Nach 100 Metern ist die Luft weg: 48-Jährige kämpft gegen Post-Covid

Bad Oeynhausen. Über Wochen saß sie auf dem Sofa in ihrem Wohnzimmer und hielt die Füße hoch, wenn ihre Schwester den Fußboden staubsaugte. Ihre 75-jährige Mutter kam täglich vorbei, um zu kochen und ihre Wäsche zu waschen. Auch das Einkaufen mussten andere für sie übernehmen. Autofahren durfte sie nicht. Heute - wenige Wochen später - lacht die 48-Jährige Bad Oeynhausenerin über die absurde Szene. Diese Hilflosigkeit. Unvorstellbar.Sandra K. (Name von der Redaktion geändert) leidet an Post-Covid. Im November 2021 infizierte sie sich mit Corona - der Delta-Variante. Es war ein schwerer Verlauf. Zehn Tage lag sie auf der Intensivstation im Bünder Krankenhaus, weitere zehn Tage auf der normalen Corona-Station. "Mir war zu dem Zeitpunkt gar nicht klar, wie knapp es für mich gewesen war." Studien zufolge leidet jeder zehnte Corona-Infizierte an Post-Covid. Gemeint sind Menschen, die nach mehr als drei Monaten nach der Infektion noch Symptome aufweisen. Symptome wie schnelle Erschöpfung, Kurzatmigkeit oder Konzentrationsstörungen. Bei Sandra K. sind sie alle aufgetreten und noch einige mehr. Asthma und diverse Allergien, wie gegen Tierhaare oder Heuschnupfen, hatte sie bereits vor der Corona-Infektion, doch Diabetes Typ 2 ist neu, der Haarausfall ist neu und dass sie jetzt nicht mehr Minusrechnen kann, macht ihr zu schaffen, sagt sie.Wollte auf keinen Fall intubiert werden Sie zeigt Bilder auf ihrem Handy. Da hatte sie noch dichtes, volles Haar. Jetzt sind nur noch ein paar Strähnen übrig geblieben. "Ich habe mit der Hand ins Haar gefasst und hatte ein ganzes Büschel in der Hand", erinnert sich die Heilpädagogin. Das sei nicht zu vergleichen mit dem, was sie in dem vergangenen halben Jahr durchgemacht habe, aber das sei schon furchteinflößend gewesen.Die Haare wachsen langsam wieder. Stolz zeigt K. auf die kurzen Stoppeln am Haaransatz. Das lässt sie lächeln. Stolz macht sie auch, dass sie 26 Kilo abgenommen hat. 15 Kilo seien bereits runter gewesen, als sie von der Intensivstation auf die normale verlegt worden sei, den Rest habe sie dann Zuhause bewusst abgenommen. "Wenn der Anfang schon gemacht war", erklärt sie.Auf einem anderen Foto liegt sie im Bett auf der Intensivstation. Schläuche führen aus ihrer Nase heraus. Immer wieder wurde ihr für einige Stunden eine Maske aufgesetzt, die ihr Sauerstoff zuführte, ihr aber auch das Atmen vorgab. Das zu akzeptieren, sei schwer gewesen. Die Krankenpflegerinnen hätten ihr oft zur Seite stehen müssen, damit sie keine Panik bekommen habe, sagt sie. Ihre Lungenleistung lag da bei 50 Prozent. Hätte das mit der Maske nicht funktioniert, hätte sie intubiert werden müssen. Das bedeutet eine externe Beatmung, aber auch ein künstliches Koma. "Ich habe so auf die Ärzte einredet, dass ich das auf keinen Fall will." Sie hatte es geschafft. Mit ihr hatte sich die ganze Intensivstation gefreut, erinnert sie sich. Nicht jeder Patient, der mit ihrem Zustand eingeliefert werde, kommt durch, wurde ihr gesagt. Als Alleinstehende ist man "verraten und verkauft" Als sie mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht wurde, war der Zustand kritisch. Dabei hatten die Corona-Tests Zuhause zunächst negativ reagiert. Doch ihr Zustand verschlechterte sich zunehmend, Magen-Darm kam hinzu. Erst ein PCR-Test bei der Hausärztin zeigte das Ergebnis: positiv. Obwohl sie zu dem Zeitpunkt bereits zweimal geimpft war.Als alleinstehende Frau war sie in der Quarantäne auf sich selbst gestellt. Niemand durfte rein. Sie sei immer schlapper geworden, erinnert sie sich. Das Gesundheitsamt habe erst angerufen, als die Quarantäne fast vorbei gewesen sei. "Wäre meine Familie nicht vorbeigekommen, um nach mir zu sehen, wäre ich hier elendig verreckt", sagt sie. "Als Alleinstehende ist man verraten und verkauft." Das müsse auch einmal gesagt werden. Die Quarantäne-Regelung für Alleinstehende sei nicht richtig, sagt sie. Das Gesundheitsamt hätte sich früher melden müssen oder einen Amtsarzt vorbeischicken müssen. Nicht jeder könne auf eine Familie oder Nachbarn zurückgreifen. Nach 100 Metern ist die Luft raus Mittlerweile ist sie auf keine Hilfe mehr angewiesen. Zwar braucht sie für den Haushalt jetzt vierfach so lang wie vorher, aber sie darf wieder Autofahren. Eigentlich hätte sie vor Ostern wieder in den Beruf eingegliedert werden sollen, aber die Ärztin habe gesagt, sie sei noch nicht soweit. "Allein Treppen steigen ist katastrophal." Nach 100 Metern ist die Luft weg. Dennoch: Langeweile kommt bei ihr nicht auf. Die Woche ist streng getaktet.Wegen des Muskelschwunds und der anhaltenden Gelenkschmerzen geht sie zwei Mal die Woche zur Krankengymnastik. Aufgrund ihres "Corona-Alzheimers", wie sie es scherzhaft nennt, besucht sei einmal die Woche die Ergotherapeutin und, um die Lunge wieder zu trainieren, macht sie Lungensport bei einem Reha-Sportverein sowie Wasser-Gymnastik. Zudem haben die Chorproben wieder angefangen. "Die Ärzte haben sich gefreut, als ich gesagt habe, dass ich singe. Das ist gut für das Trainieren der Atmung." All diese Termine hat sie in einem Kalender eingetragen - ohne würde sie jeden zweiten vergessen, sagt K. Dabei sei sie auf ihrer Arbeit immer diejenige gewesen, die alle Termine im Kopf gehabt habe. Man vermisse sie auf der Arbeit, aber zeigten auch Verständnis. Wie lange sie noch krankgeschrieben bleiben müsse, sei unklar. Zumindest so lange, bis sie mehr als 100 Meter gehen könne, ohne eine Pause machen zu müssen, schätzt die Bad Oeynhausenerin.

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