Der Wittekindshof in Bad Oeynhausen macht „historischen Schritt“ von der Anstalt zum Stadtteil

Bad Oeynhausen. Nur selten neigt der Theologische Vorstand des Wittekindshofes zum Überschwang. Doch beim Aschermittwochsempfang schwang ein deutliches Stück Euphorie mit, als Dierk Starnitzke den gut 200 Gästen vom Podium in der Werkstatt-Kantine zurief: &bdquo;Die rote Fläche im Regionalplan ist verschwunden.“ Der neue Plan, der Grundlage für alle größeren Bauvorhaben in der gesamten Region OWL für die nächsten 20 Jahre bildet, trat nach acht Jahren Vorbereitung zum 1. Februar in Kraft. Und in dem neuen Regionalplan ist das Stiftungsgelände des Wittekindshofes in Volmerdingsen nun erstmals nicht mehr als &bdquo;Sondergebiet Gesundheit“, gekennzeichnet als rote Fläche mit großem G darin, ausgewiesen. Sondern als IQ-Gebiet: als &bdquo;Integratives Quartier“. Was wie eine verwaltungsinterne Randnotiz wirkt, hat bedeutende Folgen für den Wittekindshof und ist für Starnitzke gar &bdquo;ein historischer Schritt“: &bdquo;Nun können wir endlich das umsetzen, was wir uns vorgenommen haben“, sagte er. Was das konkret bedeutet, war Thema einer Podiumsdiskussion. Auf dem Podium diskutierten neben Dierk Starnitzke Landrat Ali Dogan, Bürgermeister Lars Bökenkröger und Hartmut Baar, Leiter des Inklusionsamtes beim, Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL). Angelika Heudtlaß moderierte das Gespräch, konnte aber als regionale Geschäftsführern des Wittekindshofes auch eigene Expertise zum Thema einbringen. So betreut sie auch den geplanten Bau eines Medizinzentrums, das direkt an der Zufahrt zum Stiftungsgelände entstehen soll. Hier sollen die Praxen von Ärzten, Physiotherapeuten, Logopäden und eine Apotheke Platz finden, die nicht nur den Bewohnern des Wittekindshofes, sondern allen Bad Oeynhausenerinnen und Bad Oeynhausern offenstehen sollen. &bdquo;Das“, so Starnitzke“, &bdquo;ist der erste Schritt“. Der wäre allerdings auch noch mit der Einstufung als Sondergebiet für Gesundheitseinrichtungen möglich gewesen. &bdquo;Wir sind dabei, erste Flächen an die Stadt zu verkaufen“ Das gilt nicht für den nächsten Schritt, den sich der Wittekindshof vorgenommen hat: Teile des Stiftungsgeländes sollen Baugebiet werden, in dem sich zum Beispiel junge Familien ein Eigenheim schaffen können. Familien, die mit der Behindertenhilfe nichts zu tun haben. Genau das aber ist erst mit der Ablösung des Sondergebiets-Status’ für das Stiftungsgelände möglich. &bdquo;Wir sind dabei, erste Flächen an die Stadt zu verkaufen“, sagte Starnitzke. &bdquo;Da können dann Familien bauen - wenn der Stadtrat zustimmt und die Fledermäuse nicht zu tief fliegen“, so der theologische Vorstand mit einem Augenzwinkern. Mit der Öffnung für bislang &bdquo;fremde“ Nutzungen geht der Wittekindshof in eine dritte Entwicklungsphase. Ursprünglich war das Stiftungsgelände ein weitgehend geschlossenes System, &bdquo;über Jahre und Jahrzehnte eine Monokultur“, nannte Starnitzke das. &bdquo;Dahinter stand die Idee, dass Menschen mit Beeinträchtigungen besonderen Schutz brauchen“, sagte Hartmut Baar. So wurde das Kernland der 1887 gegründeten Diakonischen Stiftung zum Sondergebiet, in dem nur Nutzungen im Zusammenhang mit der Behindertenhilfe und Gesundheitsversorgung zugelassen waren. Inzwischen habe es einen Paradigmenwechsel gegeben. &bdquo;Heute sagen wir, dass Menschen mit Beeinträchtigungen dort leben sollen, wo alle anderen Menschen auch leben. Wo denn auch sonst?“, fragte der Mann vom LWL. &bdquo;Umgekehrte Inklusion“ auf dem Stiftungsgelände In der Folge ging der Wittekindshof mit seinen Betreuungsangeboten in die Fläche. &bdquo;Im Jahr 2000 leben noch 1.500 Menschen mit Beeinträchtigungen hier auf dem Stiftungsgelände“, erinnerte Starnitzke. Heute sind es noch 525. Mit der Folge, dass Teile des 36 Hektar großen Wittekindshof-Gelndes in Volmerdingsen nicht mehr für die Behindertenhilfe benötigt werden. Also überlegte der Vorstand gemeinsam mit den Beschäftigten, wie das Gelände zu entwickeln sei. Daraus entstanden ein Leitbild und ein Masterplan mit dem Ziel, hier &bdquo;ein lebendiges und vielfältiges Quartier“ zu schaffen, sagte Starnitzke. Hartmut Baar nannte das die &bdquo;umgekehrte Inklusion“. Ali Dogan betonte: &bdquo;Integration ist keine Einbahnstraße.“ Das heiße: &bdquo;Auch die Mehrheitsgesellschaft muss sich auf die Menschen mit Beeinträchtigung zu bewegen - und nicht nur umgekehrt“, sagte der Landrat. Grundsätzlich müsse das Ziel sein, eine Gesellschaft in Vielfalt zu gestalten. &bdquo;Das trifft zu 100 Prozent die Position des Wittekindshofes“, stimmte Starnitzke zu. Dogan sagte auch, dass Integration natürlich auch Geld koste. Er regte aber an, Mittel für Integration und Barrierefreiheit sehr zielorientiert einzusetzen. Dazu aber müsse man auch konkret wissen, wo solche Maßnahmen sinnvoll seien und gebraucht würden. &bdquo;Doch müssen in 90 Prozent der Kommunen diese Daten erst einmal erfasst werden“, sagte der Landrat. Das Ziel ist: Grenzen überwinden Lars Bökenkröger sieht das Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung schon auf gutem Weg. &bdquo;Die Öffnung des Wittekindhofes zeigt sich schon an vielen Stellen in der Stadt“, sagte Bad Oeynhausens Bürgermeister. Das Ziel müsse aber weiterhin sein, Grenzen zu überwinden. Als sehr vertrauensvoll beschrieb Bökenkröger das Verhältnis zwischen Stadt und Wittekindshof. So habe die Stiftung sehr schnell und unkompliziert geholfen und Wohnraum zur Verfügung gestellt, als vor knapp zwei Jahren eine große Zahl an geflüchteten Menschen aus der Ukraine nach Bad Oeynhausen kam. Starnitzke dankte der Stadt im Gegenzug, den Wittekindshof bei der Umwidmung des Stiftungsgeländes im neuen Regionalplan unterstützt zu haben. Ein Beitrag zur Öffnung seien seit Jahren auch die Aschermittwochsempfänge im Wittekindshof zu sehen, sagte Starnitzke. Dann lud er alle Gäste zum Grünkohlessen ein, dem traditionellen Mahl dieser Veranstaltung. Für Starnitzke war dies der letzte Aschermittwochsempfang als Theologischer Vorstand. Ende des Jahres geht er in den Ruhestand.

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