Jordansprudel: Ein problematisches Erbe für die Stadt Bad Oeynhausen

Die Prokrastination ist ein weit verbreitetes Krankheitsbild, dem nach Expertenmeinung aber nicht die Aufmerksamkeit geschenkt werde, die dem “Aufschieben” eigentlich zustände. “Prokrastination bezeichnet ein Verhalten, das dadurch gekennzeichnet ist, dass Aufgaben trotz vorhandener Gelegenheiten und Fähigkeiten entweder nicht oder erst nach sehr langer Zeit und dabei oft zu spät erledigt werden. Stattdessen werden häufig Alternativtätigkeiten ausgeführt, die relativ angenehmer sind oder unmittelbare Verstärkung ermöglichen”, heißt es bei Wikipedia. Betroffene täten nicht mehr das, was sie eigentlich tun wollen, und litten häufig auch unter Selbstabwertung. Prokrastination beeinträchtige nicht nur das psychische Wohlbefinden, sondern könne zudem zu ernsthaften beruflichen und persönlichen Konsequenzen führen. Es sei nicht mit Faulheit zu erklären, sondern es handele sich um ein ernsthaftes Problem der Selbststeuerung, heißt es weiter. Und damit sind wir beim Wahrzeichen der Kurstadt, dem Jordansprudel: Ob die nicht mehr springende, einst mächtigste Thermalsolequelle auf Erden überhaupt noch saniert werden soll, wollen Stadt und Staatsbad erst anno 2026 entscheiden. Sankt Nimmerlein genießt in Ratskreises Verehrung Es hat auch schon früher Symptome gegeben, die den geneigten Beobachter des kommunalpolitischen Betriebes hätten stutzig machen müssen: So genießt Sankt Nimmerlein in hiesigen Ratskreisen große Verehrung. Der Ausschuss für Stadtentwicklung terminierte den Bau eines Radweges entlang der Weserstraße auf den Sankt Nimmerleinstag, der laut fachkundiger Expertise am 30. Februar eines nicht näher zu benennenden Jahres gefeiert wird. Im Vergleich dazu ist der Termin zur Wiedervorlage des verkrusteten Jordansprudels geradezu konkret: 2026. Und er ist erst einmal vom Tisch. Dass die Wiedervorlage relativ deutlich nach der nächsten Kommunalwahl 2025 im Kalender steht, sollte aber nicht als Versuch von Bürgermeister Lars Bökenkröger (CDU) gewertet werden, sich das leidige Thema vor der Wahl vom Hals zu schaffen, schließlich hatte der damalige Bürgermeisterkandidat Bökenkröger im September 2020 unmissverständlich erklärt: “Die Sole ist die Identität. Die muss erlebbar werden. Zum Beispiel am Jordansprudel – unserem Wahrzeichen. Das wollen Besuchergruppen sehen – und zwar mit Sole und nicht mit Werrewasser.“ Die Stadtfinanzen nähren sich nur noch von Rinnsalen Dreieinhalb Jahre später verstopft immer noch Gips die berühmte Quelle und selbst Fachkundige können nur rätseln, was sie jenseits des in 109 Meter Tiefe verorteten Stopfens auf den noch folgenden 616 Metern erwartet. Doch nicht nur der Jordan sprudelt nicht mehr; auch die Stadtfinanzen nähren sich nur noch von Rinnsalen. Dabei ist die Analyse bitter und banal zugleich: Die Stadt aus der Sole bedarf ihrer Geburtshelferin nicht mehr. Daraus schließen nicht wenige, dass alles, was mit Sole zu tun hat, nicht mehr ist als zu belächelnde Folklore – ein Erbe, das man besser hätte ausschlagen sollen. Der Jordansprudel ist grafisch in der Bildmarke des Staatsbades zum “Y” mutiert und plätschert nun über die digital vernetzten Bildschirme im Haus des Gastes. Die Entscheidung, die Quellen und damit auch den Jordansprudel dem Prinzip Hoffnung zu überlassen, wurde früh getroffen, denn das Geld vom Land, das 2004 das Staatsbad an die Stadt übergab, reichte wohl nur für die Instandhaltung des Parks und seiner imposanten Gebäude. Und selbst wenn es technisch möglich wäre, den Jordan wieder mit seiner eigenen Sole springen zu lassen, stellt sich die Frage, welche ökologischen Folgen die Salzflut für den Park und das Grundwasser hätte. In Bad Oeynhausen weiß man nicht mehr, was man mit der Sole noch will Die Gefahr, dass die Prokrastination in Sachen Jordansprudel für die Betroffenen um Rathaus und im Haus des Gastes tatsächlich zu “ernsthaften beruflichen und persönlichen Konsequenzen” führen könnte, ist eher gering einzuschätzen, denn die Wiedervorlage ist vielleicht auch deshalb folgerichtig, weil man in Bad Oeynhausen - im Gegensatz zu anderen Solebädern - einfach nicht mehr weiß, was man mit der Sole noch will. Über dieses “Heilmittel” ist in der Kurstadt die Zeit hinweggegangen. Sie war einmal und ist nicht mehr. Wer auch immer sich vielleicht eines Tages anschicken mag, den Jordansprudel wieder herzurichten, der möge zuvor studieren, was auch schon die Altvorderen aufwenden mussten, um ihre Quellen in Schuss zu halten. Es liegt in der Natur der Sole, die Bohrungen, die nach ihr fahnden, selbstständig wieder zu verschließen. Das heißt auch, ein reanimierter Jordansprudel ist ein ewiger Pflegefall. Und deshalb ist die Prokrastination bei den Verantwortlichen doch keine krankhafte Aufschieberitis, sondern eine Taktik, um Zeit zu gewinnen, in der die (wenigen) Fans der Sole ihre Leidenschaft vergessen haben. Vielleicht ist es aber doch symptomatisch für Teile der Bad Oeynhausener Kommunalpolitiker, Entscheidungen möglichst zu vertagen, denn mit der Frage, ob die städtische Chronik fortgesetzt werden soll, hat der Kulturausschuss quasi eine Übersprunghandlung auf 2026 vertagt.

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