OWL Crime - mit Podcast

Der Doppelmord von Espelkamp: Todesschüsse am hellichten Tag

Es war die wohl schrecklichste Bluttat seit Bestehen der Stadt Espelkamp. Er hat das Leben in der Kleinstadt verändert.

In diesem Bereich an der Brelauer Straße und der Rahdener Straße ist Sati K. von ihren Mann Ercan K. erschossen worden. | © Joern Spreen-Ledebur

Karsten Schulz
17.06.2023 | 28.02.2024, 15:21

Espelkamp/Diepenau/Bielefeld. Am späten Vormittag des 17. Juni reißen mehrere Schüsse die beschauliche Kleinstadt Espelkamp plötzlich aus ihrer Sommerruhe. Schon kurz nachdem die Sonne den Horizont erobert hat, senkt sich eine drückende Schwüle auf die Straßen und Plätze der Innenstadt. Wenige Pkw und Passanten sind unterwegs, die die ersten Einkäufe erledigen.

Ercan K. steht wegen zweifachen Mordes vor Gericht. Das Verfahren wird vor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld verhandelt, rechts neben ihm sein Verteidiger Rechtsanwalt Carsten Ernst. - © Barbara Franke
Ercan K. steht wegen zweifachen Mordes vor Gericht. Das Verfahren wird vor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld verhandelt, rechts neben ihm sein Verteidiger Rechtsanwalt Carsten Ernst. | © Barbara Franke

Nur in einem Reihenhaus an der Rahdener Straße wird es laut. Personen schreien sich in einer fremden Sprache an, es sind wohl auch Schimpfworte dabei, denn der Ton ist deutlich aggressiv und der Tonfall wird immer lauter. Türen knallen, es scheppert und klirrt, plötzlich knallen mehrere Schüsse, die aus der ersten Etage des Hauses fallen. Der Bürgersteig vor dem Haus leert sich, jemand verständigt die Polizei. Die Tat jährt sich am Samstag zum zweiten Mal.

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Am Hauseingang des Reihenhauses an der Rahdener Straße legen noch heute manchmal Bürger einen Blumenstrauß zur Erinnerung an die Mordtat nieder. - © Karsten Schulz
Am Hauseingang des Reihenhauses an der Rahdener Straße legen noch heute manchmal Bürger einen Blumenstrauß zur Erinnerung an die Mordtat nieder. | © Karsten Schulz

Schreiende Frau rennt um ihr Leben

Es dauert nicht lange und die Haustür öffnet sich. Eine schreiende jüngere Frau läuft über die Straße. Sie rennt um ihr Leben, wie sich später herausstellt. Während es in der Wohnung in besagtem Haus still geworden ist, verlagert sich das Geschehen auf die Straße. Hinter der Frau öffnet sich die Haustür ein zweites Mal, ein Mann mit gezückter Pistole nimmt die Verfolgung auf und folgt ihr in eine schmale Gasse, die sich zwischen zwei Häuserzeilen öffnet und zu einer anderen Wohnsiedlung führt.

Die Frau versucht, sich zu verstecken, sucht Schutz in einem der Hauseingänge der vor ihr liegenden Häuser. Sie bemüht sich, in eines der Häuser hineinzukommen. Eine Altenpflegerin, die in einem der Häuser wohnt, hat die Tür gerade einen Spalt geöffnet, als die Schüsse fallen. Sie wird glücklicherweise verfehlt, einige schlagen in der Hauswand hinter ihr ein. Der Verfolger trifft jedoch seine verzweifelt schreiende Frau direkt in den Hinterkopf. Mit gezielten Schüssen streckte er sie nieder. Später vor dem Landgericht in Bielefeld werden Beobachter sagen: "Es war wie eine Hinrichtung".

Der Doppelmord von Espelkamp: Täter flüchtet nach Diepenau

Ercan K. heißt der Täter, der später vor dem Landgericht wegen heimtückischen Doppelmordes in zwei besonders schweren Fällen an seinem Schwager Muharrem K. und seiner Ehefrau Sati K. zu einer lebenslangen Haftstraße verurteilt wird. Noch bevor die Polizei in Espelkamp eintrifft, ist er wieder verschwunden in sein Heimatdorf im benachbarten niedersächsischen Diepenau.

Am dortigen Landschaftssee wird der später angeklagte Mörder Ercan K. noch am selben Tag in den Abendstunden mit Hilfe eines Ortungssystems gefasst und in Polizeigewahrsam gebracht. Für seine Ehefrau Sati K. kommt jede Hilfe zu spät, obwohl die Besatzung des Rettungshubschraubers, der in einem benachbarten Innenstadtpark landet, noch vor Ort versucht, die Frau wieder zu beleben.

"Es war wie eine Hinrichtung"

In Diepenau befindet sich auch das Anwesen von dem später angeklagten Ercan und seiner Ehefrau Sati K, das sie vor noch gar nicht so langer Zeit bezogen hatten und wo sie mit ihren Kindern ein zunächst unauffälliges bürgerliches Leben führen. Die Ehe der beiden gilt als vorbildlich, beide sind türkischstämmig, sie gehören auch keiner fundamentalistisch geprägten Glaubensrichtung des Islam an. Denn zunächst kursierten in den sozialen Medien und weiteren Massen- und Boulevardblättern Gerüchte darüber, dass es sich wohl um eine terroristische Tat handelte, später wurde daraus eine Familientragödie. Doch auch das stimmt nicht ganz.

In der kleinen Stadt Espelkamp geht an diesem und auch den folgenden Tagen nichts mehr. Rund um die Tatorte werden die Straßen und Plätze weitläufig abgesperrt. Selbst die Schülerinnen und Schüler einer in der Nähe befindlichen Einrichtung dürfen das Gebäude nicht verlassen, weil man zunächst befürchtet, dass sich der Mörder noch in der Nähe befindet und möglicherweise weitere Schüsse abgeben könnte.

Bluttat des Doppelmordes in Espelkamp bis heute unvergessen

Auch das Haus des Angeklagten wird gesperrt, weil die Ermittler mehrere Tage lang die Spuren untersuchen. Das Leben der beschaulichen Kleinstadt normalisiert sich nach dem heimtückischen Mord erst nach einiger Zeit wieder. Die Bluttat ist bis heute unvergessen. Immer wieder werden vor dem Hauseingang, hinter der ein Mord verübt wurde, Blumen niedergelegt - insbesondere an den Jahrestagen.

Nach der Verhaftung Ercan K's, der sich widerstandslos in Diepenau abführen ließ, ist dieser auch von Anfang an geständig. Er appelliert bis zuletzt über seinen Anwalt, den bekannten Bielefelder Strafverteidiger Carsten Ernst, an Richter Georg Zimmermann und die Geschworenen vor der Landgerichtskammer, das Urteil auf ein Tötungsdelikt hin zu drehen und nicht auf heimtückischen Mord.

Damit hätten sie auf minderschwere Schuld plädieren müssen und nicht auf lebenslange Haft. Somit wären auch die Aussichten auf eine frühzeitige Haftentlassung aussichtsreicher. Ercan K. gibt die Taten von Anfang an zu, stellte sch jedoch als gehörnter Ehemann dar, weil seine Ehefrau sich von ihm getrennt habe, das eigene Haus und die Familie verlassen habe und nach Espelkamp gezogen sei. Da ihr Bruder Muharrem zu ihr steht, bezieht er diesen in seinen zunehmenden Zorn mit ein.

Noch am 16. Juni vor zwei Jahren, einen Tag vor dem Doppelmord, hat es einen Anwaltstermin in Bremen gegeben, wie sich im laufenden Verfahren herausstellt. Am 15. Juni ist Sati K. nicht bereit, alleine mit ihrem Mann zu sprechen. Sie bittet ihre beiden Söhne mit zum Treffen, weil ihr die Situation nicht geheuer ist. Sie erklärt an diesem Abend ihrem Mann, dass es endgültig aus ist.

Höchststrafe im Doppelmord-Prozess für Ercan K.

Dieser wird zunehmend zornig. In seiner wachsenden Wurt bezeichnet er schon einige Zeit vor der Bluttat Ehefrau und Schwager als ehrlose Personen, denen man eigentlich eine Kugel geben müsse. Dieser heimtückische Gedanke, so der Vorsitzende Richter Zimmermann am Landgericht, sei danach weiter gewachsen.

Den Gipfel erreicht sein Zorn als seine Ehefrau beim Anwaltstermin in Bremen in seinem Beisein fragte, ob sie während der laufenden Scheidung zu ihrem neuen Freund nach Istanbul ziehen dürfe. Das erbost Ercan K. zutiefst. Und in seinem Zorn reift schließlich der Entschluss, seine Frau mit einem Mauser-Revolver zu töten. Woher die Waffe stammt, ist bis heute ungeklärt.

In dem Urteil bezeichnet das Landgericht dieses Verhalten als ganz klar heimtückisch und geplant, sodass für den angeklagten Ercan K. die Höchststrafe gefordert und er zu lebenslanger Haft verurteilt wird.

"Zeit heilt die Wunden nur langsam"

Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe bestätigt in einem Revisionsverfahren das Bielefelder Urteil und sieht im gesamten Verfahren keine Rechtsfehler. Somit ist das Urteil Mord aus niedrigen Beweggründen rechtens. Ercan K. trifft somit die ganze Schwere der Schuld, wie der junge Rechtsanwalt David Volke bestätigt. Volke vertritt beim Mordprozess mehrere Nebenkläger, darunter auch den Bruder von Sati K.

Das Landgericht sowie der Bundesgerichtshof stellten bei dem Urteil über Ercan K. niedrige Beweggründe und eine besonders schwere Schuld fest, sodass eine frühere Haftentlassung bei ihm wohl eher nicht zum Tragen komme und er lebenslänglich in Haft bleibe. Volke wird wahrscheinlich wieder am Jahrestag bei der Gedenkfeier dabei sein, wenn in Diepenau der Mordtaten gedacht wird. Im vergangenen Jahr waren rund 250 Familienangehörige und Freunde anwesend. "Die Zeit heilt die Wunden nur langsam", so der Anwalt.