Lösegeld gefordert: Kriminelle erpressen Mindener Firma

Minden. Es ist Donnerstagmorgen und nichts geht mehr. Die Computersysteme des Mindener Unternehmens versagen. Kein Mitarbeiter kommt mehr an eine einzige Datei. Kundendaten, Schriftsätze, Korrespondenzen, Dokumente, Listen, Verträge, Rechnungen – nichts lässt sich öffnen, niemand kann arbeiten. &bdquo;Blöd, aber sowas kann ja mal vorkommen", denkt sich einer der Geschäftsführer und kontaktiert die IT. Zunächst sieht alles nach einer schwerwiegenden Störung aus. Doch dann findet jemand in einem Ordner eine Textdatei. Inhalt: &bdquo;Wir haben alle Ihre Daten verschlüsselt. Zahlen Sie 200.000 Euro in Bitcoin." Schwere Erpressung Von dem Moment an ist klar: Es handelt sich um schwere Erpressung. Und schnell machen die Täter den Fall auch öffentlich. Auf einer Internetseite geben sie bekannt, &bdquo;sensible Daten" mit einem Volumen von 45 Gigabyte von den File-Servern des Unternehmens erbeutet zu haben. Als Belege veröffentlichen die Kriminellen interne Dokumente. Das soll offenbar den Zahlungsdruck erhöhen. &bdquo;Ramsomware", so nennen Fachleute es, wenn kriminelle Hacker in die IT-Systeme von Unternehmen eindringen und alle Daten verschlüsseln. Das passiert immer häufiger und es ist erstaunlich wenig darüber zu hören. Denn die Methode ist so perfide, dass Unternehmen vielfach keine andere Chance sehen, als Geld zu überweisen. Dann laufen die Fälle jenseits öffentlicher Aufmerksamkeit. Das Lösegeld fließt, die Daten werden wieder entschlüsselt. Es ist, als wäre nichts gewesen. Für die Unternehmen ist der finanzielle Schaden groß, das Geschäft für die Täter todsicher. &bdquo;Das ist für uns nur ein Geschäft. Wir haben absolut kein Interesse an euch, wir wollen nur profitieren", so steht es regelmäßig in den Erpressungsschreiben. Der Branchenverband Bitkom schätzt den Schaden, der allein in Deutschland im Jahr 2019 durch Ransomware-Attacken entstanden ist, auf mehr als zehn Milliarden Euro. Die amerikanische Bundespolizei FBI gibt die weltweiten Lösegeld-Zahlungen zwischen 2013 und 2019 mit 145 Milliarden Euro an. Relativ selten kommen konkrete Fälle ans Licht. Im Juli wurde bekannt, dass der bayerische Maschinenbauer Netzsch aufgrund eines Erpressungsfalls vorübergehend nicht produzieren konnte. Nur langsam kam das Unternehmen wieder in Gang. Eine Lösegeld-Überweisung wollte die Firma weder bestätigen noch dementieren. Im August wurde der Osnabrücker Kupferverarbeiter KME Ziel einer Attacke. Laut ARD-Recherchen überwies das Unternehmen 1,27 Millionen Euro, um wieder an seine Daten zu kommen. Größere Unternehmen eher betroffen Die Täter attackieren oft eher größere Unternehmen, denn dort ist mehr Finanzkraft zu erwarten. Der Fall aus Minden zeigt allerdings: Auch kleinere Firmen können ins Visier der Erpresser geraten. Die passen ihre Lösegeldforderungen offenbar der Größe an. 200.000 Euro wären machbar für das betroffene Mindener Unternehmen, das auch mit sensiblen Daten umgeht. &bdquo;Wir haben den Eindruck, dass wir sehr gezielt ausgewählt und angegriffen wurden", sagt der Geschäftsführer. Trotzdem fiel schnell die Entscheidung, kein Geld zu überweisen: &bdquo;Wir werden auf keinen Fall zahlen. Das alles ist zwar furchtbar, aber wir lassen uns nicht erpressen." Außerdem gebe es keinerlei Sicherheit, ob die Daten nach einer Zahlung tatsächlich entschlüsselt würden. Auch das Bundeskriminalamt (BKA) weist darauf hin, dass es keine Sicherheit gibt, dass die Erpresser im Falle einer Zahlung tatsächlich einen sogenannten Dekryptoren verschicken, mit dem sich die Daten entschlüsseln lassen. Meistens ist das allerdings der Fall. Ohne Verlässlichkeit würden die Kriminellen ihr eigenes Geschäftsmodell zerstören. Statt der Zahlung hat die Mindener Firma die Polizei verständig, Anzeige erstattet, alle Kunden informiert und über eine Cyber-Risk-Versicherung Experten in Gang gesetzt, die bei dem komplexen Thema nun beratend zur Seite stehen. Wie ist die Stimmungslage? &bdquo;Zwischen Verzweiflung und Wut." Die Polizei Minden-Lübbecke bestätigte auf MT-Anfrage, dass das Kriminalkommissariat 3 in dem Fall wegen Computersabotage, Erpressung und Ausspähung von Daten ermittelt. Die Aussichten auf einen Erfolg schätzt Sprecher Ralf Steinmeyer als eher gering ein: &bdquo;Täter, die mit Verschlüsselungstrojanern agieren, sitzen in der Regel im Ausland und wissen genau, wie sie ihre digitalen Spuren verwischen." Die Kriminellen würden sich diverser anonymer Server bedienen und so durch eine Art Schneeballsystem unerkannt bleiben. Sogenannte Daten-Forensiker nähmen derzeit eine Analyse der Rechner vor. &bdquo;Wir erhoffen uns hiervon Ermittlungsansätze", betont Steinmeyer. Die Forderung von 200.000 Euro in Bitcoins bewertet er als typisch für diese Art der Erpressung: &bdquo;Die Täter wägen sehr genau ab, was eine Firma zahlen kann und bei welcher Summe sie womöglich noch sagt: Der Schaden, nicht zu zahlen, wäre größer." Steinmeyer weist auf die Präventionsangebote der Polizei hin, die regelmäßig stattfinden und erklären, wie Firmen ihre Server vor Kriminellen schützen können. Mitarbeiter müssen bei fast bei null anfangen Der Mindener Firma hilft Prävention nun erstmal nicht weiter. Die Mitarbeiter müssen fast bei null anfangen – als hätte das Unternehmen seinen ersten Tag. Kundendaten müssen neu erfasst, Dokumente beschafft, Verträge erneuert werden. Eine riesige Aufgabe. Wäre es nicht möglich, die Dateien selbst entschlüsseln zu lassen? &bdquo;Das würde Jahre dauern und wäre unendlich teuer", sagt der Geschäftsführer. Sein Trost derzeit: &bdquo;Zum Glück sind die Reaktionen der Kunden positiv." Sie hätten ihn in seinem Kurs bestätigt, kein Lösegeld zu zahlen. Der Firmenleiter betont aber auch, dass so eine Situation für Unternehmen existenzbedrohend sein kann: &bdquo;Ein signifikanter Anteil der Erpressten geht in die Insolvenz." Transparenzhinweis: Auch der Verlag J.C.C. Bruns ist mittelbar von dem geschilderten Fall betroffen.

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