
Oerlinghausen / Detmold. In Oerlinghausen treffen sich zwei Männer, um Sex miteinander zu haben. Treffpunkt ist die Wohnung des einen. Die beiden sitzen im Wohnzimmer, trinken ein paar Bier. Dann gehen sie gegen 22.40 Uhr ins abgedunkelte Schlafzimmer, wo im Bett einvernehmlicher Sex stattfindet. Einer der beiden, der den dominanten Part übernimmt, fordert den anderen auf, sich auf den Bauch zu legen.
Den Wunsch nach Analverkehr hat er schon vorher in WhatsApp-Nachrichten geäußert. Während der dominante Mann seinen Sexpartner penetriert, greift er sich einen Zimmermannshammer, der wohl auf dem Nachttisch gelegen hat, und schlägt dem vor ihm Liegenden damit zweimal mit voller Wucht auf den Kopf. Den dritten Schlag kann das Opfer abwehren, doch der Angreifer schlägt weiter zu, trifft das Opfer am Körper.
Für diese Tat musste sich der 27 Jahre alte Oerlinghauser vor dem Landgericht Detmold verantworten. Den Vorsitz führte Richter Karsten Niemeyer. Verurteilt wurde der Angeklagte schließlich zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten.
Angeklagter kommt unbefristet in die Forensik
Außerdem ordnete das Gericht eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach Paragraf 63 Strafgesetzbuch (StGB) an. Diese Unterbringung in der Forensik ist zeitlich unbefristet. Sie wird beendet, wenn zu erwarten ist, dass die psychisch kranke Person außerhalb der forensischen Psychiatrie keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begeht. Der Aufenthalt kann also auch länger als die vier Jahre und neun Monate dauern.
Die Unterbringung in der Forensik nach Paragraf 63 ist eine der schärfsten Maßnahmen der deutschen Gerichtsbarkeit. Dem Opfer wurde ein Schmerzensgeld in Höhe von 7.500 Euro zugesprochen. Der Angeklagte muss zudem sämtliche durch das Verfahren entstandenen Kosten tragen.
Was Staatsanwaltschaft und Verteidigung forderten
Staatsanwältin Helena Fromme hatte sechs Jahre und neun Monate plus der unbefristeten Unterbringung in der Forensik gefordert, dem sich Laura Steinmeister, Rechtsanwältin des Nebenklägers, anschloss.Verteidiger Helmut Wöhler hatte für seinen Mandanten fünf Jahre Freiheitsentzug ohne Unterbringung in der Forensik beantragt. Während der Nebenkläger mit dem Urteil zufrieden war, will Rechtsanwalt Wöhler erst einmal die schriftliche Begründung des Urteils abwarten und dann mit seinem Mandanten besprechen, ob er in Revision gehen wird.
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Bei der Urteilsbegründung ist Richter Karsten Niemeyer vom eingangs geschilderten Tathergang ausgegangen. Obwohl der Angeklagte geständig war, gab er an, für den Zeitraum der eigentlichen Tat einen Blackout gehabt zu haben. Das Gericht folgte beim Tathergang den Schilderungen des Opfers.
Angeklagter leide an schizoider Persönlichkeitsstörung
Im Verlauf des Prozesses kam als Sachverständiger auch der Gütersloher Psychiater Gerhard Dankwarth zu Wort. Er bescheinigte dem Angeklagten eine schizoide Persönlichkeit. Das sei nicht zu verwechseln mit Schizophrenie. Eine schizoide Persönlichkeitsstörung ist geprägt von allgemeinem Desinteresse an sozialen Beziehungen und durch eine begrenzte Anzahl von Emotionen in zwischenmenschlichen Beziehungen.
Ursächlich dafür könnten nach Dankwarth abnorme psychosoziale Umstände im Elternhaus sowie späterer Alkoholmissbrauch sein. Der Angeklagte habe zwischen seinem 7. und 14. Lebensjahr vom Vater Gewalt erfahren, sein älterer Bruder habe ihn gewürgt und sexuell missbraucht. Zweimal hat Dankwarth mit dem Angeklagten gesprochen. Beide Male hat der Psychiater festgestellt, dass sich der Angeklagte bei problematischen Fragen auf Erinnerungslücken zurückzog, für die es medizinisch keine Erklärung gab.
Missbrauch und exzessiver Konsum von Pornografie
Als er 16 Jahre alt war, hat er seine eigene Schwester sexuell missbraucht, ohne den Geschlechtsverkehr auszuführen. Diese Tat hat er beim ersten Treffen verneint und erst beim zweiten Treffen bestätigt. Sich selbst, so sagt der Sachverständige, beschreibe der Angeklagte als nett und jemand, der nie in Schlägereien verwickelt war. Er stellte aber eine extreme Beschäftigung des Angeklagten mit Pornografie fest, was zu einer Telefonrechnung in Höhe von 700 Euro geführt hatte. Der exzessive Konsum von Pornografie wurde vom Angeklagten erst auf wiederholte Nachfrage Dankwarths bestätigt und dann sofort bagatellisiert. Der finanziell vom Staat abhängige Oerlinghauser hat Schulden in Höhe von 10.000 bis 12.000 Euro.
Der Angeklagte leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung, in deren Folge er sich auch selbst verletzte. Er weise vielfältige psychische Störungsmuster auf. Mal war er dem Sachverständigen in den beiden Gesprächen unsicher zugewandt, dann wieder sehr zurückhaltend. Auffallend war seine starre Mimik. Die war auch während des Prozesses erkennbar. Den Ausführungen des Sachverständigen folgte er mit ausdruckslosem Gesicht. Den Kopf hatte er meistens mit der offenen rechten Hand abgestützt. Lediglich manchmal trommelte er mit den Fingern der linken Hand auf den Tisch, als ob er das Ende des Sachverständigenberichts herbeisehne.
Die Frage nach dem Motiv der Tat bleibt unklar
Was der Angeklagte mit Blackout meine, konnte der Sachverständige nicht nachvollziehen. „Solch einen Begriff gibt es in der Psychiatrie nicht“, sagte er. Fest stehe für ihn, dass der Angeklagte beim Sex die dominante Rolle übernommen habe. Die Frage nach dem Motiv konnte der Sachverständige nicht klären. Gerhard Dankwarth geht in seinem Bericht davon aus, dass anzunehmen sei, dass auch zukünftig im sexuellen Machtrausch Gewalttaten möglich seien. Er regte „unter Umständen“ den psychiatrischen Maßregelvollzug an. Beide Parteien rückten während des Prozesses vom Verdacht des versuchten Mordes ab, denn der Vorsatz, das Opfer töten zu wollen, konnte nicht nachgewiesen werden. Verurteilt wurde der Oerlinghauser dann wegen gefährlicher Körperverletzung.
Erstmeldung: Mordkommission ermittelt: Oerlinghauser schlägt mit Hammer auf Opfer ein
Die Tat sei rational nicht nachvollziehbar, sagte Karsten Niemeyer bei der Urteilsbegründung. Die beiden hätten sich bei der Arbeit kennengelernt, es habe schon vorher sexuellen Kontakt gegeben und an dem Abend der Tat habe es vor dem einvernehmlichen Sex auch keinen Streit gegeben. Dass das Tatwerkzeug, der Zimmermannshammer, griffbereit neben dem Bett auf einem Nachttisch lag, wie es Karsten Niemeyer in der Urteilsbegründung angab, wurde damit erklärt, dass der Angeklagte am Tag vor der Tat für seine Katze ein Kletterbrett an der Wand angebracht hatte und vergessen hatte, den Hammer in den neben dem Schlafzimmer liegenden Werkraum zurückzulegen.
7.500 Euro Schmerzensgeld für das Opfer
Die 7.500 Euro Schmerzensgeld stellen für das Opfer eine gewisse Genugtuung dar. „Außerdem hat er den Titel und der ist 30 Jahre lang gültig“, sagt seine Rechtsanwältin Laura Steinmeister. Doch das Opfer hat weiter mit psychischen und physischen Folgen der Tat zu kämpfen. „Am schlimmsten ist der Verlust des Vertrauens“, sagte das Opfer im Gespräch mit der Neuen Westfälischen. „Ich brauche weiterhin therapeutische Hilfe.“
Außerdem muss er ständig eine verstärkte Kopfbedeckung tragen, weil die Wunde, die durch die Hammerschläge entstanden ist, nicht mehr zuwächst. Lediglich die Kopfhaut ist wieder zusammengewachsen. In der Schädeldecke wird ein Loch bleiben. Die Folgen: Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit. Seit dem Tag der Tat, dem 7. September 2024 ist er arbeitsunfähig, weil er bei seiner Arbeit in der Industrie einen Schutzhelm tragen müsste. Das geht wegen der Verletzung nicht mehr.
Nach dem Urteil bleibt das Opfer als zutiefst verstörter Mensch zurück.