Lungenspezialist aus Bad Oeynhausen zu Corona-Medikament: "Paxlovid hilft nur Risikopatienten"

Herr Niedermeyer, seit zwei Jahren werden bis zu 30 Coronapatienten auf den Intensivstationen des HDZ behandelt. Im Sommer sind die Zahlen gesunken, rechnen Sie im Herbst und Winter wieder mit einem starken Anstieg? Jost Niedermeyer: Das lässt sich natürlich schwer voraussagen, wir wissen ja auch nicht, ob es eine neue Virusvariante gibt, die aggressivere Krankheitsverläufe zur Folge hat. Seit einigen Monaten behandeln wir auf unseren Intensivstationen kaum noch Patienten wegen Corona, bei den meisten ist es nur eine Begleiterkrankung. Für unseren zusätzlichen Pflegeaufwand macht das allerdings keinen Unterschied, der ist unverändert sehr hoch. Abgesehen von den Schutzimpfungen - es gibt unter anderem mit Paxlovid mittlerweile ein Medikament, das vor schweren Krankheitsverläufen schützen soll. Wie wirkt Paxlovid? Paxlovid hemmt die Vermehrung der Viren. Ebenso übrigens wie die beiden anderen Medikamente Lagevrio und Remdesivir. Paxlovid ist allerdings am häufigsten im Gespräch und hat unter den als Tablette verfügbaren Virusmedikamenten die beste Wirkung erzielt. Bei über 70 Prozent der Patienten hat es Krankenhauseinweisung, Intensivbehandlung und tödlichen Verlauf verhindert. Bei Lagevrio, das wie Paxlovid als Tablette eingenommen werden kann, liegt die Wirkung in Studien nur bei 30 Prozent. Remdesivir hat zwar eine ähnlich hohe Wirkung wie Paxlovid, kann aber nur per Infusion verabreicht werden und macht daher einen dreitägigen stationären Aufenthalt erforderlich. Außerdem können verschiedene monoklonale Antikörper zur Behandlung von COVID-19 eingesetzt werden. Auch die biotechnologisch hergestellten Antikörper sollen das Andocken der Viren an Zellen verhindern. Ihre Wirksamkeit ist allerdings von Variante zu Variante schlechter geworden und momentan unter Omikron steht nur noch eines dieser Präparate zur Verfügung. Allen diesen Medikamenten ist gemeinsam, dass sie möglichst frühzeitig, das heißt bis zu fünf Tage nach ersten Symptomen, verabreicht werden. Suchen überhaupt Patienten so früh die Hilfe im HDZ? Patienten, denen ein Spenderorgan transplantiert wurde, müssen ihr Leben lang Medikamente einnehmen, die die Immunabwehr unterdrücken. Deren Risiko für eine schwere Coronaerkrankung ist besonders hoch, das ist ihnen und ihren Angehörigen natürlich bewusst. Deshalb melden sie sich oft schon mit den ersten Symptomen bei uns im HDZ. Ähnlich gefährdet sind Menschen mit schweren Rheumaerkrankungen oder nach einer Tumorbehandlung. Wenn die mit Coronasymptomen zu ihrem Hausarzt gehen, bittet der mich auch gelegentlich um Hilfe. Sollen Sie spezielle Untersuchungen vornehmen? Nein, notwendig ist nur der PCR-Nachweis, der ja meist vorliegt. Paxlovid kann aber viele andere Medikamente in der Wirksamkeit beinflussen. Das betrifft zum Beispiel cholesterinsenkende Medikamente, aber auch Blutverdünner oder Medikamente, mit denen Herzrhythmusstörungen behandelt werden. Kardiologische Patienten nehmen oft bis zu zehn verschiedene Präparate ein, da ist es natürlich aufwändig, alle möglichen Wechsel- und Nebenwirkungen abzuklären. Aber das ist kein Geheimwissen, zu dem nur Spezialisten wie Sie Zugang haben? Die Informationen sind alle frei zugänglich, auch das Robert-Koch-Institut hat dazu Informationen vorbereitet. Außerdem gibt es spezielle Apps. Ich bevorzuge beispielsweise die von der Universität Liverpool. Aber natürlich ist so eine Recherche zeitaufwändig. Das Bundesgesundheitsministerium hat über eine Million Dosen Paxlovid bestellt und den Hausärzten erlaubt, das Medikament nicht nur zu verordnen, sondern es direkt an die Patienten auszugeben. Derzeit liegen noch fast 900.000 Dosen im Lager. Ist es nur die Angst vor Wechselwirkungen, die Hausärzte am Einsatz von Paxlovid hindert? Die neuen Omikron-Varianten sorgen überwiegend für leichte Verläufe, da wird die Gefahr vielleicht etwas bagatellisiert. Ist diese Einschätzung richtig? Natürlich hat sich das Risiko für Geimpfte beispielsweise deutlich verringert. Aber es gibt nach wie vor Risikopatienten, die wir vor einem schweren Verlauf schützen müssen. Und deshalb freue ich mich, dass es immer mehr Hausärzte gibt, die das auch so sehen und eben doch zunehmend auch Paxlovid bei diesen gefährdeten Patienten einsetzen. Abgesehen von Menschen, die wegen ihrer Medikamente durch die Impfungen keine Antikörper entwickeln können-- bei welchen Risikopatienten sollte Paxlovid außerdem in Erwägung gezogen werden? Menschen mit Adipositas, also einem Body-Mass-Index von über 35, sowie Patienten, die Immunsupressiva einnehmen, tragen ein erhöhtes Risiko für eine schwere Infektion. Ganz wichtig ist aber das Alter. Studien haben gezeigt, dass die Sterblichkeit bei Patienten im Rentenalter um 79 Prozent gesenkt wurde. Bei jüngeren ohne Risikofaktoren war dieses Medikament nicht wirksam. Finanzminister Christian Lindner, Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach haben eine Coronainfektion überstanden und ihre schnelle Genesung mit dem Einsatz von Paxlovid begründet. Halten Sie diese öffentlichkeitswirksame Werbung für Paxlovid für sinnvoll? Die Wirksamkeit ist nur für Patienten mit Risikofaktoren erwiesen. Ich kenne zwar nicht die genaue Krankheitsgeschichte, kann aber zumindest beim Alter nicht erkennen, dass die drei Politiker zu den Risikogruppen gehören. Ein Medikament soll nur verordnet werden, wenn es auch einen medizinischen Nutzen hat. Den kann ich hier nicht erkennen. Mit solchen Veröffentlichungen besteht die Gefahr, dass ein Medikament "verbrannt" wird. Würden Sie sich selbst mit Paxlovid behandeln? Nein. Ich bin nicht über 65 Jahre alt, bin geimpft und geboostert und habe auch keine anderen Risikofaktoren.

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