
Bad Oeynhausen/Minden. Franz-Josef Schmitz (57) war von Anfang an ein Verfechter massiver Testverfahren. "Wir müssen die Durchseuchung der Bevölkerung in Sachen Covid 19 kennen", sagt der Leiter des Institutes für Laboratoriumsmedizin am Johannes-Wesling-Klinikum.
Je mehr Menschen bereits Antikörper im Blut gebildet hätten, desto eher würden die gesellschaftlichen Beschränkungen sinken. "Die derzeitige Situation hält Deutschland keine drei oder vier Monate durch", winkt der Professor ab. Irgendwann müsse der Lockdown zurückgefahren werden. "Antikörper-Tests nach Infektionen plus Abstriche in der Akutphase bieten die Chance auf einen realen Eindruck der Situation." Rund 20.000 Antikörper-Tests können die Mühlenkreiskliniken durchführen, eine Grenze nach oben setzt höchstens die Personalsituation. Hinzu kommen noch einmal Kapazitäten für bis zu 40.000 sogenannter PCR-Tests, also die Untersuchung der Abstriche.

Dunkelziffer als Kernproblem
Die Dunkelziffer ist das Kernproblem. "Niemand weiß derzeit, wie viele Menschen akut an Covid19 erkrankt sind oder wie viele die Infektion schon durchgemacht haben", erklärt Franz-Josef Schmitz. Und somit seien auch die aktuellen Zahlen zur Sterblichkeitsrate viel zu hoch. "Wir reden derzeit von etwas mehr als 60.000 Infizierten", rechnet der Mediziner vor. Wobei er das Wort infiziert nicht mag. "Besiedelt trifft es eher", sagt er. "Weil selbst bei den nachgewiesenen Fällen nicht alle krank waren, nicht alle stationär behandelt werden mussten." Bei der aktuellen Zahl der Fälle bewege man sich derzeit im Promillebereich der Bevölkerung. Selbst bei einer zehnfach höheren Dunkelziffer liege man deutlich unter einem Prozent der Bevölkerung, die in Deutschland betroffen sei. "Wir müssen uns klarmachen, über welche Dimensionen wir reden. Die Wahrscheinlichkeit, im Supermarkt auf einen Infizierten zu treffen, geht momentan gegen Null." Auch wenn die Kurve noch ansteigen werde. "Die Menschen an den Beatmungsgeräten auf den Intensivstationen sterben aber nicht am Corona-Virus", erklärt der Professor. "Sondern an einer bakteriellen Superinfektion, die zu einer Lungenentzündung oder zum multiplen Organversagen führt."
Für einen Abstrich braucht es keine ärztliche Kunst
Franz-Josef Schmitz spricht sich für Massentests aus. "Wie in Südkorea. So einen Abstrich kann jeder zuhause machen, dafür braucht es keine ärztliche Kunst." Stäbchen eintüten und einschicken, fertig. Parallel dazu müssten Gesundheitsämter, Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte den Menschen Blut abzapfen, das dann im Labor auf Antikörper untersucht werde. So wie die ersten 96 Blutproben dieser Art im Labor der MKK - von ihnen wiesen 14 Proben Antikörper auf. "Macht eine Quote von 15 Prozent - vermutlich ist die im Rest der Bevölkerung ähnlich", vermutet Schmitz.
Rund 14 Tage nach Auftreten der ersten Symptome und drei Wochen nach der eigentlichen Infektion beginne im Blut die Produktion der IgG-Antikörper. Vorher - in der Akutphase - ist die Erkrankung nur mittels Abstrich nachweisbar. "Durch den Test auf Antikörper können wir sehen, ob der Organismus bereits Kontakt mit den Viren hatte." Wer nachweislich Antikörper gebildet hat, ist, so legen es erste Studien am Rhesus-Affen nahe, immun gegen Covid 19. Ein Ergebnis, das wichtig ist, um zu sehen, wie hoch die Dunkelziffer ist und wie viele Menschen bereits immun gegen das Corona-Virus sind. "Personal in Krankenhäusern, in Pflegeheimen, aber auch in Supermärkten sollte als erstes getestet werden", fordert Schmitz. Einen Engpass bei den Testkits erwartet er nicht. "Wir haben 20.000 geordert und nach Ostern wird der Produzent pro Tag eine Million davon herstellen", weiß Schmitz. Dem lediglich die Personalsituation in seinem Labor Grenzen setzt.
Vermutung einer hohen Durchseuchung
Franz-Josef Schmitz geht von einer bereits hohen Durchseuchung der Bevölkerung aus. "Wenn wir die Zahlen kennen und sie sind hoch, könnte das den Lockdown verkürzen", sagt der Leiter des Institutes. Denn eine schnelle Durchseuchung sei wichtig, um Antikörper zu bilden und Immunität herzustellen. "Wir brauchen einen Mittelweg zwischen Isolation und Öffnung, um die IgG-Produktion anspringen lassen zu können." Wie lange es braucht, bis mindestens 70 Prozent der Menschen in Deutschland "durchseucht" sind - das weiß aufgrund der fehlenden Zahlen keiner. "Wenn es tatsächlich nur diese aktuellen Fälle von etwas mehr als 60.000 sind, braucht es Jahre, bis wir einen Grundschutz haben."
Die gesellschaftlichen Fragen, aber auch der Betrieb in Unternehmen - all das hängt von den Antikörpern der Menschen ab. Wer sie hat, ist zum Beispiel schneller in der Masse wieder einsetzbar. Schmitz: "Die Jüngeren, Immunen, dürfen raus - müssen sie auch, weil sie noch produktiv sind. Die Älteren müssen vorübergehend mit weiteren Beschränkungen leben." Das sei der einzige Weg: "Wir müssen irgendwann öffnen - so ist das nicht haltbar." Denn nach der Pandemie sei vor der nächsten Epidemie. "Und man kann ja nicht jedes Mal einen Lockdown machen."