Langjähriger Espelkamper Ratsherr zieht Klage wegen Klärschlammanlage zurück

Espelkamp/Minden. Ein paar Minuten brauchte Hartmut Stickan schon für seine Entscheidung: Wollte er ein – höchstwahrscheinlich - für ihn negatives Urteil des Verwaltungsgerichts und damit eine Chance in der nächsten Instanz, oder zieht er die Klage zurück und erspart sich weitere Kosten? Er entschied sich schließlich nach zweistündiger Verhandlung am Dienstag vor der 9. Kammer für den kostensparenden Weg. Der langjährige SPD-Kommunalpolitiker möchte den Bau der Klärschlammvererdungsanlage verhindern, die die Stadtwerke Espelkamp rund 300 Meter südwestlich von seinem Grundstück in der Nachbarschaft ihres Klärwerks in Schmalge bauen wollen. Auf einer Gesamtfläche von 3,3 Hektar sollen in sechs Beeten die bei der Reinigung in den Absetzbecken und nach der Vortrocknung im Faulturm übrig gebliebenen Feststoffe aus den Abwässern der Espelkamper Haushalte und Betriebe sechs Jahre lang weiter trocknen und zu nährstoffreicher Erde werden. Nach unten durch zwei Spezialfolien gesichert und nach oben durch Schilfbewuchs von verbliebenen Chemikalien gesäubert. Verweis auf Proteste in Porta Westfalica Lesen Sie auch: Lokalpolitiker aus Espelkamp verklagt die Bezirksregierung Die Pläne der Stadtwerke hatte die Bezirksregierung bereits im Februar 2023 genehmigt. Einen Monat später legte Hartmut Stickan, damals noch SPD-Ratsherr und Mitglied im Verwaltungsrat der Stadtwerke, Klage ein. Sein Hauptargument zog allerdings vor der Baurechtskammer des Mindener Gerichts nicht, wie der Vorsitzende Richter Christoph Schewe mehrfach klarmachte. Ob die Genehmigung aus Gründen des Umwelt- und Trinkwasserschutzes fehlerhaft sein könne, habe die Kammer nicht zu prüfen. Hier gehe es ausschließlich um das Nachbarschaftsrecht. Die Frage also, ob Stickan durch die geplante Klärschlammvererdungsanlage in seinen Rechten unzumutbar beeinträchtigt werde. Hartmut Stickan fürchtet einerseits die Gerüche, die von den sechs Beeten ausgehen. Insbesondere in den ersten Jahren, wenn das Schilf noch nicht so hoch steht, und nach der sechsjährigen Liegezeit, wenn die entstandene Erde wieder herausgeholt und die Becken neu befüllt werden. Außerdem seien die Geruchsvorbelastungen durch das Klärwerk und eine Biogasanlage nicht ausreichend berücksichtigt worden. Das Argument, das schon im Eilverfahren im Mai diskutiert wurde, hatte die Bezirksregierung durch ein neues Gutachten des TÜV Nord entkräften wollen. &bdquo;Ihr Wohnhaus kommt nicht an die Unzumutbarkeitsgrenzen von zehn Prozent der Jahresstundenzahl heran“, hielt die Vertreterin der Detmolder Genehmigungsbehörde dem Kläger entgegen. Die prognostizierten 1,4 Prozent reichten, alle drei Geruchsquellen, zusammengenommen, nicht mal an die Irrelevanzgrenze von zwei Prozent heran, müssten also gar nicht näher untersucht werden. Hartmut Stickan stinkt die Sache trotzdem und er verwies auf Bürgerproteste in Porta Westfalica. Lesen Sie auch: Belastetes Brunnenwasser: Labormobil untersuchte Proben in Espelkamp Kläger sieht Gefahr für Trinkwassersicherheit Zudem befürchtet er, dass bei Hochwasser und Starkregen Massen aus der Vererdungsanlage auf sein Grundstück geschwemmt werden könnten. Selbst die höherliegende L770 dazwischen könne im Extremfall nicht ausreichen. Die Zahl der Extremwetter nehme zu, beim Weihnachtshochwasser 2021 seien 184 Liter in 24 Stunden niedergegangen, zeigte er dem Gericht mit Fotos auf. Klimaexperten rechneten künftig mit bis zu 650 Liter am Tag. Das könne während der Beet-Leerung den Klärschlamm bis in seinen Biogemüsegarten schwemmen. Die Landesstraße als Wall und die künftige Aufschüttung für den Wirtschaftsweg lägen um bis zu 1,20 Meter höher als die aus preußischer Zeit stammende Annahme für ein Jahrhunderthochwasser, hielt ihm das Gericht entgegen. Auch seine Sorge um vermehrten Verkehr als Abkürzung zum Industriegebiet teilte das Gericht nicht. Es werde ja keine neue Kreuzung mit der L770 entstehen. Ob Geruch, Hochwasser oder Verkehr: Rechtlich geht es im Nachbarschaftsrecht, und nur das sei der Prüfungsauftrag für das Gericht, um die Grenze des Zumutbaren, machte der Vorsitzende Richter deutlich. Der Kläger könne nicht in die Rechte anderer eingreifen und verlangen, dass er vor den extremen Annahmen, dem &bdquo;schlimmsten Worst Case wie unter einer Käseglocke“ geschützt sei. Hartmut Stickan machte zum Ende der Sitzung noch einmal klar, dass es ihm eigentlich weniger um die persönlichen Belange gegangen sei. Er sehe vielmehr Gefahren für die Trinkwassersicherheit der Bürger. Die fällt aber nicht unter das Nachbarschaftsrecht, musste er schließlich einsehen und folgte dem Rat des Gerichts, sich durch eine Klagerücknahme weitere Kosten zu ersparen. 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Minden-Lübbecke

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