Jugendamtsleiter im Einsatz gegen physische und seelische Gewalt an Kindern

Bad Oeynhausen. Da muss auch ein altgedienter Jugendamtsleiter schlucken. Wenn Eckhard Mohrmann von seiner Zeit in der Kurstadt erzählt, erzählt er unweigerlich von Fällen, bei denen das Leben von kleinen Kindern in Gefahr war. In einem Fall sei es lediglich um Stunden gegangen. Mohrmann selbst verbringt zwar mittlerweile mehr Zeit hinterm Schreibtisch, doch seine Anfänge liegen in der Bezirkssozialarbeit. Das war vor 29 Jahren. Nun wechselt der 54-Jährige als Leiter des Jugendamtes nach Minden (die NW berichtete exklusiv). Der Mord an der Bahnhofstraße, bei dem drei kleine Kinder ihre Mutter verloren. Ein kleiner Junge, den Mitarbeiter halb verhungert ins Klinikum brachten, der Brandmale am Körper hatte und die Welt draußen gar nicht kannte. &bdquo;Die Ärztin brauchte Zeit, um sich zu fassen, als sie das Kleinkind auszog", erinnert sich Mohrmann. Nur einen Tag später, und das knapp ein Jahr alte Kind hätte nicht überlebt. Inzwischen gibt es liebevolle Eltern, die den Kleinen adoptiert haben: &bdquo;Er ist mittlerweile ein fröhlicher Junge, der eine Chance im Leben bekommen hat." Die Menschen sensibilisieren Und genau das ist es, was Mohrmann umtreibt. Die Chance für Kinder. &bdquo;Wir als Jugendamt sind Hilfe und Begleitung in vielen schwierigen Lebenssituationen." Egal ob Unterstützung für Kinder aus zerrütteten Familien, die ungewollt schwangere junge Mutter, die eine neue Lebensperspektive bekommt oder der straffällig gewordene Jugendliche, der wieder auf den graden Weg zurückfindet – all das zeichne ein Jugendamt aus. &bdquo;Wir definieren uns nicht nur über Projekte, sondern vor allem durch das, was durch unser Handeln an Leid vermieden werden konnte", bilanziert Mohrmann, der, wie er selbst sagt, viele bewegende Momente in der Kurstadt erlebt hat. Für den Schutz der Kinder hat sich der 54-jährige Mohrmann all die Jahre stark gemacht. Hat Vorträge in Kitas, Schulen, bei der Polizei oder an Erzieherschulen gehalten zum Thema &bdquo;Kindswohlgefährdung – Wahrnehmen und Handeln". Wollte die Menschen sensibilisieren. Denn oftmals sei es schwierig, den Anfang zu erkennen. &bdquo;Rote Striemen auf dem Rücken sind sichtbar. Aber oft genug gibt es auch seelische Gewalt an Kindern." Und auch die könne massiv in die Entwicklung von Kindern eingreifen. &bdquo;Ich bin froh, dass in Bad Oeynhausen kein Kind durch Misshandlungen oder Vernachlässigung zu Tode gekommen ist oder wir zu spät gehandelt haben", sagt Mohrmann. Wobei es natürlich auch in dieser 50.000-Einwohner-Stadt Gewalt gegen Kinder, Missbrauch und Vernachlässigung von Kindern gebe. &bdquo;Unser Ziel ist es immer, rechtzeitig hinzusehen – und gemeinsam zu überlegen, wie sich die Situation ändern lässt." Die Gesellschaft ist gefordert Einen massiven Anstieg von Kindswohlgefährdungen hat Mohrmann in seinen Dienstjahren aber nicht erlebt. Wohl aber Veränderungen. &bdquo;Psychische Erkrankungen haben zugenommen. Mehr Menschen melden sich bei uns und machen auf Vernachlässigung von Kindern aufmerksam." Doch die lässt sich schwer greifen. Anders sieht das bei Missbrauch aus: &bdquo;Da verzeichnen wir einen leichten Anstieg der Fallzahlen." Ebenfalls ein Thema waren in den vergangenen Jahren zugezogene Familien, die durch ihren kulturellen Hintergrund ein anderes Verständnis von Gewalt in der Erziehung und der Rolle der Mädchen mitbrächten. In den vergangenen Monaten hat Corona das Bild der Arbeit geprägt. Bei vielen Familien, so sagt der Jugendamtsleiter, hätte ein Streichholz gereicht, um Konflikte zu entzünden. Oftmals gleiche das Leben innerhalb der Familien eh schon einem Rennstall. Keine gemeinsamen Mahlzeiten, kalte Küche und kaum Zeit für Gespräche – der Job und die Gesellschaft forderten ihren Tribut. &bdquo;Ich verstehe, dass Frauen schnell wieder in den Beruf zurück wollen – aber oftmals ist das nicht so einfach mit den Bedürfnissen der Kinder zu vereinbaren." Manche Kinder bräuchten die Geborgenheit der Familie: &bdquo;Viele Kinder brauchen einfach mehr Zeit und keinen allzu frühen Start in die Kita." Da sei aber auch die Gesellschaft gefordert: &bdquo;Die Leistungen von Familien, von Müttern, werden viel zu wenig anerkannt." 29 Jahre hat Eckhard Mohrmann im Jugendamt Bad Oeynhausen gewirkt. Mit seiner Hilfe wurden die Frühen Hilfen als Präventionsangebot an den Start gebracht, wurde die Tagespflege eingerichtet. Der Ausbau der Kita-Plätze wurde vorangetrieben, die Ferienspiele überarbeitet, so dass es mehr Ganztagsangebote gibt, und die Jugendarbeit dahingehend verändert, dass projektbezogen gearbeitet wird. Nur die Familienhebamme, die Mohrmann gerne eingestellt hätte, bleibt vorerst ein Traum. Kritik: zu viele Standorte Kurz vor seinem Ende in Bad Oeynhausen äußert er aber auch Kritik: &bdquo;Ich habe mir gewünscht, das Jugendamt unter einem Dach zu vereinen. Aber das wurde nicht umgesetzt." Stattdessen hätten Eltern bis zu drei Anlaufstellen im Stadtgebiet. Und zudem das Problem, am Hauptsitz an der Steinstraße mit strengen Einlasskontrollen und Sicherheitsdienst konfrontiert zu werden. Denn im gleichen Gebäude wie Mohrmann und seine Kollegen ist das Sozialamt des Kreises untergebracht. Das verstärkt auf Sicherheit setzt. &bdquo;Ein Jugendamt braucht offene Türen – um jedem Hilfe zu bieten", betont Mohrmann. Vielleicht eine Aufgabe für seinen Nachfolger.

Meistgelesen