Nach zwei Jahren unter Strom: Darum herrscht bei Phoenix Contact in Blomberg Zuversicht

Blomberg. Wie steht es um einen der größten und wichtigsten Arbeitgeber im Kreis Lippe? In den vergangenen zwei Jahren gab es von Phoenix Contact ungewohnte Nachrichten. Über Stellenabbau, eine gescheiterte Investoren-Suche im Bereich E-Mobility und Umsatzrückgänge. Ulrich Leidecker – er ist Sprecher der Geschäftsführung und Verantwortlicher für das operative Geschäft der Gruppe (COO) – sowie Andreas Rau, Chef der Tochter E-Mobility Holding SE, nahmen sich jetzt Zeit, um im Interview ausführlich über den Stand der Dinge zu sprechen. Beide sehen erste Anzeichen für eine Trendumkehr. Ich beginne mit einer offenen Frage: Was müssen unsere Leserinnen und Leser aktuell über Phoenix Contact unbedingt wissen? Ulrich Leidecker: Phoenix Contact bekennt sich klar zum Standort Deutschland – trotz der aktuell schwierigen wirtschaftlichen Lage in Zentraleuropa. Wir tun alles dafür, als Familienunternehmen nachhaltig, wirtschaftlich gesund und erfolgreich zu bleiben. Wie ist die Stimmung im Unternehmen – eher zuversichtlich oder besorgt? Ulrich Leidecker: Ich würde sagen, dass es eine vorsichtige Zuversicht gibt. Aber viele strukturelle Probleme im wirtschaftlichen Umfeld bleiben ungelöst. Und wir sind in Europa maßlos überreguliert. Da muss man ehrlich sein, dass beispielsweise ein Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz zum Teil für Erstaunen im asiatischen Raum sorgt. Mehr zum Thema: 600 Jobs betroffen: Das sagt Phoenix Contact zum geplanten Stellenabbau Was hemmt konkret Ihre Zuversicht? Ulrich Leidecker: Es sind vor allem Regulierungen, die keinen echten Wert schaffen. Der AI Act zur Künstlichen Intelligenz oder diverse Reportingpflichten sind Beispiele. Bei zweitem belegen wir sehr häufig, dass wir korrekt handeln – aber erzielen dadurch keinerlei wirtschaftlichen Nutzen. Gilt der gedämpfte Optimismus auch für den Bereich Elektromobilität? Andreas Rau: Auch hier gibt es eine vorsichtige Zuversicht. Die Branche erlebte eine Goldgräberstimmung, die sich 2023 abrupt abkühlte. Das Geschäft halbierte sich stellenweise, Lieferketten brachen ein. Die Unsicherheit durch politische Signale – etwa beim Hin und Her in Sachen Verbrenner-Verbot – verstärkt die Zurückhaltung der Verbraucher. Das bedeutet konkret? Andreas Rau: Die Auslastung der Ladeinfrastruktur ist zu gering. Die Betreiber von Ladesäulen, die Elektrizität verkaufen wollen, halten sich bei Investitionen weiter zurück. Wir beobachten den Markt genau und haben die Zeit genutzt, um uns bei großen Ladesäulenherstellern als Lieferant zu positionieren. Der Wettbewerb ist hart – auch durch Druck aus China. Das ist das neue Normal, dem wir uns stellen. Phoenix Contact E-Mobility fokussiert fortan das Geschäft auf Lösungen und Komponenten im Bereich Ladeinfrastruktur und stärkt gleichzeitig den Fokus auf Komponenten für die Elektrifizierung von Nutzfahrzeugen. Aus dem Geschäft mit Pkw-Herstellern wird sich das Unternehmen schrittweise zurückziehen. Lesen Sie auch: Wie Firmen Kosten mit Innovationen senken Herr Rau, Sie hatten zwischenzeitlich einen externen Investor gesucht. Wie bewerten Sie diesen Schritt heute? Andreas Rau: Zufrieden ist man dann, wenn man beide Wege erlebt hat und abwägen kann. Unser bisheriges Geschäftsmodell – vom Auto über die Ladesäule bis zum Gebäude – war sehr kapitalintensiv. Unser aktueller Investor, also die eigene Gruppe, konnte das nicht vollständig mittragen. Deshalb erhielten wir die Möglichkeit, einen weiteren Partner zu suchen. Das war also eher ein Privileg. Auch wenn es nicht geklappt hat, haben wir daraus gelernt und unser Portfolio verschlankt. Herr Leidecker, spüren Sie einen politischen Paradigmenwechsel, etwa durch Konjunkturpakete oder Investitionsanreize? Ulrich Leidecker: Ehrlich gesagt verspüren wir kaum einen Paradigmenwechsel. Die Standortnachteile sind durch hohe Energiepreise, komplexe Steuergesetze und überbordende Regulierungen enorm. Im internationalen Vergleich sind wir weniger wettbewerbsfähig. Investitionen in energieintensive Branchen bleiben oft aus. Wie hoch ist aktuell die Mitarbeiterzahl am Standort Blomberg? Ulrich Leidecker: Es sind etwa 5500 Mitarbeitende am Standort, mit leichter Tendenz nach unten. Wir haben bei Nachbesetzungen Zurückhaltung geübt und rechnen bis Jahresende daher mit einem moderaten Rückgang. Außerdem interessant: Vier-Tage-Woche rettet Stellen: Taugt Phoenix Contact als Vorbild? Wie wurde der Stellenabbau kommuniziert? Ulrich Leidecker: Wir haben offen und frühzeitig über den Stellenabbau informiert. Im Rahmen unseres Perspektivprogramms haben wir angekündigt, rund 600 Stellen in der Kerngruppe abzubauen und dieses möglichst sozialverträglich und ohne betriebsbedingte Kündigungen zu erreichen. Konnte dieses Ziel eingehalten werden? Ulrich Leidecker: Ja, wir sind auf einem guten Weg. Das Programm bot unter anderem Sabbaticals und vorgezogene Altersteilzeit an. Natürlich war nicht jeder begeistert, aber viele haben die Angebote genutzt. Die Sorge war zunächst groß, doch wir haben gezeigt, dass es auch ohne Kündigungen geht. Wie wirkt sich die wirtschaftliche Lage auf die Stimmung aus? Ulrich Leidecker: Natürlich sorgt ein Umsatzrückgang von 3,6 Milliarden Euro im Jahr 2022 auf rund 3 Milliarden Euro im Jahr 2024 für Verunsicherung. Die Mitarbeitenden haben sich gefragt, was das für sie bedeutet. Wir haben versucht, dieser Angst mit Transparenz und Angeboten zu begegnen. Das hat geholfen, die Stimmung zu stabilisieren. Lesen Sie zur Innovationskraft aus OWL: Diese 11 Unternehmen gehören zu Deutschlands Top 100 Und nun? Droht Phoenix Contact beim Umsatz unter die Marke von drei Milliarden Euro zu rutschen? Ulrich Leidecker: Nein, das sieht aktuell nicht so aus. Unsere Hochrechnung zeigt ein solides einstelliges Wachstum. Aber wir sind vorsichtiger geworden mit Prognosen. Dennoch sind wir nicht auf dem Umsatzniveau von 2023, geschweige denn auf dem von 2022. Viele Investitionen wurden damals unter anderen Voraussetzungen angestoßen. Müssen sich die Profi-Sportvereine in Lippe Sorgen machen – etwa um das Sponsoring? Ulrich Leidecker: Das Thema Sponsoring wurde intern natürlich auch diskutiert. Gewiss ist eine derartige Förderung nicht leicht, wenn man gleichzeitig Stellen abbaut. Aber wir haben uns bewusst entschieden, unser Engagement fortzuführen – auch wenn es nicht ausgeweitet wird. Warum halten Sie daran fest? Ulrich Leidecker: Wir halten daran fest, weil wir auch eine Verantwortung für die Region tragen. Ein Rückzug hätte negative Signale gesendet – für die Vereine, für Lemgo, für unsere Mitarbeitenden. Wir sind weiterhin aktiv, etwa beim TBV Lemgo-Lippe, an der Technischen Hochschule und im CIIT. Das ist auch Teil unseres Selbstverständnisses. Herr Leidecker, Sie sprechen in der Vergangenheit oft vom Ziel, die Wertschöpfung zu regionalisieren. Was bedeutet das konkret? Ulrich Leidecker: Die Corona-Zeit hat uns gezeigt, wie abhängig wir von globalen Lieferketten sind. Wir haben gelernt, dass Resilienz entsteht, wenn die Produktion näher an den Absatzmärkten stattfindet. Wir haben gezielt in Indien, Südostasien, China, Mexiko, den USA und Kanada investiert – und auch in Polen, um Europa besser zu bedienen. Ziel ist es unter anderem, identische Produkte an mehreren Standorten fertigen zu können. Das erhöht die Stabilität unserer Lieferketten. Wie steht es um das Distributionszentrum in Blomberg? Ulrich Leidecker: Das Distributionszentrum wird weiter gebaut, wenn auch etwas langsamer als ursprünglich geplant. Die Inbetriebnahme ist für Ende 2028 vorgesehen. Mit über 100 Millionen Euro Investitionsvolumen ist das ein klares Bekenntnis zum Standort Deutschland und zur langfristigen Versorgungssicherheit. Auf welches Produktfeld setzen Sie aktuell die größten Hoffnungen? Ulrich Leidecker: Automation ist für uns ein zentrales Thema, insbesondere im Kontext der &bdquo;All Electric Society“. Unsere Automatisierungslösung PLCnext bildet dabei den intelligenten Kern vieler Anwendungen. Sie ist vielleicht nicht immer der größte Umsatztreiber, aber entscheidend für unsere Positionierung als Systemanbieter. Mehr zum Thema Wirtschaft: In OWL werden Chefs gesucht: So wird man Unternehmer Gibt es weitere strategische Schwerpunkte? Ulrich Leidecker: Ja, ein weiterer strategischer Schwerpunkt ist insbesondere die DC-Technologie, also die Gleichstrom-Technologie. In unserer All Electric-Society-Factory zeigen wir, wie sich mit Gleichstromnetzen bis zu 30Prozent Energie einsparen lässt, beispielsweise durch Rückgewinnung beim Absenken von Lasten. Wir entwickeln dafür neue Steck-, Schalt- und Schutztechnik, da die bisherigen Wechselstrom-Standards nicht ausreichen. Andreas Rau: Im Bereich der Elektromobilität würde ich sicher noch die Weiterentwicklung und Produktion von Schnellladekabeln nennen. Das ist ebenfalls ein spannendes Feld mit viel Potenzial – ein echtes Leuchtturmprojekt. Spielt Verteidigungstechnik bei Phoenix Contact eine Rolle? Ulrich Leidecker: Wir liefern vereinzelt Komponenten in den Bereich Verteidigungstechnik, aber ohne strategische Ausrichtung auf Militärtechnik. Unsere Produkte sind nicht speziell für militärische Standards entwickelt. Ein Ausbau in diese Richtung ist derzeit nicht geplant.

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