Autistisch und hochbegabt: Lemgoer Vincent hat nach langer Suche eine Schule gefunden

Lemgo. &bdquo;Es bleibt ein langer und harter Kampf“, das sagt Iris Gehrmann über die Beschulung ihres Sohnes Vincent. Der Neunjährige ist Autist und hochbegabt, Unterricht an einer Regelschule daher kaum möglich. Lange Zeit wurde er daher von seiner Mutter daheim unterrichtet. Eine belastende Situation. Ihr Wunsch: Dass ihr Sohn an eine Internetschule gehen darf. Und der hat sich Ende November erfüllt. Seither ist Vincent Schüler der &bdquo;web-individualschule“ in Bochum. Die Bildungseinrichtung in privater Trägerschaft hat keine staatliche Anerkennung. Schüler benötigen das Ruhen der Schulpflicht oder eine dauerhafte Krankschreibung. Von Montag bis Freitag hat der Lemgoer um 8.10 Uhr Videounterricht per Skype mit seiner Lehrerin für 20 Minuten. Dann ist der nächste Schüler dran. Ein Schüler wird immer nur von einer Lehrkraft unterrichtet. So können sich die Lehrer besser auf die Bedürfnisse der Schüler einstellen. Erste Geburtstagsfeier mit Freunden Nach dem Unterricht ist Selbstlernzeit, in der Vincent Aufgaben erledigen muss. Hat er Fragen, kann er diese seiner Lehrerin im Chat stellen, die diese in den Pausen beantwortet. Falls Vincent sehr schnell fertig damit ist, kann er extra Aufgaben bekommen, wenn er will. Aber zu schnell soll es auch nicht gehen: &bdquo;Vincent hat eine schnelle Auffassungsgabe und ist im Wissen sehr weit“, sagt seine Mutter. Wenn er zu früh bereit für seine Abschlussprüfung sein sollte, könnte es Probleme geben, eine Schule zu finden, an der er das machen kann. Denn Klausuren oder Noten gibt es an der Internetschule nicht, um den Druck rauszunehmen. Abschlussprüfungen müssen an einer normalen Schule als Gast abgelegt werden. Und dafür in jungen Jahren die Zulassung zu bekommen, sei nicht immer einfach, weiß Gehrmann, die nach dem ersten Bericht in der &bdquo;Lippischen Landes-Zeitung“ über Vincents verzweifelte Suche nach der richtigen Schule mit anderen Eltern in ähnlichen Situationen in Kontakt gekommen ist. Die Kinder hätten sich angefreundet und so habe Vincent im Dezember zum ersten Mal Geburtstag mit Freunden gefeiert. &bdquo;Das war toll für ihn“, sagt seine Mutter. Lesen Sie auch: Wie eine Mutter von Kindern mit Autismus angefeindet wird &bdquo;Ich bin kein Einzelfall“ Vincent lernt diese Woche in der Webschule Erdkunde. Der Blockunterricht ist intensiver, und der Neunjährige muss sich nicht täglich auf ein neues Fach einstellen. Generell werden nur prüfungsrelevante Fächer gelehrt: Neben Erdkunde sind das Deutsch, Mathe, Englisch, Biologie und Geschichte. Alles andere, wie Kunst, Musik und Physik, versucht ihm seine Mutter nach dem Unterricht beizubringen. Wobei Physik sowieso Vincents Leidenschaft ist. Der Neunjährige hat sich sogar ein eigenes kleines Labor eingerichtet. Und wie findet Vincent die Internetschule? &bdquo;Viel besser. Ich bin an einer Web-Individualschule, das bedeutet, der Unterricht ist für jeden anders. Das würde ich mir auch an einer normalen Schule wünschen.“ Seine Mutter ergänzt: &bdquo;Er macht das sehr gerne und wir sind total zufrieden.“ Vermisst der Neunjährige denn nichts, zum Beispiel andere Kinder? &bdquo;Ich vermisse meine alte Schule oder die anderen Kinder nicht. Ich wurde ja schon lange von zu Hause beschult. Aber ich habe ein anderes Kind in der Schach-AG kennengelernt. Das ist so wie ich. Da habe ich gemerkt, dass ich kein Einzelfall bin.“ Berufswunsch Physiker Denn neben dem Unterricht gibt es an der Internetschule auch unterschiedliche Arbeitsgemeinschaften. Dadurch kann der autistische Junge ebenso lernen, Kontakte zu knüpfen. Das sei seiner Mutter wichtig. Auch durch Workshops, von denen Vincent in letzter Zeit viele besucht habe, sei das möglich. Unter anderem war er am Denkmalinstitut in Detmold oder hat etwas zum Thema Sterne und Planeten gelernt. &bdquo;Aber Gruppen mit mehr als drei bis sechs Kindern sind zu viel für ihn, habe ich gemerkt“, sagt Iris Gehrmann. Toll sei für den Jungen auch gewesen, als seine Lehrerin ein Expertengespräch mit einem Physiker organisiert habe. Denn Vincent will später auch Physiker werden. Im Unterricht musste er einen Aufsatz auf Englisch über sein Traumhaus schreiben. Und das hat natürlich einen Physikraum und ein Observatorium. Denn der Neunjährige ist ebenso fasziniert vom Weltraum. Schwierige Jobsuche Doch schon bald muss Iris Gehrmann für ihren Sohn erneut die Schulpflichtbefreiung und Übernahme der Kosten beantragen, damit Vincent weiter auf die Webschule gehen darf. &bdquo;Das muss jedes Jahr erneut geschehen und ich muss regelmäßig Gutachten von seinem Psychiater vorlegen. Man hat leider keine Gewissheit auf lange Zeit und muss immer wieder auf eine Klage vorbereitet sein“, sagt sie. Diese Bürokratie ist nicht nur anstrengend, sondern auch schwierig für die eigene Jobsuche. &bdquo;Ich bräuchte eine Anstellung, die ich von daheim erledigen kann und bei der ich mir die Zeit frei einteilen kann, damit ich zwischendurch mal nach Vincent schauen kann“, sagt die gelernte Sport- und Fitnesskauffrau, die lange Zeit in der Projektüberwachung einer Metallfertigung gearbeitet hat. Immerhin schaffe sie es nun mal, sich um den Haushalt zu kümmern, während Vincent Unterricht hat, sagt sie. Ein Fortschritt. &bdquo;Vincent geht vor. Ich stelle mich hinten an. Aber wenn ich Arbeit hätte, würde ich etwas für mich tun und wäre nicht nur die Mama von Vincent“, sagt Iris Gehrmann nachdenklich. Die Lemgoerin hofft, dass sie bald wieder einem Job nachgehen kann. &bdquo;Denn Ziel des Unterrichts an der Webschule ist es schließlich, ihn zur Selbstständigkeit zu erziehen und ihn aufs Leben vorzubereiten.“ Auch interessant: So ist das Leben mit einem autistischen Kind Was ist Autismus? Laut dem Bundesverband zur Förderung von Menschen mit Autismus handelt es sich um eine neurologische Entwicklungsstörung, die sich auf die soziale Interaktion, die Kommunikation und das Verhalten auswirkt. &bdquo;Menschen mit Autismus können soziale und emotionale Signale nur schwer einschätzen und haben ebenso Schwierigkeiten, diese auszusenden. Die Reaktionen auf Gefühle anderer Menschen oder Verhaltensanpassungen an soziale Situationen sind selten angemessen“, heißt es. Und weiter: &bdquo;Die Besonderheiten im Verhalten sind charakterisiert durch eingeschränkte, sich wiederholende und stereotype Verhaltensmuster, Interessen und Aktivitäten. Alltägliche Aufgaben werden starr und routiniert ausgeführt.“ Betroffene haben darüber hinaus große Schwierigkeiten mit der Wahrnehmung und der Verarbeitung von Umwelt- und Sinnesreizen.

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