Minden. „Wenn die Gerichtsverhandlung beginnt dann fahre ich da nicht allein hin", sagt Heinrich Traue – und der 61-Jährige ist emotional sichtlich erschüttert. Hinter dem Mindener liegt ein mehrjähriges Martyrium: Ein Identitätsdieb hat unter seinem Namen eine beispiellose Serie von Betrugsdelikten begangen.
„Ich hätte nie geglaubt, dass sie den irgendwann noch einmal schnappen", so Traue. Denn seit vielen Monaten hatte er nichts neues mehr von den Ermittlungen der Gütersloher Polizei gehört. Die teilte ihm kürzlich und eher beiläufig mit, dass der Gesuchte in Untersuchungshaft sitzt. Ein DNA-Abgleich soll ihm zum Verhängnis geworden sein.
Päckchen mit nicht bestellter Ware
Es begann Ende November 2016. Ein Postbote lieferte an Traues Adresse ein unscheinbares Päckchen mit Herrenschuhen ab. Damals glaubte der Frührentner noch an ein Missverständnis und schickte die Sendung zurück. Doch kurze Zeit später trudelte die nächste Bestellung ein. Als er dann auch noch Rechnungen über Telefongebühren aus einem Gütersloher Krankenhaus sowie eine Behandlungskostenaufstellung aus Bielefeld erhielt, wuchs das Unbehagen.
Als Traue die Polizei einschaltete, war schnell klar, dass er Opfer eines Identitätsdiebstahls geworden war. „Irgendwann muss ich mit dem Menschen in einem Krankenhauszimmer gelegen haben, und dabei hat er sich die Daten meines Personalausweises kopiert, um unter meinem Namen Betrug zu begehen", meint der Mindener, der als Rheumatiker gelegentlich stationär behandelt werden muss.
Polizei findet keine Spur
Der Gütersloher Polizei aber fand trotz Zeugenbefragungen in den beteiligten Krankenhäusern keine Hinweise auf das Phantom. Und so verbrachte Traue unter Grauen die Vorweihnachtszeit 2016, weil nun der Postbote täglich Sendungen vorbeibrachte, die der Unbekannte an seine Mindener Adresse gelenkt hatte. Warum? Bis heute gibt es keine Erklärung.
2017 schlich sich das Phantom auf Kosten von Heinrich Traue als Notfallpatient in Wuppertal und Leverkusen ein, nahm als angeblicher Privatpatient Kost und Logis in Anspruch. Dabei bestellte er Waren aller Art, orderte Dienste über Sex-Hotlines oder versuchte, an Kredite zu gelangen. Trotz der eingeschalteten Polizei musste Traue immer wieder Mahnungen für all das abwehren, das der Täter bestellt hatte. Wegen des Identitätsdiebstahls speicherte ihn die Schufa als kreditunwürdig.
Familienurkunde bestellt
Besonders bizarr: Das Phantom hatte im Februar 2017 – offenbar mit der Absicht zu heiraten – in Standesämtern Traues Familienurkunden bestellt und versuchte anschließend, unter der Identität des damals 58-Jährigen auch noch den Führerschein zu machen. Rechnungen über entsprechende Leistungen kamen in Minden an.
Vor zwei Jahren ließen die Straftaten nach. Offenbar wurde der Täter krank - darauf deutet jedenfalls ein Untersuchungsbogen, der Traue erreichte. Diagnose: Vorhofflimmern, eine Nervenschädigung, ein Knochentumor. Zuletzt hatte sich Traue vor einem halben Jahr vergebens bei der Gütersloher Polizei nach dem Fortgang der Ermittlungen erkundigt.
Zufällig von Verhaftung erfahren
Erst vorige Woche erfuhr er von der Varhaftung - die offenbar schon Monate zurückliegt. Die Gütersloher Polizei fragte Heinrich Traue, ob er für einen Beitrag über seinen Fall in der Fernsehserie "XY ungelöst" zur Verfügung stehen wolle. Nebenbei stand in den Schreiben, dass der Täter überführt sei. „Als ich das gelesen hatte, ist mir ein Stein vom Herzen gefallen."
Laut Recherchen des Mindener Tageblatts hatte sich zuletzt die Staatsanwaltschaft Wuppertal mit dem Ermittlungsverfahren gegen den Tatverdächtigen befasst, der sich in der Justizvollzugsanstalt Remscheid in Untersuchungshaft befindet.
Das Amtsgericht Wuppertal hat inzwischen die Anklage zugelassen. Dessen Pressestelle erklärt, dass es sich bei dem Tatverdächtigen um einen 55-jährigen deutschen Staatsbürger handele. Er sei vor dem Schöffengericht wegen gewerbsmäßigen Betruges in sechs Fällen angeklagt. Der Hauptverhandlungstermin werde auf den 15. November, 9 Uhr, bestimmt.
Taten unter anderem in Bielefeld und Gütersloh
Bei den zu verhandelnden Straftaten berücksichtigt das Gericht die Erschleichung von Leistungen in den Krankenhäusern in Bielefeld, Gütersloh, Düsseldorf, Remscheid und Wuppertal. Dabei soll sich der Angeklagte teilweise als Selbstzahler ausgegeben und Krankenversicherungsschutz angegeben haben, der tatsächlich nicht bestanden haben soll.
Insgesamt sollen Leistungen im Wert von mehr als 11.000 Euro erbracht worden sein. Der Angeklagte soll von Anfang an weder willens noch in der Lage gewesen sein, die Leistungen zu bezahlen. Eine seiner letzten Handlungen spielte sich offenbar auf der eBay-Kleinanzeigen-Plattform ab. Dort verkaufte er vor einem Jahr eine Stichsäge zum Preis von 150 Euro – ohne die Ware zu liefern.
„Die ganze Sache war für mich eine psychische Belastungssituation", sagt Traue. Wenn er für einen Beitrag des Fernsehmagazins XY zur Verfügung stehe, dann nicht, weil er im Rampenlicht stehen wolle. „Ich möchte einfach nur warnen, damit es nicht anderen Menschen so geht wie mir."