Literaturfest in Bad Oeynhausen befasst sich mit Falschmeldungen

Bad Oeynhausen. Da ist der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro, der Umweltschützer für die verheerenden Brände in der Amazonasregion verantwortlich macht. Oder Hillary Clinton, die 2016 im amerikanischen Wahlkampf beschuldigt wurde, in einen Kinderpornoring verwickelt zu sein. Aber was ist mit dem Autor Martin Schneitewind und seinem Roman &bdquo;An den Mauern des Paradieses"? Gibt es ihn nicht, nur weil man ihn im Internet nicht finden kann? Der Wald der Fakes und Fiktionen war das Thema bei der Autorenbegegnung von Raoul Schrott und Thomas Strässle zur Eröffnung der Poetischen Quellen. An die 250 Gäste waren in das Literaturzelt auf der Aqua Magica gekommen, um zu hören, was der österreichische Schriftsteller Raoul Schrott und der Schweizer Literaturwissenschaftler Thomas Strässle dazu zu sagen haben. Das aber erst nach dem offiziellen Teil, in dem Michael Scholz die 18. Poetischen Quellen mit einer pessimistischen Bestandsaufnahme zum Zustand der Welt eröffnete. &bdquo;Wir schwingen nicht mehr mit der Welt und erhalten deshalb auch kein Echo", so der künstlerische Leiter des Literaturfestes. "Vernetzt, aber nicht verbunden" Der Grund: &bdquo;Der Mensch versteht sich inzwischen als ein Produkt des Marktes", sagt Scholz, der dafür Beispiele liefert: &bdquo;Digitalisiert, aber nicht gebildet. Vernetzt, aber nicht verbunden. Alphabetisiert, aber sprachlos. Alles anschauend, aber nichts sehend". Ein ernstes Thema, in dem einzig sein Versprecher für einen humorvollen Moment sorgt, als er von Deutschland als dem &bdquo;Land der Lichter und Lenker" spricht und damit ungewollt einen passenden Übergang zum Thema Falschnachrichten und der Frage, wie wir Fakes von den vergleichsweise harmlosen Fiktionen der Schriftsteller unterscheiden, schafft. Moderator Jürgen Keimer gibt ein Beispiel: Wir alle wissen, dass es die mythologischen Figuren in der Literatur genauso wenig wie Romanhelden gibt. Aber trotzdem können wir sie uns vorstellen und uns in sie hineinversetzen. Denn Schriftsteller erzählen von Wesen und Begebenheiten, die es so gegeben haben könnte oder die sich so ereignet haben könnten. Thomas Strässler gibt ein Beispiel und trägt Peter Bichsels Geschichte &bdquo;Amerika gibt es nicht" vor. Darin behauptet der junge Colombin, das Land entdeckt zu haben. Er erschrickt gewaltig, als sich ein alter Seefahrer auf den Weg macht, um diese Behauptung zu überprüfen. Bei dessen Rückkehr ist die Erleichterung allerdings groß, denn er zwinkert Colombin zu und bestätigt, dass es Amerika tatsächlich gibt. Unversehens sind Colombins Lügen wahr geworden. "Literatur ist eine Art virtueller Versuchsanordnung" &bdquo;Die primäre Funktion von Literatur ist nicht Unterhaltung, sondern Sinn anhand eines roten Fadens zu produzieren – eine Art virtueller Versuchsanordnung", sagt Raoul Schrott. Diesen roten Faden gibt es auch in Martin Schneitewinds Roman &bdquo;An den Mauern des Paradieses", in dem ein Orientalist aus Toronto am Persischen Golf zu den Legenden der Genesis forschen will. Das Besondere daran: Die Tatsache, dass Schneitewind, aus dessen Nachlass das Buch stammen soll, völlig unbekannt ist, gab den Literaturkritikern Anlass zu Spekulationen über die Wahrhaftigkeit seiner Autorenschaft. Mit den Fakes ist das schon schwieriger. Was also tun? &bdquo;Bewusste politische Falschmeldungen sind keine Erfindung von Donald Trump, sondern die gibt es schon so lange, wie es Kriege gibt", sagt Thomas Strässle. Um Fakes zu entlarven, hilft es, vermeintliche Wahrheiten weniger nach dem zu beurteilen, was sie behaupten, sondern danach, wie sie dies tun, also ihre erzählerischen Strategien zu erkennen, rät der Literaturwissenschaftler. Und bleibt optimistisch: &bdquo;Wir werden immer mehr lernen, diese Dinge zu lesen. Und immer mehr Kompetenzen entwickeln, solche Falschmeldungen nicht mehr zu glauben".

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