Top-Ökonom in Hüllhorst: „Der Laden ist runtergerockt“

Kreis Minden-Lübbecke. Die &bdquo;Banker“ unter den Gästen, die im Schulungszentrum der Hüllhorster Firma Wortmann den Worten von Michael Hüther, Ökonom und Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, lauschten, dürfte es gefreut haben. Der renommierte Wirtschaftsforscher sprach sich klar gegen die von FDP-Chef Christian Lindner verhängte Schuldenbremse aus. Nur mit Investitionen könne die Leistungsfähigkeit Deutschlands gesichert werden. Das war nur eine von mehreren Thesen, die Michael Hüther in seinem Vortrag auf Einladung des Arbeitgeberverbandes (AGV) Minden-Lübbecke formulierte. &bdquo;Industriepolitik als Schlüssel der Transformation?“ lautete die zentrale Fragestellung des Vortrages, der aktuelle Themenfelder wie Klimamaßnahmen, künstliche Intelligenz (KI) sowie Investitionsbedarfe berührte. Im internationalen Vergleich habe Deutschland im vergangenen Jahr in der Wettbewerbsfähigkeit nur noch auf Platz 22 gelegen, so schlechte Werte gab es zuletzt 2006. Auch AGV-Vorstandsvorsitzender Robert Falch (Minda Industrieanlagen) sprach in seiner Begrüßung vor den Mitgliedern von &bdquo;einem schwierigen Jahr“ für die deutsche Wirtschaft. Ein Tiefschlag sei im Übrigen auch das Ergebnis der Europawahl, habe doch der AGV bis zuletzt zur Europafreundlichkeit aufgerufen, so der Minda-Geschäftsführer. Aus gutem Grund fand die AGV-Verbandsversammlung in der Gemeinde Hüllhorst statt, denn hier hat das führende IT-Unternehmen Wortmann seinen Sitz. Falch richtete seinen Dank an die Familie Wortmann, die ihr Schulungszentrum für die Veranstaltung zur Verfügung gestellt hatte, die auch immer dem Netzwerken der Verbandsmitglieder aus den unterschiedlichsten Branchen diene. In einem kurzen Abriss beleuchtete Svenja Wortmann vom Vorstand der Wortmann AG die beeindruckendes Geschichte des für die Computermarke Terra bekannten IT-Unternehmens. 1988 sei das erste Produkt des von Siegbert Wortmann gegründeten Unternehmens verkauft worden. 35 Jahre später vereint die familiengeführte Wortmann-AG bei einem Umsatz von zwei Milliarden Euro 30 Firmen unter ihrem Dach und beschäftigt deutschlandweit 2.000 Mitarbeiter davon 800 am Standort Hüllhorst. Das Besondere sei, dass Wortmann alles aus einer Hand biete, vom Terra-Produkt über den Service bis hin zur Terra-Cloud. Das könne kein anderer Großkonzern bieten, sagte Svenja Wortmann. &bdquo;Unglaublich, was Sie aufgebaut haben“ &bdquo;Es ist unglaublich, was Sie aufgebaut haben“, meinte AGV-Vorsitzender Robert Falch in Richtung der Familie Wortmann, bevor er zum Gastvortrag überleitete und kurz den Referenten Michael Hüther vorstellte, der seit 2004 Direktor des Institutes der deutschen Wirtschaft ist und zudem durch seine Publikationen sowie Medienauftritte bekannt sei. &bdquo;Alles richtig zum Lebenslauf“, meinte der Ökonom an späterer Stelle, als es um die digitale Transformation ging. Denn das sei nicht immer der Fall. So habe sich bei der Vorstellung seiner Person einmal jemand ChatGPT bedient – &bdquo;und wenn man meinen Namen eingibt, finden sich die lustigsten Kombinationen, nur stimmen diese nicht immer.“ KI habe kein Wahrheitskonzept in sich und auch die Produktivität falle bei KI nicht einfach vom Himmel, so der Ökonom. Volkswirtschaftliche Produktionsfortschritte seien möglich und KI habe durchaus branchenspezifisch einen Nutzen, vor allem wenn es um wiederkehrende Muster gehe. Die Wirtschaft müsse dann aber auch darüber nachdenken, wie sie die dadurch freigewordene Zeit der Arbeitnehmer dann nutze und für welche Einsatzgebiete. &bdquo;Potenziale ausschöpfen ist wichtig und einen Ressourcenverschleiß können wir uns nicht leisten“. Auch der grünen Transformation der Wirtschaft widmete sich der Ökonom in seinem Vortrag. Die jetzige Industriepolitik sei nicht strategiesicher, meinte Hüther und Unternehmenspolitik befinde sich dadurch in einem Umfeld latenter Unsicherheit. Als ein Beispiel nannte er das Aus für den Verbrenner ab 2035. Die Frage sei, ob der Weg nur über die Elektromobilität führe oder ob nicht gerade auch im Güterverkehr Wasserstoff-Brennstoffzellen zum Einsatz kommen sollten. &bdquo;Wenn in Ihrer Nähe ein großer Lkw-Stellplatz mit Ladestationen wäre, dann hätten Sie hier keinen Strom mehr.“ Elektromobilität funktioniere bis zum Kleintransporter, beim Mehrtonner nicht mehr. &bdquo;Dann könne auch die Firma Wortmann die Lieferzusage ,noch bis 19 Uhr geht bei uns alles raus’ nicht mehr einhalten.“ Strukturwandel auf Termin Völlig neu sei, dass mit der avisierten Klimaneutralität im Jahr 2045 nunmehr auch ein Strukturwandel per Termin organisiert werden müsse. Über Verschmutzungs-Zertifikate und den Preis den CO2-Ausstoß reduzieren zu wollen, das reiche da nicht aus. Michael Hüthers Prognose ist, dass keine Regierung auf diese Herausforderung einfache Antworten finden wird. Er plädierte vor dem Hintergrund der Herausforderungen für deutlich mehr Technologieoffenheit, die Schaffung von Strategiesicherheit für die Industrie sowie Investitionsprämien. Apropos Investitionen: Was das Infrastrukturnetz angehe, sei Deutschland in den vergangenen 20 Jahren regelrecht vor die Wand gefahren worden. &bdquo;Der Laden ist runtergerockt“, meinte Hüther und hatte dabei auch das veraltete Wasserstraßennetz sowie die Schiene im Blick. Bahnstrecken müssten ausgebaut und stillgelegte Trassen wiederbelebt werden. Damit die Leistungsfähigkeit Deutschlands gesichert bleibe, seien 60 Milliarden Euro pro Jahr in einem Zehn-Jahres-Zeitraum nötig. &bdquo;Das Festhalten an der Schuldenbremse ist völlig absurd“, sprach Hüther deutliche Worte in Richtung Ampel-Regierung. Dass man den kommenden Generationen keine Schulden hinterlassen wolle, könne nicht das Argument sein. &bdquo;Was wir jetzt nicht machen, müssen die nachfolgenden Generationen verantworten.“ Und vieles im Bausektor – wie beispielsweise Brücken – könne auch standardisierter und ohne zusätzlichen Schnickschnack erfolgen. Auch eine Steuerreform müsse nach Ansicht des Wirtschaftsforschers möglich sein. Diese habe auch in früheren Zeiten zu unternehmerischer Aktivität und damit zu volkswirtschaftlichem Wachstum beigetragen.

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