Hille/Bielefeld (dpa). Für Christian Thüner ist ein ganz kleiner Ausschnitt aus der Ermittlungsakte entscheidend. Im Prozess um den mutmaßlichen Dreifachmord Hille vor dem Landgericht Bielefeld hielt der Anwalt einer Nebenklägerin in seinem Schlusswort zwei Fotos hoch. Auf ihnen war jeweils ein Mann zu sehen. Einmal der heute 53-jährige Jörg W. und dann der heute 25-jährige Kevin R. Beide Männer hatten sich gegenseitig fotografiert, wie sie hüfttief eine Grube aushoben. Dabei hielten die beiden Deutschen einen Spaten in der Hand und lachten in die Kamera. Gefunden haben die Ermittler diese Fotos im Chatverlauf der Handys der beiden Männer.
Nach fast zehn Monaten geht am Landgericht Bielefeld jetzt der Prozess um den Dreifachmord von Hille zu Ende. Am Freitag (19. Juli, 10 Uhr) will der Vorsitzende Richter Georg Zimmermann ein Urteil sprechen. Der Richterspruch wird auf Indizien basieren, denn die beiden Angeklagten haben sich bislang gegenseitig der drei Morde bezichtigt. Geständnisse, Reue, Bedauern in Richtung der Angehörigen? Erst ganz am Ende des Prozesses äußerten die beiden, dass ihnen die Opfer leid täten.
"Sie sitzen zu Recht auf der Anklagebank"
Staatsanwaltschaft und die Anwälte der Nebenkläger haben keine Zweifel. „Sie sitzen zu Recht da auf der Anklagebank", hatte Thüner gesagt, während seine Mandantin neben ihm weinte, weil sie ihren Bruder bei dem Verbrechen verlor. Für Thüner ist klar: „Die Bilder zeigen Sie beim Ausheben eines Grabes."
Der Anwalt zitierte in seinem Plädoyer noch aus einem Chatverlauf, der beide belaste. Am 26. August 2017: „Wir müssen noch etwas machen." 14 Sekunden später antwortete Kevin R.: „Warum? Wir machen das schon". Diesen Abend soll der Bruder seiner Mandantin nicht überlebt haben. Einen Tag später schrieb Jörg W. an seinen Mitangeklagten: „Doris weiß jetzt Bescheid. Alles bestens." Doris ist die Ehefrau des Angeklagten Jörg W. Daher sagte Thüner in seinem Plädoyer: „Eine Person fehlt auf der Anklagebank."
Am 8. September eine weitere Nachricht auf dem Handy: „Morgen buddeln." Am Satzende stand nach Schilderung des Anwalts ein Smiley.
Manche Geschichten waren Angeberei
Für Schlagzeilen hatte der Fall im Frühjahr 2018 gesorgt. Die Polizei hatte auf zwei benachbarten Höfen zuerst eine, später zwei weitere Leichen gefunden. Die Opfer, ein Hilfsarbeiter, ein Nachbar und ein gelernter Maurer, wurden zum Teil seit Monaten vermisst. Dem Handwerker soll Jörg W. ein gemeinsames Geschäft mit zu renovierenden alten Häusern vorgeschlagen und für die Übergabe von 5.000 Euro auf den Hof gelockt haben.
Auf der Flucht wurde Jörg W. von der Polizei in Bayern gefasst. Er hatte Bankkarten der Opfer dabei. In den Medien kursierten Fotos von Jörg W., wie er mit einer Waffe posiert. Angeblich sollte er bei der Fremdenlegion gewesen sein. Im Prozess stellten sich diese Geschichten als Angeberei heraus.
Über die Verbindungsdaten seines Handys stießen die Ermittler später auf den Bundeswehrsoldaten Kevin R. Er gilt als Ziehsohn seines späteren Mitangeklagten und war vor Jahren von Duisburg auf den Hof in Hille gezogen. Im Prozess bezichtigten sich die beiden Männer gegenseitig der Taten. Kevin R. will aus Angst vor Jörg W. nicht zur Polizei gegangen sein.
Täter handelten aus "Heimtücke"
Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Anwälte der Nebenkläger glauben Kevin R. nicht. Grund sind Indizien. So wurden an mehreren Tatwerkzeugen DNA-Spuren von beiden Angeklagten gefunden. Auf einer gelben Jacke des Jüngeren entdeckten die Ermittler Blutspuren. Ein Experte für Blutspritzer konnte anhand dieser Spuren eine Tat rekonstruieren und Kevin R. zuordnen.
Die Verteidiger blieben ihrer Linie im Prozess treu, äußerten Zweifel an den Indizien und schoben die Schuldfrage auf den jeweils anderen Angeklagten.
Motiv nach Ansicht der Anklage: Morde aus Heimtücke bei beiden, bei Jörg W. komme noch Habgier dazu. Die Hofbetreiber mit Pferdeställen hatten finanzielle Schwierigkeiten gehabt.
Witwe eines Opfers musste das Haus verkaufen
Staatsanwaltschaft und Nebenkläger forderten für beide Lebenslang und bei beiden die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Damit wäre eine Haftentlassung nach 15 Jahren so gut wie ausgeschlossen. Ankläger Christopher York forderte für den Älteren auch Sicherungsverwahrung. Assal Pezeshkian und Samir Omeirat vertreten die Familie eines Opfers. Sie forderten Sicherungsverwahrung für beide. „Beide sind gefährlich für die Allgemeinheit und die Prognose für weitere Morde ist hoch", sagte Anwältin Pezeshkian zur Begründung.
Ihre Mandantin ist jetzt Witwe und zieht zwei Kinder alleine groß. Sie musste ein Haus verkaufen und zurück zu den Eltern ziehen. Anwalt Samir Omeirat sprach von „verlorenem Lebensglück". Die Angeklagten hätten sich durch menschliche Kälte ausgezeichnet und kein Wort des Mitgefühls geäußert. Stattdessen habe es nur Selbstmitleid und nicht den Hauch von Selbstkritik gegeben. „Damit haben sie postmortal gegenüber den Angehörigen einen weiteren Mord begangen", sagte Omeirat.