Einblick in Lost-Place: Einstiges Nazi-Gebäude steht zum Verkauf

Lübbecke. Als Leiter des Verkauf-Teams hat Felix Nolte von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben in Dortmund schon viele Immobilien gesehen. Auch militärische, darunter Fliegerhorste, Kasernen und Offiziershäuser. Und er hat diverse Gebäude und Grundstücke verkauft. Bei dem über der Stadt am Ende der Wartturmstraße gelegenen "Church House" in Lübbecke, sagt Nolte, als er das große, umzäunte Gelände betritt, gebe es aber eine Besonderheit: "Seine Parteigeschichte." Gemeint ist die Errichtung des Gebäudes, dessen Stil Architekten dem konservativen Siedlungsbau der 1920er und 1930er Jahre zuordnen. Das repräsentative Anwesen wurde in seiner ursprünglichen Form von den Nationalsozialisten als Schulungsstätte errichtet. Architekt war der Lübbecker Heinrich Bünemann. Bei der Einweihung der faschistischen Kaderschmiede am 11. Juni 1939 hielten NS-Gauleiter Alfred Meyer und der fanatische NS-Kreisleiter Ernst Meiring Ansprachen. Kein Verkauf an extremistische Kreise Bei bestimmten potenziellen Kaufinteressenten soll dieser geschichtliche Hintergrund aber keine Rolle spielen, etwa bei einer als rechtsextrem eingestuften oder im Verdacht stehende Person, Gruppe oder Partei. Für Nachnutzungen unterschiedlicher Art zeigt Nolte sich offen, doch in diesem Punkt stellt er unmissverständlich klar: "Die Bundesanstalt wird keinen Grundstückskaufvertrag abschließen, wenn der Erwerbsinteressierte erkennbar extremistischen oder anderen nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehenden Kreisen zuzuordnen ist." Auch deshalb schied Nolte zufolge ein Ein-Euro-Mindestgebot aus. Die historischen Hintergründe der Immobilie - Gau-Schulungsburg, Offizierskasino der britischen Streitkräfte und schließlich Tagungs- und Begegnungsstätte der Briten - sind zwar im Verkaufsexposé angegeben. "Sie stehen für eine zivile Nachnutzung jedoch nicht im Vordergrund", erläutert Nolte. Die Liste möglicher Nachnutzungen verdeutlicht dies: Seminar- oder Gästehaus, Hotel mit Tagungsräumen, Jugendherberge, Betreutes Wohnen, Altenheim, Öffentliche Verwaltung, Büronutzung, Außenstelle einer Hochschule. Auch Eigentumswohnungen sowie ein zusätzlicher Standort für ortsansässige Unternehmen sind aufgeführt. Stadt muss Nachnutzung genehmigen Das nach einem als Kapelle genutzten Raum im Erdgeschoss genannte "Church House" wird in Fachkreisen als "Konversionsliegenschaften" bezeichnet, weil der militärischen eine zivile Nutzung folgen soll. Wie bei solchen Immobilien üblich, sagt Nolte, seien die verschiedenen Nachnutzungsmöglichkeiten im Vorfeld der Vermarktung mit der Stadt Lübbecke diskutiert worden. Das Nachnutzungskonzept sei genehmigungsbedürftig und deshalb vom jeweiligen Bieter mit der Stadt abzustimmen. In den vergangenen zwei Jahren hat die Bundesanstalt zwischen 15 und 20 Objekte allein in Ostwestfalen am freien Immobilienmarkt veräußert. Dass die Stadt Lübbecke von der Option des ersten Zugriffs keinen Gebrauch machen wollte, dafür hat Nolte Verständnis und erklärt: "Kann ein Objekt nicht im ersten Verwertungsversuch vermarktet werden, was äußerst selten vorkommt, wird die Immobilie, gegebenenfalls nach einer Überprüfung der im Exposé angegebenen Erlöserwartung, erneut am Markt angeboten." Es gibt »qualitativ gute« Interessenten Obwohl die britischen Streitkräfte das denkmalgeschützte Objekt bereits im Herbst 2019 an die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben übergeben haben, steht es offiziell erst seit Ostern dieses Jahres zum Verkauf. Genauere Angaben macht Nolte nicht, verrät aber soviel: "Wir haben eine qualitativ gute Nachfrage." Dann präzisiert er noch: "Es gibt mehrere Interessenten." Die 1,4 Millionen Euro, die Nolte zufolge unabhängige Gutachter als Verkaufspreis ermittelt haben, sind zwar nicht in Stein gemeißelt. Bei der Bundesanstalt ist deshalb auch von "Kaufpreisvorstellung" die Rede. Gleichwohl kann Nolte das 14.000 Quadratmeter große Areal mit Tennisplätzen und Pferdestall und das Gebäude-Ensemble mit den zwei Sälen und den knapp 50 Zimmern nicht verscherbeln. Der Kaufpreis, sagt er, müsse schon realistisch sein, denn: "Der Bundesrechnungshof prüft uns." Keine Besichtigungstermine wegen Corona Besichtigungstermine für das Church House sind aufgrund der Corona-Pandemie derzeit nicht möglich, informiert Nolte nach gut einstündiger Exklusivführung durch sämtliche Räume im Erdgeschoss und in der ersten Etage, deren Räume angenehm temperiert sind. Dafür sorgt eine Ölheizung im Keller, Baujahr 1986. Zudem ist das Gebäude nicht völlig unbewohnt. Ein Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma, "Hauswächter" genannt, bewohnt die obere Etage und passt auf, dass niemand heimlich über den Zaun klettert und sich unerlaubt Zutritt ins Church House verschafft. Im Jahr 1938/1939 war das Gebäude am oberen Ende der Wartturmstraße als Gau-Schulungsburg errichtet worden. Zeitzeugen berichteten, dass die Bürger im damaligen Landkreis Lübbecke und in der Stadt Lübbecke schon stolz darauf gewesen seien. Es gab Geldspenden für den Bau und viele Menschen verrichteten auch Arbeiten auf der Baustelle. An den Arbeitseinsatz im Anschluss an den Schulunterricht erinnert sich etwa Johannes Bergmann aus Pr. Ströhen. Briten erweiterten das Gebäude Am 4. April 1945 befreiten die Alliierten das Lübbecker Land. Anders als in Levern gab es beim Einmarsch in Lübbecke keinen deutschen Widerstand; Lübbecke war zur offenen Stadt erklärt worden. Die mit einem Lübbecker verheiratete gebürtige Britin May Bokämper ging den Briten entgegen. Seit dem Einmarsch der Briten in Lübbecke wehte vor dem Gebäude am oberen Ende der Wartturmstraße der Union Jack, die Flagge des Vereinigten Königreichs. Wenige Jahre später erweiterten die Briten den früheren NS-Bau um einen zusätzlichen südlichen Trakt. Seit 1983 wurde der Bau vom Royal Chaplains Department als kirchliche Tagungsstätte genutzt. Die Briten bildeten hier unter anderem Betreuer für die Angehörigen verstorbener Soldaten aus. Emotionale Zeremonie mit dem Commander BFG Mit einer sehr emotionalen Zeremonie verabschiedeten sich die Briten Mitte Juni 2019 vom Church House. Die Bedeutung der Anlage für die Briten wurde auch dadurch deutlich, dass mit General Richard Clements der damalige Kommandeur der britischen Streitkräfte in Deutschland (BFG) zu Gast war. Nach einer Parade, dem Gottesdienst und einem Konzert wurde zu den Klängen der "EveningHymn" der Union Jack eingeholt.

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