Christof Jauernig sammelt mehr als 1.000 Glücksmomente - und bringt sie nach Lübbecke

Bevor Sie als multimedialer Erzähler begannen, haben Sie vor etwa zehn Jahren ihren Job als Analyst bei einer Unternehmensberatung hingeworfen. Eine glückliche Entscheidung rückblickend? Christof Jauernig: Definitiv. Es war eine ganz wichtige und richtige Entscheidung, weil mir damals deutlich wurde, dass ich in dieser Tätigkeit völlig fehl am Platz war. Am Ende fühlte sich das, was ich arbeitete, völlig sinnlos an und ich musste da einfach raus, obwohl ich zu dem Zeitpunkt gar nicht wusste, wie es für mich weitergeht. Ich hatte keinen Plan B. Die Entscheidung, aus meinem Beruf auszusteigen, hat sich aber vom ersten Moment an ganz tief empfunden, richtig angefühlt. Und deshalb fiel sie mir recht leicht. Das, was an die Stelle des Aufgegebenen getreten ist, hat sich dann erst im Laufe der Jahre entwickelt. Wie ging es für Sie weiter? Jauernig: Mein Leben hat dann eine unerwartete Wende genommen. Ich reiste sechs Monate mit dem Rucksack durch Südostasien, um mein Hamsterrad ausrollen zu lassen. Unterwegs habe ich viel aufgeschrieben und fotografiert, und nach meiner Reise hatte ich die Idee, über die Tour und meinen biografischen Umbruch in meiner Nachbarschaft eine Ausstellung zu machen. In der Vernissage erzählte ich meine Geschichte, projizierte meine Reisefotos und unterlegte das Ganze mit meinen eigenen Klavierimprovisationen. Die Resonanz war stark. Aus dieser als einmalig geplanten Veranstaltung wurde so schrittweise und völlig ungeplant meine neue Berufstätigkeit als multimedialer Erzähler. Wie kamen Sie auf die Idee, in 60 Städten die Glücksmomente von Menschen zu sammeln? Jauernig: Am Rande der Veranstaltungen wurden häufig Fragen gestellt, die sich um meinen Aufbruch und mein Glück drehten. Irgendwann habe ich mir die Frage gestellt, was denn eigentlich die Menschen glücklich macht, die da im Publikum vor mir sitzen. Das hat mich interessiert. Also habe ich begonnen, Zettel auf die Stühle zu legen, mit der Frage nach einem eigenen besonderen Glücksmoment. So fing es an. Am Ende kamen auf diese Weise mehr als 1.000 Zettel zusammen. Die Befragung war bis auf Beruf, Geschlecht, Alter und Wohnort anonym und so haben die Menschen sehr offenherzig geantwortet. Was ich dort gelesen habe, hat mich berührt, und es entstand die zweite Idee, diese gesammelten Glücksmomente zu den Menschen zurückzubringen. Zuerst mit der Veranstaltung &bdquo;Eintausendmal Lebensglück“, mit der ich auch in Lübbecke sein werde und später dann noch mit dem zugehörigen Buch. Welche Glücksmomente haben Sie bewegt? Jauernig: Die Veranstaltung enthält eine Auswahl von Antworten, die mich besonders berührt haben und mich auch noch immer berühren. Manche haben in einer sehr glücklichen Art und Weise mit dem Beruf zu tun. Ein Beispiel ist der Glücksmoment einer 58-jährigen Diätköchin aus Lübeck. Sie hat geschrieben, dass es ihr besonderer Glücksmoment sei, wenn sie zur Arbeit komme und 45 Kinder fragen, &bdquo;was es denn heute zu essen gibt?“. Eine 61-jährige Übersetzerin aus Oberhaching hat geschrieben, &bdquo;mein Glücksmoment ist, wenn meine Lieblings-Kaffeetasse im Schrank ist (also nicht in der Spülmaschine), wenn ich einen Kaffee trinken will“. Das Beispiel ist banal, aber es nicken immer ganz viele Menschen mit dem Kopf, wenn ich es nenne. Es zeigt, wie einfach manchmal das Glück im Alltag liegen kann, wenn man die besonderen Momente erstens erkennt und zweitens wertschätzen kann. Und dann gibt es die sehr innerlichen Antworten. Haben Sie auch dafür ein Beispiel? Jauernig: Sehr berührt hat mich die Antwort einer 79-Jährigen aus Schwetzingen. Sie hat geschrieben, dass sie glücklich ist, wenn sie durch den lichtdurchfluteten Friedwald zu ihrem dort bestatteten Mann wandert, weil sie weiß, dass sie wieder bei ihm sein wird. Die Liebe und die Freude dauern da über den Tod hinaus. Es sind überhaupt viele Antworten, an denen man erkennt, dass Glück manchmal stärker wertgeschätzt werden kann, wenn man einmal seine Kehrseite kennengelernt hat. Die Bewältigung einer Krise kann die hellen Momente umso strahlender erscheinen lassen. Nicht nur die Politik sagt, wir brauchen wieder Zuversicht. Warum fällt es uns eigentlich immer schwerer, im Alltag Glück zu empfinden? Jauernig: Man braucht nichts zu beschönigen. Die Weltlage ist schon eine geworden, die einem auf allen möglichen Ebenen Angst machen kann. Vorhersehbarkeit ist verloren gegangen. Das hat schon mit Corona angefangen. Die vermeintliche Sicherheit unserer Perspektiven wurde auf einmal infrage gestellt. Und es geht über verschiedenste Krisen weiter, den Klimawandel oder den Angriffskrieg der Russen in der Ukraine zum Beispiel. Dass man dabei die Glücksmomente aus den Augen verlieren kann, ist also nachvollziehbar. Es ist zudem unser hochgetakteter Alltag, der unseren Blick verengt, manchmal zulasten der Glücksmomente und schönen Dinge. Wie können sich die Menschen wieder glücklicher fühlen? Jauernig: Für mich war es wichtig, in einer Lebenssituation, die völlig in Schieflage geraten war, die Weichen grundsätzlich wieder richtigzustellen. Es müssen dabei gar nicht immer gleich radikale Änderungen sein, sie können auch klein sein oder schrittweise passieren. Ansonsten glaube ich, dass es gerade in solchen Krisenzeiten wie jetzt wichtig ist, sich so oft wie möglich zu erden, durchzuatmen und positive Momente, die es durchaus noch gibt, immer wieder in den Blick zu nehmen. Da gibt es unterschiedliche Strategien. Das kann eine Wanderung durch die Natur sein, andere machen Sport, um sich wieder mehr mit dem Erleben des Moments zu verbinden und nicht immer wieder in das Gedankenkarussell aus Ängsten abzudriften. Und das möchte ich mit der Veranstaltung erreichen: die Erinnerung an die Anwesenheit der täglichen kleinen Glücksmomente am Lebenswegesrand. Die gezeigten Glücksmomente anderer Menschen können helfen, sich auf die eigenen Kraftquellen zu besinnen. Deswegen fahre ich durchs Land, um das so breit wie möglich zu streuen. Die Veranstaltung in Lübbecke ist schon meine 131. Warum ist es Ihnen so wichtig, dass sich die Menschen glücklich fühlen? Reicht es nicht, wenn wir alle unsere alltägliche Arbeit und den Alltag bewältigen? Jauernig: Es geht gar nicht darum, sich ständig glücklich zu fühlen. Aber wenn der Stress und die Angst überhandnehmen, dann ist das nicht nur für jeden Einzelnen problematisch, sondern auch für ein ganzes Land. Gerade wenn es darum geht, in Krisenzeiten leistungsfähig zu bleiben, braucht es eben auch Kraftquellen. Ist jeder und jede in der Lage, Glücksmomente zu erkennen, oder brauchen wir manchmal jemanden, der uns an die Hand nimmt dafür? Jauernig: Unsere Biografien sind unterschiedlich herausfordernd und manchmal gibt es Lebenssituationen, in denen es Hilfe von außen braucht. Das war bei mir damals auch so, und ich habe mich in einem therapeutischen Prozess wiedergefunden. Das Leben kann also durchaus mal überfordernd sein. Aber trotzdem sind wir die Regisseure unserer Entscheidungen und können Prioritäten setzen. Ich glaube, das Bewusstsein, dass ich selbst oft wesentlichen Einfluss darauf haben kann, in welche Richtung mein Leben verläuft, ist wichtig. Welche Bedeutung haben andere Menschen für das eigene Glück? Jauernig: Neben der Natur als Kraftquelle war auch das Zusammensein mit Menschen wie Familie und Freunden ganz großes Thema bei den genannten Glücksmomenten. Das war dann ja auch während Corona das große Problem, dass die Kraftquelle, mit Menschen in Beziehung zu treten, eingeschränkt war. Fühlen sich die Menschen glücklich, wenn sie ihre Veranstaltung verlassen? Jauernig: Ich würde mir das wünschen. Zumindest für eine Weile - Glück kommt und geht und das ist auch überhaupt nicht schlimm. Die gute Nachricht ist ja, dass immer wieder ein neuer Glücksmoment um die Ecke kommen kann. Und das Erinnern auch an die eigenen persönlichen Glücksmomente, das funktioniert in dieser Veranstaltung schon recht gut, glaube ich. Es gibt auch Menschen, die sagen, &bdquo;oh, ich habe heute wieder erkannt, wie glücklich ich eigentlich doch bin, weil ich so viele dieser Momente für mich wiedererkannt habe.“ Und was macht Sie persönlich ganz besonders glücklich im Leben? Jauernig: Es gibt die große Zufriedenheitsebene und die kleine, alltägliche Ebene. Auf der großen Ebene, wenn ich sagen kann, dass ich ein Leben führe, mit dem ich mich im Einklang fühle. Das kann ich zum Glück heute sagen, wobei der Job, den ich jetzt mache, eine große Rolle spielt, weil er mir große Freude bereitet. Und im Kleinen berühren mich die alltäglichen Dinge, wie sie auch in den aufgeschriebenen Glücksmomenten vorkommen. Silvester war ich auf der Insel Amrum im Sturm. Im Einklang mit der Natur am Strand zu stehen und mich in den Wind zu lehnen, das sind Augenblicke, die mich glücklich machen. 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Minden-Lübbecke

Meistgelesen