Mondo-Prozess: Staatsanwaltschaft fordert lange Haftstrafen für schießwütige Brüder

Bad Oeynhausen. Die Diskothek "Mondo" ist längst Geschichte. Die juristische Aufarbeitung der wüsten Schießerei vorm Eingang im September 2018 dagegen dauert an. Der Prozess vorm Landgericht Bielefeld gegen sechs Angeklagte ist am Dienstag jedoch überraschend auf die Zielgerade eingebogen. Fünf Jahre, einen Monat und einen Tag nach dem Angriff auf die Türsteher hat die Staatsanwaltschaft ihre Schlussvorträge gehalten und aus zahlreichen Indizien ein für die Anklage schlüssiges Bild zusammengesetzt. Die Ankläger fordern lange Haftstrafen für die sechs Männer. Es sind Einzelstrafen von einem Jahr und sechs Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt werden sollen, bis hin zu sieben Jahren Haft - fast 20 Jahre Gefängnis stehen im Raum. Außerdem beantragen die Staatsanwälte für einen der Pistolen-Schützen erneut Haftbefehl wegen versuchten Mordes. Durch die Schüsse und Schläge wurden zwei Türsteher schwer, aber wie durch ein Wunder nicht lebensgefährlich verletzt. Einer erlitt einen Durchschuss im Oberschenkel, der andere einen Streifschuss am kleinen Finger der linken Hand. Auslöser der Gewalt soll der Rauswurf eines damals 27-jährigen Disco-Tänzers gewesen sein. Nach Darstellung der Türsteher soll er zuvor Frauen belästigt haben. Der Tänzer trommelte zum Gegenangriff Der Tänzer fühlte sich durch den Rauswurf gekränkt, plusterte sich auf und wurde von einem Türsteher ins Gesicht geschlagen. Mit blutiger Nase zog der Mann von dannen und rief seine Brüder zur Hilfe. Das hat eine Auswertung der Telefondaten durch die Polizei ergeben. "Das waren nicht nur irgendwelche Gute-Nacht-Telefonate", sagt Staatsanwältin Claudia Bosse. Der Tänzer trommelte nach ihrer Überzeugung gezielt zum Gegenangriff. - Die Staatsanwaltschaft lässt deshalb auch den Anklagevorwurf vom März 2019 des schweren Landfriedensbruchs fallen. Eine gezielte Gefährdung der Öffentlichkeit sei nicht nachzuweisen. Schuldig sind die sechs Angeklagten nach Überzeugung der Staatsanwälte Claudia Bosse und Frederik Meeth aber allesamt der gemeinschaftlichen, gefährlichen Körperverletzung. Der eine mehr, der andere weniger. Ein damals 38-Jähriger ist nach Ansicht der Ankläger nach 59 Prozesstagen auch des versuchten Mordes überführt. Der Mann habe "mit der Kippe im Mund" gezielt auf einen Türsteher geschossen und diesen am Oberschenkel verletzt. Das hätten kriminaltechnische Untersuchungen ergeben. Noch beim Weglaufen habe der Angeklagte blindlings nach hinten geballert. Bosse sieht darin eine "herausragend kriminelle Energie". Zweiter Pistolen-Schütze ist weiter flüchtig Nicht erklären können sich die Staatsanwälte, dass die Waffe des damals 38-Jährigen offenbar sowohl mit scharfer Munition als auch mit Schreckschuss-Munition geladen war. Für die Strafe sei das jedoch egal, so die Ankläger und fordern sieben Jahre Haft für den Schützen und beantragen außerdem erneut Haftbefehl. Den hatte das Oberlandesgericht Hamm im Frühjahr 2020 außer Kraft gesetzt, weil der Prozess "nicht mit der gebotenen Eile" geführt worden sei. Der zweite Pistolen-Schütze dagegen ist flüchtig und wird mit internationalem Haftbefehl gesucht. Nach Angaben der Staatsanwälte hat er sich womöglich in den Nordirak abgesetzt. Dass sich vor Gericht überhaupt sechs Männer aus einer Großfamilie verantworten müssen, ist nach Überzeugung der Staatsanwälte vor allem dem gekränkten Tänzer anzulasten. Ihn bezeichnen sie als "Spiritus Rector" und "Ausgangspunkt" der Gewalt. Er soll seine Brüder nicht nur herbeigerufen haben, er soll im Disco-Streit auch gegenüber den Türstehern mit seiner Verwandtschaft aus dem Nordirak angegeben haben: Die Türsteher wüssten nicht, mit wem sie es zu tun hätten, er sei Mitglied einer bestimmten Familie. Bundeswehrsoldaten und "Bürgerwehr aus Bad Oeynhausen" Tatsächlich sind einige Angehörige der Großfamilie einer größeren Fernsehöffentlichkeit als "Bürgerwehr aus Bad Oeynhausen" vorgestellt worden. Sie gehörten zu einer paramilitärischen Einheit, die im Nordirak Dörfer und Heiligtümer der Jesiden vor den Schergen des sogenannten Islamischen Staats schützten. Der Tänzer soll später, so schildern es die Staatsanwälte, in einem eigens nach der Schießerei eingerichteten Chat mit dem Namen "Familie" Schuldgefühle darüber geäußert haben, dass seine Verwandten in die Sache hineingezogen wurden. Videos mehrerer Überwachungskameras aus der Nacht zu Sonntag, 23. September 2018, zeigen um 2.26 Uhr eine größere Gruppe kleiner Männer, die mit Schlagstöcken und Schusswaffen den Eingang der Diskothek stürmen. Die Männer prügeln, schlagen und treten wild auf die Türsteher ein. Die wehren sich nach Kräften, versprühen ein Bärenabwehrspray. Zwei Männer halten Pistolen in den Händen und schießen auf die Türsteher. Die retten sich hinter die Eingangstür. Glasscheiben bersten nach Schüssen und die Angreifer laufen weg. Gutachter kann Angeklagte nicht identifizieren Diese Explosion der Gewalt dauerte nicht mal 60 Sekunden. Das Gericht hat sich im geplatzten ersten Prozess und auch in der Wiederauflage das Geschehen aus den Perspektiven mehrerer Überwachungskameras angeschaut, zahlreiche Zeugen über mehrere Tage vernommen und einen Gutachter gehört. Dieser Gutachter konnte die Angeklagten auf den Videos allerdings nicht zweifelsfrei identifizieren. Nach Überzeugung der Staatsanwälte Frederik Meeth und Claudia Bosse handelt es sich jedoch zweifelsfrei um die Angeklagten. Jeder Beweis für sich ergebe möglicherweise Zweifel, "aber alles zusammen macht die Identifizierung möglich", sagte Meeth. Mehrere Zeugen hätten die Angeklagten zudem vor Gericht wiedererkannt. Und die Juristen selbst glauben die Angeklagten nach fast vier Prozessjahren so gut zu kennen, dass sie die Männer anhand ihrer Körperhaltung auf den Videos wiedererkannt haben wollen. Das Gutachten habe zwar keinen Beweis, aber ein Indiz geliefert, erklärte Staatsanwältin Bosse. Letztlich sei die Bewertung aber keine gutachterliche, sondern eine juristische Frage. Dass zwei der Angeklagten zum Zeitpunkt der Schießerei als Bundeswehrsoldaten vereidigt waren, legen die Ankläger strafverschärfend aus. Der Prozess wird am Dienstag, 31. Oktober, fortgesetzt. Dann werden die Erwiderungen und die Schlussvorträge der Verteidiger erwartet.

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