Unfallopfer aus Bad Oeynhausen kämpft um Rente und Haus

Bad Oeynhausen. Marion Lütkemeier muss keine Sekunde überlegen. Es war der 24. Mai 2015. Das Datum ist ihr allgegenwärtig. Es ist der Tag, der ihr Leben veränderte. Der Tag, dessen Folgen gerichtlich bis heute nicht abschließend geklärt sind. Der Tag, durch dessen Folgen die heute 58-Jährige fürchtet, ihr Haus in Bergkirchen zu verlieren. An jenem Freitag im Mai 2015 kam Marion Lütkemeier von der Arbeit und war auf dem Heimweg nach Bergkirchen, als der tragische Unfall geschah. Auf der Volmerdingsener Straße überholte ein 45-jähriger Motorradfahrer eine Wagenkolonne. Was der Motorradfahrer nach Angaben der Polizei aber offensichtlich nicht bemerkte, war, dass am vorderen Ende der Autoschlange Marion Lütkemeier mit ihrem Opel nach links in den "Bergacker" abbiegen wollte. Der Zweiradfahrer prallte mit Wucht in die Seite des Opels, Auto und Motorrad wurden auf einen Acker geschleudert. Dabei verletzte sich der 45-Jährige so schwer, dass er noch am selben Tag im Mindener Klinikum verstarb. "Ich selbst hatte nur leichte Verletzungen an Rücken und Knie", berichtet Marion Lütkemeier. Die körperlichen Blessuren waren schnell verheilt. Nicht aber die psychischen. Das Erlebnis des Unfalls löste bei ihr eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTB) aus. Bevor geklärt wurde, welche arbeits- und versorgungsrechtlichen Folgen diese Diagnose haben würde, war vom Amtsgericht in Bad Oeynhausen zu klären, inwieweit Marion Lütkemeier womöglich eine Teilschuld an dem tragischen Unfall tragen könnte. Im Mai 2017 entschied das Gericht, dass die Autofahrerin keinerlei Schuld am Tod des Motorradfahrers trage. Eine Erleichterung für Marion Lütkemeier. "Wenn ich hinterm Steuer sitze, bekomme ich Herzrasen" In der Folge erkannte die Berufsgenossenschaft den Unfall als Arbeitsunfall an und billigte Marion Lütkemeier wegen der Belastungsstörung eine Erwerbsminderungsrente zu. Allerdings nur - nachträglich - befristet bis zum 17. Januar 2016. Danach wurde die Bergkirchnerin, die seit 1990 Zustellerin bei der Post war, wieder als arbeitsfähig eingestuft. Das aber sei sie nicht - bis heute, versichert Marion Lütkemeier. In immer wiederkehrenden Albträumen erlebe sie den Unfall nach, beschreibt sie die Symptome. Sie habe seit dem Unfall ständig Durchfall, könne schlecht laufen und kaum noch Auto fahren. "Wenn ich hinterm Steuer sitze, bekomme ich Herzrasen", berichtet die heute 58-Jährige. "Und ich denke viel über den Tod nach." Das bestätigte auch ihre Psychotherapeutin. Und auch die Psychologen der Median-Klinik, in der Marion Lütkemeier 2019 eine Reha machte, attestierten ihr, dass sie nach wie vor unter der Belastungsstörung leide. Die Gutachter, zu denen Berufsgenossenschaft und Rentenversicherung Marion Lütkemeier schickten, kamen aber zu einem anderen Schluss. Die Belastungsstörung sei abgeklungen und führe nun zu weniger als 20 Prozent Erwerbsminderung, so die Argumente der Berufsgenossenschaft, die weitere Versorgungsansprüche ablehnte. Dagegen legte Marion Lütkemeier im August 2018 Widerspruch ein, der wiederum abgelehnt wurde. Daraufhin versuchte sie, ihre Ansprüche gerichtlich durchzusetzen, doch auch die Klage wurde im Mai dieses Jahres vom Sozialgericht Detmold abgelehnt. Was Marion Lütkemeier dabei nicht versteht ist, dass sich das Gericht dabei nur auf die Aussagen der psychologischen Gutachter gestützt habe. "Die haben gerade zwei, drei Stunden mit mir gesprochen. Die Einschätzung meiner Therapeutin, die mich seit Jahren kennt, spielte aber keine Rolle", kritisiert sie. Nachbarn halfen mit Lebensmitteln und Geld Abfinden will sich Marion Lütkemeier mit dem erstinstanzlichen Urteil aber nicht. Ihr Rechtsvertreter, ein Fachanwalt aus einer Löhner Kanzlei, legte in ihrem Namen im Juni dieses Jahres Berufung vor dem Landes-Sozialgericht Essen ein. Entschieden wurde darüber noch nicht. Der also immer noch schwelende Rechtsstreit hat für Marion Lütkemeier auch massive wirtschaftliche Folgen. Es gab Phasen, in denen sie keinerlei Einkünfte gehabt habe, berichtet die 58-Jährige. Seit Juni bekomme sie Sozialhilfe. "381 Euro", wie die Bergkirchnerin berichtet. Das reicht kaum zum Leben. Nachbarn hätten ihr immer wieder ausgeholfen, mit Lebensmitteln, aber auch mit Geld. Wofür es nicht reiche, das seien die Tilgungsraten für ein Darlehen, das sie vor Jahren aufgenommen habe, so erklärt Marion Lütkemeier. Nachdem sie vier Monate lang die Raten in Höhe von 435 Euro nicht gezahlt hatte, habe sie ein Mahnschreiben von der Sparkasse bekommen. Darin werden ihr weitere Schritte angekündigt, wenn sie die ausstehende Summe nicht zahle. "Nun droht mir die Zwangsversteigerung des Hauses", sagt Marion Lütkemeier. Des Hauses, in dem sie ihr ganzes Leben lang gewohnt und das sie vor zehn Jahren von ihrer Mutter geschenkt bekommen habe. Die 58-Jährige versichert: "Ich will ja alles bezahlen. Aber ich brauche mehr Zeit." "Dieser Unfall hat mein ganzes Leben umgeworfen" Zu dem konkreten Fall kann Matthias Paschke, Vorstand der Sparkasse Bad Oeynhausen-Porta Westfalica, wegen des Bankgeheimnisses nichts sagen. "Grundsätzlich versuchen wir natürlich, unsere Kunden nach Kräften zu unterstützen, auch wenn sie in eine Notlage geraten." Wenn Kunden auf die Sparkasse zukämen und von ihren Schwierigkeiten berichteten, sei oft die Aussetzung der Tilgungsraten ein erster Schritt. Eine Zwangsversteigerung dagegen sei der letzte Schritt, den man gehe. "Wir bemühen uns selbst sehr, diesen Schritt zu vermeiden. Es ist besser, eine andere Lösung zu finden", sagt Paschke. Der aber einschränkt, dass auch eine Perspektive gefunden werden muss, wie die Kreditraten in Zukunft wieder gezahlt werden könnten. "Wenn es keine solche Perspektive gibt, wird es schwierig", sagt der Sparkassen-Vorstand. Marion Lütkemeiers Perspektive wäre möglicherweise eine für sie positive Entscheidung des Landes-Sozialgerichtes. Die Frage ist nur, wann diese Entscheidung fällt. "Ich habe mein ganzes Leben lang gearbeitet. Und ich möchte nichts geschenkt", versichert die Bergkirchnerin. "Aber dieser Unfall hat mein ganzes Leben umgeworfen."

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