Fehler in Gutachten: Energieverbrauch von Bad Oeynhausener Eigentümer zu hoch kalkuliert

Bad Oeynhausen. Der Holzscheitvergaser hinter der Kellertür ist das Herzstück in diesem Dschungel aus Rohren und Leitungen. Marten Varlemann öffnet die Tür einen Spalt weit und gibt den Blick frei auf einen unscheinbaren Kasten, in dem Flammen lodern. Der Vergaser ist ein hocheffizienter Ofen, der Wärme aus erneuerbaren Energien für gleich drei angeschlossene Mehrfamilienhäuser mit 23 Wohnungen liefert. Zweimal am Tag füttert Varlemann den Ofen mit Holz. Im Flur steht der Nachschub aus dem eigenen Wald, mehrere Rollwagen mit Schüttmetern voll Holzscheiten. Der Holzscheitvergaser ist gefräßig. Aber so gefräßig, wie ein Gutachten der Stadt Bad Oeynhausen Glauben machen will, ist der Ofen nun auch wieder nicht. Die Stadtverwaltung hat die Ingenieurgesellschaft Gertec mit einer Analyse zum Energieverbrauch im Kurpark-Viertel beauftragt. Herausgekommen ist ein 144 Seiten starkes "integriertes energetisches Quartierskonzept für das zentrale Quartier rund um den Kurpark", kurz: Klimaquartier. Darin stellen die Gutachter fest, dass der Energieverbrauch vor allem der älteren Wohngebäude im Klimaquartier im roten Bereich liegt. Die drei Varlemann-Gebäude an der Heinrichstraße sollen laut Gutachten deutlich über 175 Kilowattstunden Energie pro Quadratmeter verbrauchen. So zeigt es eine Grafik, die die NW übernommen und veröffentlicht hat. Die Varlemann-Häuser sind orange bis tiefrot eingefärbt. Die Botschaft dieser Signalfarben ist eindeutig: Hier besteht dringender Sanierungsbedarf. Der Energieverbrauch liegt eigentlich im grünen Bereich Marten Varlemann ist fast der Kaffee aus der Hand gefallen, als er die Grafik studiert hat. "Das stimmt einfach nicht", sagt er. Der Energieverbrauch liegt in Wirklichkeit deutlich darunter. Zwar verbrauchen die Häuser in der Heinrichstraße unter Volllast auch Erdgas. Aber der Gaskessel springt nur bei Verbrauchsspitzen ein. Zwei Häuser aus dem Komplex liegen klar im grünen Bereich. Varlemann hat für das Gespräch die Energieverbräuche aller seiner Gebäude mitgebracht, die er von den Wärmemengenzählern aller Mieter abgelesen hat. Diese Werte liegen deutlich unter 175 Kilowattstunden. Das hätte die Stadtverwaltung eigentlich auch wissen können, findet Varlemann. Der Familienbetrieb hat schließlich mit Unterstützung des städtischen Klimaschutzmanagers die Häuser modernisiert, die Holzheizung, ein Blockheizkraftwerk und eine Photovoltaikanlage gebaut. Die Wärme aus der Holzheizung wird im Keller in fünf Pufferspeichern aus fünf Tonnen Wasser zwischengespeichert und dann auf die einzelnen Wohnungen verteilt. Varlemann kennt sich aus mit Energiepässen, Wärmemengenzählern und den enorm gestiegenen Energiekosten. Lange vor dem Ukrainekrieg hat er bereits den Abschied vom Erdgas eingeläutet und die Heizungsanlage für den Gebäudekomplex an der Heinrichstraße umgebaut. Es ist das Werk mehrerer Jahre. Und war auch nur möglich, weil ein befreundeter Meister aus einem Sanitärbetrieb mit Freude am Tüfteln den Umbau professionell begleitet hat. Andreas Pinkwart (FDP) hat den Familienbetrieb deshalb als "Energiesparer NRW" ausgezeichnet. Die Plakette hängt noch heute deutlich sichtbar am Gebäude. Die Auszeichnung ist noch gar nicht so alt. Mitte November 2021 schrieb der Minister in einem Brief an Varlemann, dass die energetische Modernisierung und der Einsatz erneuerbarer Energien und effizienter Technologien einen wichten Beitrag zur Energiewende und zum Klimaschutz leisteten. In dem Schreiben heißt es wörtlich: "Für Ihr Engagement in diesem Bereich möchte ich Sie mit der Plakette "Energiesparer NRW" auszeichnen." Und dann werden ausgerechnet die Varlemann-Häuser in der Zeitung als Energieschleudern dargestellt? Wird da ein Handlungsbedarf für ein ganzes Stadtviertel skizziert, der in der Wirklichkeit gar nicht vorhanden ist? Der Gutachter sagt: "Hier hat die Methodik versagt" Im Gespräch mit der NW erklärt Andreas Hübner, Geschäftsführer der Ingenieurgesellschaft Gertec, das Vorgehen der Gutachter und gibt auf Nachfrage zu den Varlemann-Häusern unumwunden zu: "Das ist ein Fehler." Die Grafik zeige zwar für jedes Gebäude einzeln den Energieverbrauch. Bei diesen Werten handele es sich aber "nur um theoretische Verbräuche". Gertec berechnet diese Werte anhand von Datensätzen der Energielieferanten, von Kennwerten für Gebäudetypen und dem Alter der einzelnen Gebäude. "In der Legende der Karte fehlte leider der Hinweis "theoretisch"", so Hübner. Dies habe man nachträglich ergänzt. Die Methodik der Gutachter werde aber im Text erläutert. Varlemanns Gebäude sind zudem ein Sonderfall: Während anderswo im Quartier Erdgas die Grundlast bildet und Holz die Spitzen abfedert, ist es bei den Varlemann-Wohnungen genau umgekehrt: Drei Gebäude werden mit Holz beheizt, ein Erdgas-Kessel im Keller ist bloß für die Spitzenverbräuche da. Die Nennleistung der Feuerstätten sei zwar grundsätzlich über den Kehrbezirk einsehbar: "Der tatsächliche Energieverbrauch ist uns aber unbekannt", sagt Hübner: "Hier hat die Methodik versagt." Die Aussage des ganzen Gutachtens bleibt davon aber unberührt, so Hübner. Über das ganze Quartier betrachtet sei der Energieverbrauch zu hoch. Die energetische Sanierung des Bestands sei notwendig und "eine Riesenchance für das Quartier". Das Klimaquartier rund um den Kurpark ist das womöglich wichtigste politische Projekt der schwarz-grünen Ratsmehrheit. Ein Bereich zwischen den Eisenbahnlinien von der Stadtgrenze bis zum Schulzentrum Süd soll künftig deutlich weniger fossile Energie verbrauchen. Die Stadtwerke planen den Ausbau einer Fernwärmeleitung. Sogar über den Bau eines Geothermiekraftwerks - im Heilquellenschutzgebiet - wird nachgedacht.

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