Grabstein verrät viel über die Geschichte einer Familie aus Lippe

Oerlinghausen. Als einen Clan von Grundstücksmaklern und Baulöwen hätte man heute wohl die Steinmetzfamilie Reuter bezeichnet, die im 19. Jahrhundert im Bergdorf am Tönsberg ihre Geschäfte machte. Hella Sander vom Heimatverein Oerlinghausen erforschte den Werdegang der Reuters, die Grundstücke, Häuser und Steinbrüche wie in einem Monopolyspiel hin- und her verkauften. Ein großes historisches Grabmal aus Sandstein stand am Anfang ihrer Recherchen. Gefunden hatte es Klaus-Dieter Koch, selbst Steinmetzmeister, auf einem Schuttplatz von Grabsteinen in der Nähe des Oerlinghauser Friedhofs. Er restaurierte den markanten Grabstein fachmännisch und stellte das kleine Denkmal an seinem Grundstück am Breitenkamp auf. &bdquo;Her ruhet Karl Reuter, Steinmetzmeister, geb. 17. Oktober 1843, gest. 6. August 1901“ ist in die Marmorplatte des Grabmals eingraviert. &bdquo;Dieses Denkmal ist eines der ältesten Grabmale des auf dem 1854 angelegten Friedhof an der heutigen Rathausstraße“, sagte Hella Sander auf einem Vortrag des Heimatvereins, den sie gemeinsam mit Klaus Dieter Koch gestaltete. Die ersten Projekte mit wenig Eigenkapital gestartet Aus Berlebeck stammten die Vorfahren von Karl Reuter, seit Generationen waren sie Steinmetze. Der Vater und der Onkel von Karl Reuter begannen – nunmehr in Oerlinghausen – schon in den 1840er Jahren, die ersten Grundstücke zu kaufen und Häuser darauf zu bauen. Mit nur wenig eigenem Kapital starteten Simon und Adolf Reuter die ersten Projekte: Simon baute auf ein Grundstück &bdquo;Im Winkel“ an der heutigen Robert-Koch-Straße ein Haus, das er nach nur vier Jahren wieder mit Gewinn verkaufte. Mit den Erlösen und Kapital aus dem Erbe seiner verstorbenen Ehefrau folgten weitere Aktionen. Sein Bruder Adolf Reuter startete seine erfolgreiche Karriere, indem er als 24-Jähriger eine kinderlose, begüterte Witwe im Alter von 53 Jahren heiratete. &bdquo;Schon bald nach seiner Heirat begann er Grundstücke zu kaufen, zu tauschen, zu bebauen und wieder zu verkaufen. Heute würde man ihn als Makler bezeichnen“, erzählte Hella Sander. Adolf Reuter erwies sich nicht nur ein erfolgreicher Geschäftsmann. Er engagierte sich auch in der Gemeindepolitik. &bdquo;1844 musste der Ortsvorsteher Hildebrand zurücktreten, an dessen Stelle trat zeitweise Reuter. Er setzte sich auch für die Gemeindebibliothek ein. Später war er ebenfalls im Kirchenvorstand.“ Ein neues Geschäftsfeld Adolf Reuters bildete ein Kalkofen am Menkhauser Berg, in dem gebrannter Kalk für den Häuserbau produziert wurde. Da in jener Zeit, Mitte des 19. Jahrhunderts, ein Boom im Bau von Steinhäusern einsetzte, versprach die Baubranche satte Gewinne für Adolf Reuter. Nach dem Bau des Kalkofens und Eröffnung eines Steinbruchs am Menkhauser Berg (nicht zu verwechseln mit dem späteren Kalkofen am Barkhauser Berg) klagten Anlieger an der Alten Holter Straße über Gestank und Umweltschäden. Gerichtsprozesse folgten, doch Reuters Kalkbrennen ließ sich damit nicht stoppen. An der heutigen Hermannstraße erwarb er zudem ein Grundstück, baute ein Haus darauf und beantragte zeitgleich auch die Genehmigung für einen Steinbruch am Tönsberg, um dort Sandstein für Oerlinghauser Häuser abzubauen. &bdquo;Während seiner Ehe hat Adolf Reuter fünf Grundstücke verkauft, manche geteilt, sieben Grundstücke verkauft, neun Häuser gebaut, acht mit Grundstück verkauft.“ Als er starb, erbte seine Witwe ein stattliches Vermögen. Einige Häuser verkaufte sie direkt an ihren Neffen Karl Reuter, der auf dem besagten Grabstein verewigt ist. Mit der Hochzeit blieb alles in der Familie Denn nun begann eine neue Runde im Spiel der Reuters. Nur eine Woche nach dem Kauf der Häuser seines Onkels Adolf Reuter heiratete der 27-jährige Karl Reuter die 38-jährige Witwe seines verstorbenen Onkels. &bdquo;So blieb alles Vermögen in einer Familie“, berichtete Hella Sander humorvoll. Bald erwarb er mit einem Partner einen weiteren Steinbruch am Tönsberg. Auch als Arbeitgeber scheute er offenbar keine Schwierigkeiten. Gelegentlich gab es gerichtliche Auseinandersetzungen mit den Mitarbeitern, denn Karl Reuter besaß offenbar einen höchst autoritären Führungsstil. &bdquo;Er ließ allsonntäglich seine Arbeiter antreten, um sich darüber Notizen zu machen, was sie im Laufe der vergangenen Woche gearbeitet und verdient hatten“, sagte Sander. Auch seine Grundstückskäufe und -verkäufe sowie Aufteilungen sind legendär. Als die Gemeinde Oerlinghausen zum Beispiel im Jahre 1877 eine Mittelschule an der Kirche errichten wollte, war Karl Reuter wieder mit Grundstücksverkäufen und Tauschgeschäften mit der Kirchengemeinde dabei. Die sogenannte Rektorschule am Kirchplatz, in der vor allem Kinder begüterter Oerlinghauser Unterricht erhielten, wurde Ostern 1878 ihrer Bestimmung übergeben. &bdquo;Steinmetzmeister Karl Reuter verstarb am 6. August 1901 im Alter von 58 Jahren an Lungentuberkulose“, fasste Hella Sander zusammen, &bdquo;seine Witwe wurde Alleinerbin. Alle männlichen Familienmitglieder waren ausschließlich im Steingewerbe tätig gewesen.“

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