Spurensicherung

Hilfe im Kreis Minden-Lübbecke: Was Opfer von sexualisierter Gewalt nach Übergriffen tun können

Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November. Die Zahl der Opfer ist deutlich angestiegen. Bei K.O.-Tropfen ist schnelles Handeln notwendig. 

Gewalt gegen Frauen gibt es in allen Bereichen der Gesellschaft - am häufigsten geschieht sie im vermeintlich sicheren Zuhause. | © Verfügbar für Kunden mit Rechnungsadresse in Deutschland.

24.11.2023 | 24.11.2023, 18:08

Kreis Minden-Lübbecke. Gewalt gegen Frau ist leider immer noch Alltag. Jede dritte Frau wird mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von körperlicher oder sexualisierter Gewalt. Alle vier Minuten erlebt eine Frau in Deutschland Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner. Umso wichtiger ist deshalb der „Orange Day“ – der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen findet weltweit am 25. November statt. Der „Orange Day“ macht auf die Situation der betroffenen Frauen aufmerksam, soll für Aufklärung sorgen und für das Thema Gewalt gegen Frauen sensibilisieren.

„Leider nimmt die Gewalt gegenüber Frauen nicht ab. Im Gegenteil, die Zahl der Opfer von häuslicher Gewalt steigt deutlich an. Deshalb ist es wichtig, auf dieses wichtige Thema aufmerksam zu machen und den Betroffenen aufzuzeigen, wo sie Hilfe bekommen können“, erzählt Heide Kluck, die als Psychologin im Universitätsklinikum Minden arbeitet.

Der Gang zur Polizei fällt vielen nicht leicht

Die Mühlenkreiskliniken bieten Frauen, die von häuslicher und sexualisierter Gewalt betroffenen sind, Unterstützung an. „Gewaltopfer stehen erst einmal unter Schock. Der Gang zur Polizei unmittelbar nach einem sexuellen Übergriff fällt vielen nicht leicht, vor allem dann nicht, wenn der Täter aus dem eigenen Umfeld stammt. Dabei wäre es wichtig, Verletzungen so schnell wie möglich zu dokumentieren und Spuren unmittelbar nach der Tat zu sichern“, sagt Heide Kluck. Gemeinsam mit einem Arbeitskreis, bestehend aus Mitgliedern verschiedener regionaler sozialer Institutionen, hat sie sich der Kampagne „Lass Spuren sichern“ vor drei Jahren angeschlossen.

Seitdem haben Frauen und Männer, die Opfer von Gewalt sind, die Möglichkeit, Spuren eines Übergriffs vertraulich sichern zu lassen.

Die gesicherten Spuren bleiben zehn Jahre in der Gerichtsmedizin

Für Betroffene einer Gewalttat, die noch unentschlossen sind, ob sie Anzeige erstatten wollen, bieten die Mühlenkreiskliniken die vertrauliche Spurensicherung in den Notaufnahmen des Johannes Wesling Klinikums Minden und des Krankenhauses Bad Oeynhausen an. Sichergestellte Spuren wie Hautpartikel, Haare oder Sperma werden fachgerecht asserviert. Fotos von Verletzungen werden ebenfalls an einem sicheren Ort aufbewahrt. Die gesicherten Spuren werden dann bis zu zehn Jahre in der Gerichtsmedizin in Düsseldorf aufbewahrt. In dieser Zeit können Betroffene entscheiden, ob sie gerichtliche Schritte einleiten wollen. Nach Aufnahme der Spuren wird ein Zahlencode ausgehändigt, der den gesicherten Beweisen zugeordnet ist. „Nur mit diesem Code können Betroffene das Material für die Polizei freigeben – und das in jeder Polizeidienstelle in Deutschland“, erklärt die Psychologin.

Nach Übergriffen sollten Betroffene nicht duschen und die Kleidung nicht waschen

K.o.-Tropfen und andere Betäubungsmittel sind beispielsweise bis zu zwölf Stunden nachweisbar. Hier ist schnelles Handeln notwendig, möglichst innerhalb von 24 Stunden sollten Betroffene eine Notaufnahme aufsuchen. Betroffene, die Gewalt erfahren haben, sollten nach den Übergriffen nicht duschen und die getragene Kleidung nicht waschen. Die Untersuchung im Krankenhaus findet vertraulich und kostenlos statt.

Die vertrauliche Spurensicherung kann ab 18 Jahren oder ab 14 Jahren mit Einwilligung der Sorgeberechtigten, ab 16 Jahren je nach geistiger Reife auch ohne die Einwilligung der Sorgeberechtigten, durchgeführt werden.

„Viele betroffene Frauen brauchen mehrere Anläufe bis sie die Gewalttaten zur Anzeige bringen. Vor allem Opfer von häuslicher Gewalt brauchen einfach Zeit – dank der vertraulichen Spurensicherung haben sie diese auch. Deshalb ist es so wichtig, dass die Möglichkeit der vertraulichen Spurensicherung in der Öffentlichkeit bekannter gemacht wird“, erklärt Psychologin Heide Kluck.

Häusliche Gewalt wird selten zur Anzeige gebracht

Mit welchen Ängsten und Sorgen Gewaltopfer zu kämpfen haben, weiß die Expertin für häusliche Gewalt vom „Hexenhaus“ in Espelkamp Sabrina Stork: „Vielen Betroffenen fällt es trotz Aufklärung schwer, offen über erlebte Gewalt zu sprechen. Entsprechend selten wird häusliche oder sexualisierte Gewalt zur Anzeige gebracht. Zu groß ist die Angst, dass es danach noch schlimmer werden könnte. Dazu kommt die Befürchtung, dass den Opfern niemand glauben könnte, weil sie keine Beweise vorlegen können. Umso wichtiger ist deshalb das Angebot der vertraulichen Spurensicherung.“

In Espelkamp bietet das „Hexenhaus“ seit 1984 Schutz und Beratung für von Gewalt betroffene oder bedrohte Frauen und ihre Kinder. Die Frauenberatungsstelle des „Hexenhauses“, das Frauenhaus in Espelkamp und die teilstationäre Einrichtung „alleine leben lernen“ bilden gemeinsam das Kompetenzzentrum gegen häusliche Gewalt und haben sich im Laufe des langjährigen Bestehens zu einer wichtigen Anlaufstelle für von Gewalt bedrohte oder betroffene Frauen mit und ohne Kinder entwickelt.

Frauenberatung meldet sich pro-aktiv bei den Opfern

„Rund 50 Frauen mit 70 Kindern suchten in diesem Jahr bereits Schutz im Espelkamper Frauenhaus. Über 450 Frauen aus dem Kreisgebiet nahmen 2023 bislang das Angebot der Frauenberatung wahr. Fast alle von ihnen waren von irgendeiner Form häuslicher oder sexualisierter Gewalt betroffen“, erklärt Sabrina Stork. Zum Teil nehmen die Frauen selbst Kontakt auf, in über der Hälfte der Fälle werden sie aber über die Polizei an die Frauenberatung vermittelt, nachdem ein Einsatz bei häuslicher Gewalt stattgefunden hat. Dann meldet sich die Frauenberatung pro-aktiv bei den Opfern, bietet Beratung an und klärt über das Gewaltschutzgesetz auf.

Angststörungen und Traumata als Langzeitfolgen

„Neben den körperlichen Verletzungen und deren langfristigen Folgen bleiben aber oft auch unsichtbare Spuren. Angststörungen, Suchterkrankungen, Depressionen und Traumata sind nur eine kleine Auswahl an gesundheitlichen Folgeerscheinungen häuslicher und sexualisierter Gewalt“, erklärt Expertin Sabrina Stork.

Am 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, zeigen Menschen weltweit mit Aktionen und Kundgebungen ihre Solidarität mit gewaltbetroffenen Frauen. Bereits seit 2015 ruft das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ dazu auf, bundesweit sichtbares Zeichen gegen Gewalt an Frauen zu setzen.

„Mit der Verbreitung des Hilfetelefons möchten wir in erster Linie den Frauen, die von Gewalt betroffen sind, Mut machen, ihr Schweigen zu brechen und vermitteln, dass sie Hilfe und Unterstützung bundesweit erhalten. Darüber hinaus möchten wir unsere Kolleginnen und Kollegen ermutigen, sich nicht zu scheuen, sich an das Hilfetelefon zu wenden. Als Krankenhausmitarbeiter*innen kommen wir auch mit gewaltbetroffenen Patientinnen in Berührung und betreuen Frauen, bei denen wir vermuten, dass sie Gewalt erfahren mussten. Dabei können Situationen eintreten, die uns auch nach kollegialem Austausch weiterhin verunsichern und uns an der eigenen Wahrnehmung zweifeln lassen. Die Beraterinnen des Hilfetelefons ‚Gewalt gegen Frauen‘ bieten auch für Fachkräfte Beratung und Hilfe bei allen Fragen zum Thema Gewalt gegen Frauen an“, erklärt Ilona Radtke, Gleichstellungsbeauftragte der Mühlenkreiskliniken.

Auch Freunde und Verwandte können sich ans Hilfetelefon wenden

Die Beratung ist vertraulich. Unter der Rufnummer 116 016 oder online unter www.hilfetelefon.de werden Betroffene kostenlos, 365 Tage im Jahr, neben Deutsch in 18 weiteren Sprachen unterstützt. Das Angebot richtet sich an alle Frauen, die von Gewalt betroffen oder bedroht sind – ganz gleich, ob die Gewalterfahrung in der Vergangenheit oder Gegenwart liegt. Auch Freundinnen und Freunde, Verwandte oder Kollegen und Kolleginnen, die Gewaltbetroffene unterstützen möchten, können sich an das Hilfetelefon wenden.

Hilfsangebote im Kreis Minden-Lübbecke: Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ berät unter der Telefonnummer 116 016 Hilfesuchende an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr (kostenfrei und anonym), genauso die 24 Stunden Frauenhaus Helpline unter Tel. 0180 5446444. Das Frauenhaus Minden ist unter der Tel. 0571 888047200 zu erreichen, das Frauenhaus Espelkamp unter der Tel. 05772 973722, die Frauenberatungsstelle Espelkamp unter 05722 973744 und die Frauenberatungsstelle Minden unter Tel. 0571 3886156. Wildwasser Minden (Fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt an Mädchen und jungen Frauen) ist unter der Tel. 0571 87677 erreichbar. Informationen zur vertraulichen Spurensicherung: www.muehlenkreiskliniken.de/vs