach Mikromobilität in der Stadt, gerade jetzt im Sommer, sagt Beer. "Auf mehrfachen Wunsch der Stadt und der Einwohner haben wir deshalb das Geschäftsgebiet erweitert und unsere Flotte ausgebaut", erklärt die Sprecherin. Auffällig bleibt, viele Fahrten beginnen und enden in der Nähe des Mindener Bahnhofs. Die Kaiserstraße am Bahnhof sei die zweitbeliebteste Straße in Minden, mehr Roller sind nur auf dem Klausenwall unterwegs. Dass die E-Scooter im Bereich des Bahnhofs sehr viel genutzt werden, habe auch die Verwaltung der Stadt Minden beobachtet, sagt Stadt-Sprecherin Lewerenz auf MT-Anfrage. "Sie stellen dort eine gute Ergänzung dar, wo der ÖPNV nicht so stark ist, sowie in den Zeiten, wo Busse nicht fahren." Auch in den sozialen Netzwerken ist das der Tenor. Flexibilität ist laut einer Instagram-Umfrage des MT das, was Mindener an den Rollern schätzen. Wenn kein Bus fährt oder es schnell gehen muss, greifen viele zum Roller. Die Meinungen sind allerdings geteilt, viele Mindener kritisieren in Nachrichten an das MT auch die Parksituation. Parkverhalten weiter schlecht Bei dem Anbieter seien bislang nur sehr wenige Beschwerden über falsch geparkte E-Scooter in Minden eingegangen. Auf Instagram reagieren viele Mindener dagegen genervt auf die Parksituation. Sie kritisieren, dass die Roller die Gehwege blockieren, weil sie quer geparkt werden. Oft würden die Roller noch nicht einmal richtig abgestellt, sondern einfach auf den Wegen herumliegen. Besonders für ältere Menschen oder Menschen mit Sehbehinderung kann das gefährlich werden. "Die Parksituation ist schon wirklich schlecht und das sage ich, obwohl ich sie gern nutze", schreibt ein Mindener dem MT. Tier erklärt, dass der Lerneffekt der Nutzer mit der Zeit stetig zunehme und die Beschwerden eher abnehmen. "Allerdings bedarf es auch eines zeitnahen und flächendeckenden Auf- und Ausbaus der dringend benötigten Infrastruktur. Nur mit einer ausreichenden Anzahl an Abstellflächen für E-Scooter, Fahrräder und Lastenräder sowie gut ausgebauten Radwegen kann sich Mikromobilität optimal in den urbanen Mobilitätsmix einfügen und Konflikte mit anderen Verkehrsteilnehmern minimiert werden", sagt die Sprecherin. In anderen Städten gibt es einen Mix aus dem "Free-Floating-Prinzip", also dem freien Abstellen und Ausleihen, und festen Abstellflächen. Diese fehlen in Minden bisher. Besonders im Bereich des Bahnhofs fällt das auf. Im Bereich der Fußgänger-Unterführung, wo der Schwarze Weg in die Kaiserstraße mündet, stehen oft viele Roller kreuz und quer auf der Fahrbahn und dem Gehweg, weil dies der nächste Ort ist, an dem die Roller in Bahnhofsnähe abgestellt werden können. Der Bahnhofsvorplatz ist, wie auch das Glacis und Teile der Innenstadt, in der App rot markiert. Hier können keine Roller abgestellt werden. "Pläne der Stadt Minden, im Innenstadtbereich und an Verkehrsknotenpunkten feste Parkzonen einzurichten und damit E-Scootern mehr Platz außerhalb der Gehsteige einzuräumen, würden wir generell begrüßen", heißt es dazu vom Anbieter. Die Stadt Minden habe sich aber – "aufgrund der Reichweite bis in die Wohngebiete" – bewusst für das "Free-Floating-Prinzip" und nicht für feste Abstellplätze entschieden, stellt Stadt-Sprecherin Lewerenz klar. Es gebe zwar Beschwerden von Bürgern über falsch abgestellte Scooter, vor allem auf Geh- und Radwegen, aber die Zahl der Beschwerden halte sich – betrachtet man die Zahl der Scooter und die intensive Nutzung – "im Rahmen". "Widerrechtlich abgestellte Scooter (...) können schlecht geahndet werden, daher gab es im vergangenen Jahr auch keine verhängten Bußgelder. Weil ja nicht nur Nutzer hier als Verursacher in Frage kommen, sondern es können ja auch zufällig vorbeikommende Bürger die Scooter bewegen/ablegen", erklärt Lewerenz. Generell sei es eine geteilte Verantwortung der Anbieter, der Polizei und Behörden, für mehr Ordnung zu sorgen, sagt Tier-Sprecherin Beer. Zahl der Unfälle gestiegen Und wie bewertet die Polizei die Entwicklung, dass immer mehr E-Roller in Minden unterwegs sind? Die Polizei Minden-Lübbecke appelliert an die Fahrer, ihre E-Scooter ordnungsgemäß zu parken. "Das Abstellverhalten ist ein Ärgernis", sagt Sprecher Thomas Bensch deutlich. Im Vergleich zu 2021 ist die Zahl der Unfälle, an denen E-Roller beteiligt waren, gestiegen. Laut Bensch registrierte die Polizei im Jahr 2022 kreisweit 36 Unfälle mit E-Scootern, davon zehn in Minden. 2021 waren es kreisweit noch 17 Unfälle. Laut der polizeilichen Verkehrsunfallstatistik haben sich 2022 kreisweit insgesamt 23 Nutzer von &bdquo;Elektrokleinstfahrzeugen" (EKF), wie die Roller in der Polizeistatistik erfasst werden, bei den Unfällen verletzt. Der Polizeisprecher betont aber auch, dass dies keine bedrohliche Entwicklung sei. Mehr Nutzer bedeuten eben auch mehr Unfälle. Für dieses Jahr zeichnet sich bereits ein etwas höheres Niveau bei den Unfällen ab, sagt Bensch. Ob das aber Unfälle mit Tier-Scootern gewesen sind oder Unfälle mit privaten Rollern, lässt sich nicht nachvollziehen. "Bisher liegen uns keine Meldungen zu Unfällen mit unseren Scootern in Minden vor. Tatsächlich werden aber nicht alle Unfälle auch bei uns gemeldet, von kleineren Unfällen haben wir oft keine Kenntnis", sagt die Tier-Sprecherin. Es komme aber immer wieder vor, dass sich die Nutzer nicht an die Verkehrsregeln halten, sagt Bensch. E-Scooter dürfen nicht auf dem Gehweg fahren, stattdessen müssen Radwege genutzt werden. Sind diese nicht vorhanden, müssen Fahrer auf die Straße ausweichen. Bei Alkohol- und Drogenmissbrauch gelten die gleichen Regeln wie für Autofahrer. Roller landen in der Weser Tatsächlich sind einzelne Roller auch in der Weser gelandet. "Konkrete Zahlen gibt es nicht, aber der Großteil der in der Weser gelandeten E-Scooter konnte glücklicherweise sehr zeitnah von unserem lokalen Team geborgen werden", sagt Beer. In Köln wurden nach einem Bericht des WDR in den vergangenen zwei Jahren mehr als 100 Roller von Tauchern aus dem Rhein geborgen. Auch in anderen Städten sei das Versenken von E-Scootern in Gewässern ein Problem. Die Stadt Minden weiß von einem Roller, der in der Bastau gelandet ist. "Bei E-Scootern, die in Gewässer geworfen werden, handelt es sich in der Regel um gezielten Vandalismus. Wir gehen aktuell davon aus, dass weit weniger als ein Prozent aller E-Scooter solchen Straftaten und Vandalismus zum Opfer fallen", erklärt die Tier-Sprecherin. Was ist für die Zukunft geplant? Das Angebot ist im Juni 2022 mit einer sechsmonatigen Testphase gestartet. Im November wurde das Pilotprojekt um zwölf Monate verlängert. Der Anbieter Tier würde die Flotte gerne "entsprechend der Nachfrage und im Einklang mit der Stadt vergrößern oder um Räder erweitern." In anderen Städten bietet der Anbieter bereits Leih-E-Räder nach dem gleichen Prinzip wie die Roller an. Die Räder können dann ebenfalls in der App gebucht werden. Ob es dazu aber in Minden kommt, ist noch offen. Die Verwaltung der Stadt Minden werde nach den Sommerferien im Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt und Verkehr (KUV) ausführlich zu dem Projekt berichten, erläutert Stadt-Sprecherin Lewerenz. "Dann soll auch über die weitere Zukunft des Projekts diskutiert werden." Vieles – vor allem bezogen auf Sondernutzungen und erhobene Gebühren in anderen Kommunen – sei auch noch nicht abschließend rechtlich geklärt. "Die laufenden Verfahren und anstehenden Rechtsprechungen verfolgt der Bereich Recht, Sicherheit und Ordnung." Der Anbieter Tier wird aber womöglich in Zukunft seine Monopolstellung verlieren. Der Stadt Minden liegt eine unverbindliche Anfrage eines weiteren Anbieters vor. Auch das soll im KUV am 16. August behandelt werden.

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