Poetische Quellen: Vom Adrenalin zwischen den Buchdeckeln

Bad Oeynhausen/Löhne. Was braucht eine gute Geschichte? Für Tomer Gardi liegt die Zutat auf der Hand: &bdquo;Adrenalin“, sagt der in einem Kibbuz geborene Autor. Kleine und große Dosen dieses Hormons, das eigentlich in Gefahrensituationen zu Höchstleistungen anspornen soll, gab es am Samstag bei den Poetischen Quellen in unterschiedlichen Dosierungen zu erleben. Und das, obwohl die Gefahrenlage verschwindend gering war. Auch wenn der Wetterumschwung der Naturbühne keine Chance ließ, genossen die Besucher im Literaturzelt Autorenporträts, Lesungen und Gespräche, die dem diesjährigen Motto des Literaturfestes &bdquo;Mut zum Unmöglichen“ folgten. Da ist die aus der Ukraine stammende Autorin Eugenia Senik, die die Hauptfigur ihres Romans &bdquo;Das Streichholzhaus“ in ein Obdachlosenheim schickt, damit sie die &bdquo;systematische Unwilligkeit unserer Gesellschaft, sich mit den Menschen an ihren Rändern zu befassen“, erleben kann. Noch turbulentere Erfahrungen mit dem Fremdsein macht der Protagonisten aus Tomer Gardis Buch &bdquo;Eine runde Sache“. Er trifft auf seiner Reise, die durchaus auch eine Flucht sein könnte, einen Deutsch sprechenden Schäferhund und einen ständig weinenden Erlkönig. Fremd in seiner eigenen Familie muss sich auch der Schriftsteller Peter Brasch gefühlt haben, dessen Vater Horst stellvertretender DDR-Kultusminister war und auf dessen Fährte sich Stefano Zangrando in seinem Roman &bdquo;Kleiner Bruder“ begeben hat. "Wunderbares Literaturfest direkt vor der Haustür" &bdquo;Niveau, Qualität und Vielseitigkeit“: Für Inge Radine sind die Poetischen Quellen jedes Jahr wieder &bdquo;ein Höhepunkt im Sommer“, bei dem sie sich auf etwas Neues einlassen kann und der sie anregt und berührt. &bdquo;Wenn man bedenkt, wie schwierig es oft ist, für das Literaturfestival Lit Cologne Karten zu bekommen, dann ist es doch wunderbar, dass wir die Poetischen Quellen direkt vor der Haustür haben“, sagt die frühere Kunstlehrerin. Und wechselt von der Lesung mit Stefano Zangrando zum Autorenporträt über seinen brasilianischen Kollegen Luiz Ruffato. Dort erfährt sie, wie trostlos es ist, wenn man sich als Einwohner aus der Unterschicht in einem Brasilien fern ab jeglicher Scheinidylle nach Art von Reiseprospekten, durchschlagen muss. &bdquo;Sonntage ohne Gott“ hat der Autor den letzten Teil seines Roman-Zyklus &bdquo;Vorläufige Hölle“ genannt. Und nicht nur Inge Radine, sondern auch Susanna und Dietmar Krautheim fühlen sich von der &bdquo;Aktualität und Urbanität“ der Erzählungen angezogen. Und kommen nach der Lesung am Signierstand persönlich mit dem Autor ins Gespräch, bevor er ihnen sein Autogramm überlässt. Eine Elegie auf Unkraut- und Gemüsegedichte Einen grandiosen Schlussakkord setzt am Stamstagabend die erheiternde und zugleich erhellende Begegnung der drei Lyriker Jan Wagner, Raoul Schrott und Federico Italiano. Da gibt es bei Jan Wagner nicht nur ein Gedicht über einen in Würde gealterte Motorradfahrer und ein Requiem für einen Friseur zu entdecken, sondern auch eine Elegie auf einen Lateinlehrer und verschiedene Unkraut- und Gemüsegedichte. &bdquo;Schriftstellerei ist Suggestionskraft“, sagt Raoul Schrott über ihr gemeinsames Handwerk. Dass dabei das moderne Gendern völlig unangebracht ist, steht für den Österreicher außer Frage: &bdquo;Damit werden Menschen danach beurteilt, was sie zwischen den Beinen haben. Und nicht danach, was sie im Kopf oder Herzen haben“, lässt Raoul Schrott seinem Ärger freien Lauf. Eine Ansicht, die die Besucher mit lautstarkem Applaus bestätigen.

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