Europapolitiker Elmar Brok im Interview: "Europa wird vor Ort gemacht"

Stemwede. Elmar Brok ist in Europa zu Hause. Der Bielefelder Christdemokrat gehörte über Jahrzehnte dem Europäischen Parlament an. Während eines Besuchs in Stemwede sprach er gegenüber unserer Zeitung über Corona, die Kommunalwahlen und die AfD. Brok sagte auch, warum das umstrittene Erdgas-Projekt &bdquo;North Stream 2" aufgekündigt werden soll. Haben Sie seit Ihrem Abschied aus dem Europäischen Parlament eigentlich Langeweile? Elmar Brok: Nein. Ich mache einiges andere mehr. Ich bin immer noch im Bundesvorstand der CDU, Vorstandsmitglied der EVP und stellvertretender Vorsitzender des Weltverbandes der Christdemokraten. Dann mache ich noch einige Institutionen, etwa Senior Fellow beim Aspen Institute. Arbeitsvertrag ohne Gehalt unterschrieben Seit dem 1. August bin ich Senior Advisor bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Da bin ich nun Angestellter und habe einen Arbeitsvertrag – aber ohne Gehalt. Darauf freue ich mich besonders, weil es um internationale Politik geht. Ich bin voriges Jahr viel gereist, aber Anfang März war die letzte USA-Reise. Wegen Corona ist das weg. Seitdem sitze ich in Bielefeld-Oldentrup. Uns allen geht es so, dass sich Dinge durch Corona änderten. Sie waren im März zuletzt in den USA – was erwarten Sie am 3. November, dem Wahltag? Brok: Ich weiß es nicht. Ich habe damals im Gegensatz zu den meisten Beobachtern einen Wahlsieg Trumps vorausgesagt. Ich kenne seinen Gegenkandidaten Joe Biden ganz gut und würde mich freuen, wenn er gewinnt. Aber man weiß das nicht in Zeiten von angeblichen Fake News. Trump will Vasallentum statt Partnerschaft Ein Sieg Bidens wäre wichtig, damit es wieder ein westliche Strategie gibt. Wenn man China oder Putin in die Schranken weisen will, muss der Westen eine Strategie haben. Trump bekämpft uns ja ebenso wie China. Ein Bündnispartner, der macht was er gerade will, ist kein Bündnispartner. Er spricht mit uns keine Strategie ab. Er verlangt, dass wir machen, was er gerade will, ohne darüber zu diskutieren. Wenn nicht, dann straft er uns ab. Das ist Vasallentum. Gemeinsam haben die USA und Europa die Kraft, China entgegen zu stehen. Getrennt nicht. Wie sehen Sie die Rolle von Wladimir Putin? Brok: Er ist zunehmend ein Diktator, der Gegner zunehmend verfolgt – bis hin zu Giftattentaten. Ich kannte Anna Politkowskaja und Boris Nemzow, ich kenne Alexej Nawalny. Ich bin zunehmend überzeugt, dass Deutschland vom Projekt North Stream 2 zurücktreten sollte. Jetzt ist gerade noch die Möglichkeit, davon zurückzutreten, zumal unsere europäischen Partner auch dagegen sind. Wir haben da gerade jemand aus Russland rausgeholt und beschützen ihn, weil wir denken, dass Putin ihn immer noch umbringen will. Deshalb muss man über den North Stream 2-Ausstieg sprechen. Bei den Kommunalwahlen tritt in sehr vielen Kommunen die europakritische AfD an. Wie beurteilen Sie das? Brok: Sie machen Propaganda. Sie wollen aus Europa raus. Aber wir alle können gar nicht allein. das hat Corona gezeigt. Die deutsche Wirtschaft, die Wirtschaft auch in Minden-Lübbecke kommt da gar nicht allein wieder aus der Krise heraus. Das geht nur im europäischen Binnenmarkt. Wir wollen doch ins Ausland verkaufen. Wenn wir aus der Krise kommen wollen, dann geht das nur, wenn die anderen auch aus der Krise kommen. Tief beeindruckt von Engagement in Stockhausen Wenn wir anderen Ländern helfen, dann ist das auch in unserem eigenen Interesse. Europa ist eine Schicksalsgemeinschaft. Die Stemweder Firma Rila etwa hat unglaublich was auf die Beine gestellt. Und wenn dann die Grenzen dichtgemacht würden zu den Export- und Importländern – dieses Unternehmen würde in der Luft hängen, auch bei den Jobs. Den Menschen muss klar sein, dass Europa auch für Jobs vor Ort sorgt. Wir müssen in den Städten und Gemeinden den Weg des friedlichen Zusammenlebens dem Fremdenhass der AfD entgegensetzen. Gegenseitiger Hass nutzt niemand. Deshalb muss man in unserem eigenen nationalen Sinn den Nationalisten entgegentreten. Deutschland ging es immer schlecht, wenn es von Nationalisten regiert wurde. Die beiden Kriege sind der beste Beweis dafür. Was kann jeder einzelne tun für Europa als bestes Friedensprojekt? Brok: Sich dazu positiv äußern. Eltern sollten das auch ihren Kindern weitergeben. Die Jüngeren haben es nicht mehr kennengelernt, was die Alternative sein könnte, die katastrophale. Wichtig für Europa sind Begegnungen zwischen Vereinen, Partnerschaften zwischen Städten. Eine Familie vor Ort kann den Unterschied machen Wenn Menschen sich kennen, dann können sie nicht mehr von irgendwelchen Ideologen aufeinander gejagt werden. Über Europa wird vor Ort entschieden. Eine Familie vor Ort kann den Unterschied machen wie etwa die Familie Niemeyer in Stockhausen. Es hat mich tief beeindruckt, was die auf die Beine stellten für Europa.

Meistgelesen