Nachhilfe-Projekt in Bad Oeynhausen hat sich zur Schülerfirma gemausert

Bad Oeynhausen. Victoria (17) verbucht Erfolge. Eine ganze Note besser hat ihr Zögling bei der letzten Englischarbeit erreicht. Marie dagegen muss erkennen, dass "in der Nachhilfestunde verstehen und in der Klassenarbeit umsetzen" nicht das Gleiche sind. "Aber mündlich gab es eine Verbesserung", bilanziert die 16-Jährige die Leistung ihres Nachhilfeschülers. Und Anton (16) weiß jetzt, wie sich ein Lehrer im Unterricht fühlt - manchmal etwas frustriert. Die drei Oberstufenschüler des Immanuel-Kant-Gymnasiums gehören zum Organisationsteam des Projektes "Schüler helfen Schülern" - und wollen das Angebot ausweiten (Hilfe bei Facharbeiten und Hilfe für Ukrainer) sowie professionalisieren. Gerade erst wurden die Halbjahreszeugnisse verteilt und so manches Schulkind wurde vielleicht mit der bitteren Wahrheit konfrontiert: Es braucht Nachhilfe, um im Sommer nicht sitzen zu bleiben. Am IKG greift dann der kurze Dienstweg. Dort hat Anton Warmbold (16) rund 40 potenzielle Nachhilfelehrer aus der Schülerschaft in seiner Datenbank - die alle kurzfristig Schülern auf die Sprünge helfen können. Von Schülern, für Schüler - das ist eine ganz andere Basis, als wenn Lehrer erklären. Davon ist auch Vertrauenslehrer Lucas Ostrau überzeugt, der neben den drei Schülern ebenfalls zum Orga-Team gehört. 2015 hat die Schülervertretung das Projekt ins Leben gerufen, die Anschubfinanzierung kam vom Business-Club. Inzwischen wurde das Projekt ausgeweitet. "Wir haben ein Abrechnungssystem eingeführt, denn die nachhilfegebenden Schüler bekommen zehn Euro für 45 Minuten", erklärt Lucas Ostrau. Das sei inzwischen eine kleine Schülerfirma geworden. "Mit uns als Vorstand und dem Schülerrat als Aufsichtsrat." 60 Schüler nahmen am IKG derzeit das Nachhilfeangebot in Anspruch. "Mathe ist ein sehr gefragtes Nachhilfe-Fach", weiß Ostrau, der dafür durchaus Verständnis hat, wie er schmunzelnd zugibt. Aber auch Englisch und Französisch sind Fächer, bei denen gerade ab der siebten Klasse, wenn die zweite Fremdsprache hinzukommt, Bedarf da ist. "Wir wollen die Hürden durch eine einfachere Anmeldung senken", sagt Anton Warmbold, der zusammen mit Victoria Engelke und Marie Marks genau schaut, welcher Schüler zu welchem Nachhilfelehrer passt. "Die Chemie muss stimmen", ergänzt Ostrau. Die Lehrer müssen manches anders erklären Überzeugt vom Schülerprojekt ist auch Schulleiter Sven Horstmann. "Lernen durch Lehren" heiße das Zauberwort. Hinzu komme das soziale Lernen. Und am Ende des Schuljahres ein Zertifikat für die Nachhilfegebenden. "Auch der, der die Nachhilfe gibt, lernt etwas. Wir begreifen ja durch Handeln. Und somit ist das eigene Sprechen der Schüler, ihr Lernen." Wer anderen etwas erkläre, müsse noch einmal selbst den Stoff und das Thema reflektieren und vielleicht seine eigene Erklärung überdenken. "Dadurch entsteht ein Vertiefen." Und genau dieses System möchte Horstmann, der im vergangenen Sommer den Job des Schulleiters übernahm, am IKG etablieren. "Wir Lehrer müssen weniger reden, die Schüler mehr. Das muss in allen Fachunterrichten umgesetzt werden." Auch die Lehrer sollen lernen. Aus den Rückmeldungen der Nachhilfelehrer. "Sie müssen ebenfalls offen sein, Dinge vielleicht anders zu erklären, damit die Schüler sie verstehen", sind sich Ostrau und Horstmann einig - und zudem überzeugt davon, dass dafür die Bereitschaft im IKG-Kollegium hoch ist. "Der Lehrer als Lernbegleiter", nennt das Sven Horstmann, der "Schule mehr leben" will. "Damit die Schüler sich wertgeschätzt fühlen." Marie, Anton und Victoria sind inzwischen froh, selber Nachhilfelehrer zu sein. Regelmäßig treffen sie sich mit ihren Schülern im Selbstlernzentrum im Altbau oder per Videokonferenz und arbeiten aktuellen Stoff durch. Auch wenn alle Drei anfangs unsicher waren, ob die das überhaupt können. "Es gibt immer Anknüpfungspunkte für den Einstieg in die Nachhilfe", weiß Marie, die genau wie Anton ein Mathe-Ass ist, während Victoria in Englisch brilliert. "Wir wissen jetzt, wie schwierig es manchmal ist, etwas rüberzubringen." Und noch eines haben Anton, Victoria und Marie gelernt: Das es gut ist, alten Stoff erneut aufzuarbeiten.

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