Was ein schwules Paar in Lübbecke erlebt

Lübbecke. Jugendliche, die im eigenen Garten eine Regenbogenflagge verbrennen, Polizisten, die unangebrachte Kommentare abgeben und Hassnachrichten im Netz: Das gehört zum Alltag von Sven Brauer (42) und Daniel Weigel (38). Beide leben seit vielen Jahren in Lübbecke. Für queere Menschen, sagen die beiden Homosexuellen, gebe es nicht genug Unterstützung. Viele würden sich auch jetzt noch verstecken. &bdquo;Die queere Gemeinschaft ist hier auf dem Land eigentlich genauso wie in der Großstadt, nur eben versteckter. Hier lebt man nicht nach außen hin”, sagt Sven Brauer. Queer sein – für ihn und seinen Partner Daniel Weigel ist das auf dem Land immer noch ein Tabuthema. Und das, obwohl 2021 zum Beispiel durch den Regenbogenflaggen-Eklat während der Fußball-EM, Themen rund um die Akzeptanz von queeren Menschen mehr denn je in den Fokus gerückt sind. 2021 hat sich etwas verändert Doch gerade aufgrund der erhöhten Aufmerksamkeit gebe es auch mehr Hass, sagt Daniel Weigel. Er habe das Gefühl, dass sich einiges wieder zurückentwickelt. Das sagt auch Sven Brauer: &bdquo;Ich merke, wie queere Menschen sich wieder zurücknehmen. Viele machen das aus Angst. Hasskommentare werden überall mehr, und es wurden Hunderte von Regenbogenflaggen verbrannt.“ Gerade auf dem Land sei das ein Problem: &bdquo;Hier wohnt man in kleinen Siedlungen. Jeder kennt jeden.“ Er lebe seine Sexualität ganz offen, sagt Sven Brauer. Mit Regenbogen-Armband und passendem Pin an der Jacke. Bisher sei das nicht groß aufgefallen. Doch seit vergangenem Jahr sei das anders.Auch persönlich sind Weigel und Brauer Ziel von Anfeindungen geworden. Das eine Mal, als eine Gruppe Jugendlicher am hellichten Tag plötzlich in Sven Brauers Vorgarten steht, seine Regenbogenflagge abreißt und verbrennt. Dann in Bielefeld vor einem Geschäft, als drei junge Männer Sven als &bdquo;Schwuchtel” bezeichnen und aggressiv auf ihn zugehen.»Pfeift ihr Männern hinterher?« Dann ist da noch die Nacht, in der die beiden einen betrunkenen Freund in Lübbecke nach Hause bringen und von der Polizei angehalten werden. Die Beamten fragen: &bdquo;Pfeift ihr Männern hinterher?” Als Sven und Daniel sich erkundigen, was die Frage soll, erwähnen die Polizisten die Ausnüchterungszelle. Wenn dann auch noch die Lübbecker Verwaltung am 17. Mai die Sinnhaftigkeit einer Regenbogenflagge zum Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie vor dem Rathaus hinterfrage, treffe einen das, sagt Brauer. Dass die Anzahl der registrierten Fälle von Hasskriminalität gegenüber queeren Menschen steigt, bestätigt Markus Ulrich. Er ist Pressesprecher des Bürgerrechtsverbandes Lesben- und Schwulenverband e. V. (LSVD). &bdquo;Das kann ein Hinweis sein, dass real mehr passiert. Aber auch, dass mehr angezeigt wird”, sagt er. Ulrich bestätigt, dass das Unsicherheitsgefühl queerer Menschen in der Gesellschaft stärker werde und vor allem der Hass im Netz zunehme. Das liege an der zunehmenden Polarisierung: &bdquo;Auf der einen Seite bekommen wir viel Zuspruch, auf der anderen radikalisieren sich Gruppen gegen uns.“ »Gruppen radikalisieren sich« Beim Thema Hasskriminalität sei die Polizei gegenüber queeren Menschen nicht immer der Freund und Helfer. Das Problem dabei: &bdquo;Hat jemand eine schlechte Erfahrung mit der Polizei gemacht, steigt die Angst, nicht mehr ernst genommen zu werden”, sagt Ulrich. Er wünsche sich, dass es bei der Polizei mehr Ansprechpartner für queere Menschen gebe – mehr Sensibilität. Und nicht nur ehrenamtlich: &bdquo;Das muss jemand sein, der auch von den anderen Kollegen ernst genommen wird.” Um der wachsenden Unsicherheit queerer Menschen entgegenzuwirken, sagen Brauer und Weigel, müsse es auch in ländlichen Kommunen wie Lübbecke viel mehr Schutzräume für queere Menschen geben. Gerade für Jugendliche wünschen sie sich offene Gruppen und Treffpunkte, so wie den &bdquo;Queeren Treff“ im Jugendcafé Ilex in Hüllhorst. Auch eine leicht zu erreichende Beratungsstelle gebe es bisher nur in Bielefeld und Minden. &bdquo;Ich weiß ja, wie belastend das alles sein kann als Jugendlicher und wie wichtig solche Räume sind. In der Großstadt, in der ich aufgewachsen bin, da gab es Treffpunkte. Hier ist aber nichts”, sagt Sven Brauer. Fehlende Akzeptanz der Familie Wichtig seien solche Schutzräume auch, weil queere Kinder und Jugendliche oft innerhalb ihrer Familien nicht akzeptiert würden. Das weiß Daniel Weigel aus eigener Erfahrung: &bdquo;In Stendal, meiner Heimatstadt, wussten es alle meine Freunde. Doch mit meiner Familie war es schwierig. Mein Vater akzeptiert das selbst heute noch nicht”, sagt der 38-Jährige. Und auch auf Schulhöfen gebe es immer noch offene Anfeindungen, sagt Sven Brauer. Das erlebt er direkt vor seiner Haustür: &bdquo;Ich wohne gegenüber einer Schule. Da höre ich häufiger queerenfeindliche Sprüche wie ,Schwuchtel oder ,Schwuchtelsau. Das war bei mir genauso”, sagt er. Schon in diesen Momenten würden Grundsteine dafür gelegt, dass queere Jugendliche sich nicht ausleben würden. »Ich hatte nie ein Outing« Wie weit das gehen kann, zeigt Brauers eigene Laufbahn: &bdquo;Ich hatte nie so ein Outing. Das war für mich von Anfang an klar. In der Schule wussten das eh alle. Ich war froh, dass ich gute Freunde in der Klasse hatte, die mich beschützt haben. Sonst wäre ich verloren gewesen.” Doch auf der Berufsschule änderte sich das dann: &bdquo;Bis ich es aufgegeben habe, eine Ausbildung zu machen. Das ist für viele nicht möglich: Queer sein, dann diese Anfeindungen und sich parallel voll auf die Ausbildung konzentrieren.” Wenige Schutzräume, wie Treffs, Beratungsstellen, aber auch Kneipen und häufige Angriffe führen auf dem Land vor allem zu einer Entwicklung, sagt Markus Ulrich von LSVD: &bdquo;Der Druck auf queere Menschen steigt, aus dem ländlichen Raum wegzuziehen.“ Dadurch fehle in den Regionen oft eine Gemeinschaft von queeren Menschen. Dagegen könne man aber etwas tun, sagt Ulrich: &bdquo;Wichtig ist, dass die Regelstrukturen der Kommunen fit sind.” »Das Problem sind nicht wir« Dafür müssten sich alle Institutionen, egal ob Gemeindeverwaltungen oder Vereine, fragen: &bdquo;Haben wir nur die Heteros auf dem Schirm?” Es müsse explizite Angebote von zum Beispiel Feuerwehr oder Fußballvereinen geben, die zeigten, dass sie offen sind und Schutzräume bieten. &bdquo;Das muss mit Substanz hinterlegt sein, und dafür kann man ruhig immer wieder eine extra Einladung für queere Menschen aussprechen”, erklärt der Pressesprecher. Ein Vorteil für viele Jugendliche sei heute zum Glück auch das Internet. &bdquo;Queere Jugendliche lernen schnell, sich online zu vernetzen”, sagt er. Insgesamt müsse das Problem mit der fehlenden Toleranz bis hin zu Hass auch von anderer Seite angegangen werden. &bdquo;Das Problem ist nicht, dass zum Beispiel zwei Männer Hand in Hand in der Öffentlichkeit gehen”, sagt Markus Ulrich. Das Problem sei, dass nicht-queere Menschen nicht hinterfragen, wie offen sie ihre eigene Sexualität eigentlich zeigen dürfen. Und das, ohne dafür mit Blicken oder verbal angegriffen zu werden. &bdquo;Das ist ein Privileg, das wir oft nicht haben”, sagt Ulrich.

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