Traditionsunternehmen in Lübbecke: Wie Gerlach die Fußpflege revolutionierte

Lübbecke. Nachdem wir in unserer Reihe &bdquo;Alte Lübbecker Marken“ die Brauerei Barre porträtiert haben, stellen wir heute eines der ältesten Lübbecker Unternehmen vor, die Firma Eduard Gerlach: Was vor mehr als 150 Jahren mit der Entwicklung von Mitteln gegen Fußprobleme begann und vor 138 Jahren der ersten Fußpflegecreme für die häusliche Anwendung zu großem Markterfolg verhalf, hat Gehwol zu einer der bekanntesten Fußpflegemarke in Deutschland gemacht. Und auch zu einem gefragten Arbeitgeber im Lübbecker Land. Wir befinden uns im Jahr 1868, inmitten des industriellen Zeitalters, als der studierte Drogist Eduard Gerlach von seinem Vater das traditionsreiche Kolonialwarengeschäft übernahm und dem Unternehmen ein neues Geschäftsfeld hinzufügte – eine Drogerie. Es war seinerzeit die Erste im Kreisgebiet rund um Lübbecke. Fußpflege war zu jener Zeit noch nicht das Kerngeschäft, sollte es aber bald werden. Denn Gerlach erkannte die Zeichen der Zeit: Gute, bequeme Lederschuhe waren noch kein Produkt für den Durchschnittsbürger, der als Fabrikarbeiter oder Landarbeiter einer extremen Belastung ausgesetzt war. Gerlach wusste das, hatte er doch als Soldat an den Kriegen seiner Zeit teilnehmen müssen und erfahren, wie unangenehm schmerzhaft das Wund- und Blasenlaufen sein kann. Diese persönliche Erfahrung verband er mit seinen Fähigkeiten als Drogist. 1882 brachte er unter dem Namen &bdquo;E. Gerlach’s Praeservativ Cream“ eine der weltweit ersten industriell hergestellten Fußpflegecremes auf den Markt. Vom Pottaschebad zur Fußpflegecreme Gerlach wusste, dass Fußbeschwerden gewöhnlich in einem Bad mit einer Lösung aus Holzasche gelindert wurden. Das Fußbad war für seine hornhauterweichende und wundheilende Wirkung bekannt, hatte aber den Nachteil, dass es während der damals üblichen langen Märsche kaum angewendet werden konnte. Deshalb suchte Eduard Gerlach nach einer leicht und überall anwendbaren Zubereitungsform mit vergleichbarer Wirkung. Es gelang ihm, eine Schutzcreme zu schaffen und in konstant hoher Qualität zu produzieren, die das bekannte Fußbad und seine vorbeugenden Eigenschaften weit übertraf. Die aus ungesättigten Fettsäuren, medizinischer Spezialseife und mineralischen Gleitmitteln bereitete &bdquo;Praeservativ Cream“ wurde mit desinfizierenden und desodorierenden ätherischen Ölen versetzt. Die Fußpflege als häusliche Maßnahme zur Vorbeugung von Fußleiden war mit diesem Pionierakt geboren. Das mit zahlreichen internationalen Auszeichnungen geehrte Produkt leitete eine neue Ära ein: Fußpflege wurde für breite Schichten der Bevölkerung erschwinglich. Gerlach schuf damit die Voraussetzungen für das Entstehen eines allgemeinen Bewusstseins für Fußpflege in allen Schichten der Gesellschaft – und Lübbecke wurde Nabel der Fußpflegewelt. Auch interessant: Chef eines Lübbecker Familienunternehmen für Lebenswerk geehrt Ein wahrer &bdquo;Dauerbrenner“ und tragende Säule für das Unternehmen sind die verschiedenen Fußpflegeprodukte. Begonnen hat es mit &bdquo;Gerlach´s Praeservativ Cream“. Auf der Verpackung hieß es vielsagend: &bdquo;Patentamtlich geschützt. Chemisches Produkt, unentbehrliches Toilettemittel – sicherer Schutz gegen Brennen, Wund- und Durchgehen der Füsse, Hautreiz, Wolfgehen. Durchreiten, Schweissfuss und dessen Folgen. Insektenstich, Hühneraugen- und Zehenschmerzen, sowie Geschirr- und Satteldruck bei Pferden.“ Rezeptur gegen Kopfläuse Dazu: &bdquo;Desinfizierend, abhärtend, mechanisch wirkend.“ Für die damalige Zeit tatsächlich eine kleine Sensation. Eine viertel Büchse kostete 25 Pfennig, eine halbe 40 Pfennig und eine ganze Büchse 75 Pfennig. Die Fußcremes wurden stets weiterentwickelt. Einmal mit kühlendem, einmal mit wärmendem Effekt. 1952 kam &bdquo;Gehwol Balsam“ in der Tube hinzu. Heute geht die Produktpalette bis zur edlen &bdquo;Softcreme mit Hyaluron“. Ein geschickter Schachzug war es, bereits 1917 die Marke und Rezeptur &bdquo;Goldgeist“ von der Firma Rademacher & Co. in Siegburg zu kaufen. Die Rezeptur gegen Kopfläuse &bdquo;und anderes Ungeziefer“ bewährte sich in unzähligen Anwendungen nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Soldaten im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Auch heute noch ist das vom Lübbecker Chemiker Ernst-Rolf Detert entwickelte Goldgeist eines der erfolgreichsten und meistverkauften Anti-Läuse-Mittel auf dem Markt. Der natürliche Wirkstoff (Pyrethrum) kommt aus der Chrysantheme. Zum Thema: Wieder mehr Läuse in OWL – das sind die größten Fehler bei der Bekämpfung Vor fast 70 Jahren wurde Commendatore Ludovico Gobbi der Alleinvertrieb der bei Gerlach entwickelten Pflanzenwuchsstoffe in Italien übertragen. Heute gehört die L. Gobbi S.R.L. vollständig zu Gerlach und produziert weiterhin erfolgreich Pflanzenwuchsstoffe. Erst 2024 wurde eine zweite italienische Tochtergesellschaft gegründet, die Green Biologicals, die innovative und hochmoderne biotechnologische Lösungen in der Agrar- und Umweltbiotechnologielandschaft entwickelt. &bdquo;Völkertropfen“ wurde auch gegen Seekrankheit genutzt Folgende Präparate wurden im Laufe der Jahre entwickelt: &bdquo;Keim-ex zur Verhütung der Auskeimung eingelagerter Kartoffeln, &bdquo;Obsthormon 24a“ zur Verhütung des vorzeitigen Fruchtfalls, &bdquo;Pflanzenwuchsstoff 36c“ zur Reifebeschleunigung von Tomaten, &bdquo;Wuchsstoff 66f zur Anregung des Pflanzenwachstums“. Für Pflanzenstecklinge hatte Gerlach das &bdquo;Germon Bewurzelungspuder“, ein hormonhaltiges Produkt für die Blattdüngung, &bdquo;Geramid“ für die Blütenausdünnung im Obstbau und Spezialwuchsstoffe für die Rebenanzucht. Chefchemiker Detert war für die Entwicklung, die schwerpunktmäßig in den 1950er-Jahren stattfand, verantwortlich. Wohlgemerkt: Es werden keine umweltschädlichen Pestizide hergestellt. Die &bdquo;Völkertropfen“ werden schon lange nicht mehr produziert. Dennoch werden sie auch heute noch von einem Mitarbeiter der Firma rezeptgetreu nachgebraut. Meist steht eine Flasche in der Firma und erfreut auch heute noch manchen Gast des Unternehmens. Die gedruckte Gerlach-Chronik, die einst von Stadtarchivar Helmut Hüffmann erstellt wurde, gibt weiter Auskunft: Seit 1880 wurde für diesen Magenbitter geworben, der &bdquo;mit Erfolg als Katertropfen bei Katzenjammer anzuwenden“ war. Völkertropfen waren außerdem bei Auswanderern, die die Seekrankheit fürchteten, zu empfehlen, ebenso bei &bdquo;Reisenden bei strapaziösen Touren“. Selbst Puddingpulver wurde einmal in Lübbecke hergestellt. Laut Gerlach war es ein echter Verkaufsschlager zu der damaligen Zeit und in den USA während der Prohibition in den 1920er-Jahren ein viel verkaufter Artikel. Nicht zuletzt, weil jeder Packung ein kleines Fläschchen Rum beigepackt war. Nach der Prohibition brach der Markt für Gerlach weg. Waldblumenduft aus dem Wiehengebirge Efesol ist eine alte, auch heute noch eine existierende Marke, ursprünglich entwickelt durch die Deutsche Efesol Gesellschaft in Bremen, die Gerlach 1926 kaufte. Den weltweiten Kunden wurde Efesol bekannt gemacht als Intensivreinigungsmittel für Stahl-, Hartmetall- und Diamantbohrer und -fräser. Diese Schleifgeräte sind unentbehrliche Handwerkszeuge der Fußpfleger und müssen stets mit Efesol sauber gehalten werden. 1928 kam erstmals ein flüssiges Fußpflegeprodukt auf den Markt: &bdquo;Gehwol-Flüssig“. Zur gleichen Zeit entstand &bdquo;Gerlasan“, ein Körperdeodorant mit erstaunlicher Wirkung. Jeder Berufsstand hat seine Geheimnisse. Ganz besonders geheim sind die Rezepturen der Parfümeure. Der &bdquo;Lübbecker Waldblumenduft“ sei ein &bdquo;Frühlings-Blumengruß und Liebling der Damenwelt für Promenaden, Salons, Theater und Bälle“. Aber auch ein &bdquo;andauerndes Parfüm für Wäsche“. &bdquo;Ein Räuchermittel auf heissen Platten und zum Besprengen, sowie ein Zusatz für Waschwasser und Bäder“ – sowie das &bdquo;angenehmste Desinfektionsmittel für Krankenzimmer“. Serie Alte Marken: Louis Barre war Braupionier der kleinen Stadt Dem &bdquo;Lübbecker Waldblumenduft“ wurde sogar ein eigenes Gedicht gewidmet. Es enthält zwar blumige Worte, aber keinen Hinweis auf die Rezeptur. Da heißt es: &bdquo;(.) Und was am linden Sommer-Abend erhorcht ich unbemerkter Weis´. Hier findest zart und würzig laben den Waldduft Du, der Düfte Preis. Die Firma E. G. hat´s verstanden, zu binden fein der Blumen Hauch, ()“. Der Duft ist schon lange nicht mehr im Programm. Exporte in über 50 Länder Auf der Angebotsliste von 1885 standen heutzutage etwas seltsam anmutende Produkte. In der Chronik heißt es: &bdquo;. . . dazu gehörten Medizinalweine wie der ,Export Liqueur Ueber Land und Meer’, Haarfarbenwiederhersteller, Eau contre colique (Mittel gegen Kolik bei Pferden, anwendbar auch bei Rindvieh), Wäscheglanz, Bleichextrakt (gemeint ist ein Zusatz für das Besprengen der auf einer Bleiche ausgelegten Fläche), Fleckenseife, Fleckenwasser, Waschpulver, Fliegenleim, Husten-, Freß- und Milchpulver für Rindvieh, Mäuseweizen, Mottenpulver und Lebertran.“ Bekannt wurde auch der &bdquo;Ungarische Brust-Trauben Syrup“, sein Geschmack erinnerte an einen Tokayer. Er wurde als &bdquo;schleimlösend, gegen Halsschmerzen und Magenkatarrh“ angepriesen und kam 1875 auf den Markt. Heute wird in über 50 Länder exportiert, der jährliche Umsatz beträgt 45 Millionen Euro. 160 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten für Gerlach, viele schon seit langen Jahren. Geschäftsführer ist Timor Gerlach-von Waldt-hausen. Seit drei Jahren hat Gerlach seinen neuen Firmensitz im Lübbecker Industriegebiet Nordost. 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Minden-Lübbecke

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