Mathilda will Fahrradfahren: Neunjährige aus Lage stößt an die Grenzen der Inklusion

Lage. Sie möchte ein ganz normales Mädchen sein: Diesen Wunsch formuliert die neunjährige Mathilda absolut klar. Und in vielen Bereichen des Lebens kann sie das auch. &bdquo;Mathilda ist zwar körperlich maximal eingeschränkt, aber kognitiv topfit“, berichtet ihre Mutter Christina (voller Name ist der Redaktion bekannt) im Gespräch mit dieser Redaktion. Ihre Tochter besucht eine Regelschule und macht im Unterricht genauso mit wie ihre Mitschülerinnen. &bdquo;Aber mit Unterstützung“, erläutert sie weiter. Mathilda kam als Frühchen auf die Welt und wurde mit der infantilen Cerebralparese (ICP) geboren. Dabei handelt es sich um eine bleibende Störung des Haltungs- und Bewegungsapparates aufgrund einer nicht fortschreitenden Schädigung des unreifen Gehirns. Die Prognosen für Mathildas Zukunft fielen seit ihrem ersten Geburtstag unterschiedlich aus – je nachdem, welchen Arzt die Eltern fragten, wurden verschiedene Szenarien ausgemalt, die von einem Leben ohne Beeinträchtigung bis zu schweren körperlichen und geistigen Einschränkungen reichten. Ihren Alltag meistert das Mädchen heute mit dem Rollstuhl und der Unterstützung von Schulbegleiterin Kristina Eitner. So sieht Mathildas Alltag aus Mathilda und ihre Integrationskraft treffen sich jeden Morgen in der Schule. &bdquo;Ich versuche, alles so zu machen, wie sie es gerne möchte. Ich unterstütze ja nur. Ich versuche nicht, für sie zu entscheiden“, beschreibt Kristina Eitner ihre Aufgabe. Bestimmte Tätigkeiten übernimmt sie auf Wunsch für das Kind. &bdquo;Ich mache zum Beispiel Schreibassistenz oder helfe beim Toilettengang“, so Eitner weiter. Doch für Mathilda bauen sich im Alltag immer wieder Hürden auf, die auch die Schulbegleiterin an ihre Grenzen bringen. Und das beginnt schon mit vermeintlich Alltäglichem, denn auch Mathilda muss sich aus gesundheitlichen Gründen von Zeit zu Zeit hinstellen - das gilt auch während der Schulzeiten. Um das ohne großen Zeitaufwand zu schaffen, bräuchte sie eigentlich einen elektrischen Stehrollstuhl. Denn die Integrationskraft kann es schon körperlich nicht leisten, das Mädchen mehrmals am Tag aus ihrem Rollstuhl in einen sogenannten Stehständer zu heben. Rollstuhl wird nicht finanziert Auch der Zeitfaktor ist ein großes Problem, denn Mathildas Plan ist genauso eng getaktet wie der ihrer Mitschülerinnen. Die Pausenzeiten braucht sie, um zur Toilette zu gehen oder zu essen – und das dauert bei ihr etwas länger. Das Mädchen dazu noch mehrmals aufwendig und unter großer Mühe aus dem Rollstuhl zu heben, sei keinesfalls möglich. &bdquo;Sie braucht auch die Ruhe, um vernünftig zu lernen“, berichtet Kristina Eitner. Zudem hat auch Mathilda das Recht, ihre Pausen mit ihren Freundinnen zu verbringen – wie jedes andere Kind. Mit dem elektrischen Stehrollstuhl würden sich einige dieser Fragen gar nicht stellen. &bdquo;Das ist ein Knopfdruck und sie steht“, berichtet die Mutter. Doch die Prognose, dass Mathilda dieses Hilfsmittel finanziert bekommt, steht schlecht. Bereits seit zwei Jahren ziehen sich die Verhandlungen mit den Kostenträgern. Bei Beamten wird die Gesundheitsversorgung von der so genanten Beihilfe in Kombination mit einer privaten Krankenversicherung getragen. Mathildas Mutter kann aufgrund der Gesamtsituation nur zwei Stunden pro Tag in ihrem Beruf als Lehrerin arbeiten und muss große finanzielle Abstriche machen. Das sind Herausforderungen in Mathildas Alltag Doch auch an anderer Stelle stößt die Inklusion an Grenzen: So kann Mathilda nur dann am Schwimmunterricht teilnehmen, wenn der Aufzug im Lagenser Hallenbad funktioniert. Dieser war zwar eine Zeit lang defekt, wurde aber repariert, bevor der Unterricht für Neunjährige losging. Schwieriger wird es beim Fahrradunterricht, der für sie im nächsten Schuljahr ansteht. &bdquo;Seit Generationen machen Kinder den Fahrrad-Führerschein, und seit Generationen gibt es auch Kinder mit Einschränkungen. Warum sollen die nicht ganz normal teilnehmen?”, fragt Kristina Eitner. Tatsächlich könnte Mathilda das zum aktuellen Zeitpunkt nicht, denn sie braucht dafür ein kostspieliges Hilfsmittel: ein Liegefahrrad mit leichter elektronischer Unterstützung. Die Kostenträger werden das aber nicht finanzieren. &bdquo;Ich habe vor ein paar Jahren mal so ein Fahrrad für Mathilda beantragt. Sie braucht eins mit einer leichten Antriebshilfe”, berichtet die Mutter. Die Kosten würden sich auf etwa 8.000 Euro belaufen. &bdquo;Das lehnen die Kostenträger ab und sagen, dass der Vertrag das nicht vorsieht”, berichtet Mathildas Mutter weiter. Mathilda will am Leben teilnehmen Zwar hat die Grundschülerin bereits ein sogenanntes Therapiefahrrad, das die Eltern selbst gekauft haben und das de facto ein Dreirad ist. Doch der Antrieb ist zu schwergängig für das Mädchen und der Kipppunkt zu hoch, um sicher in die Kurve fahren zu können. &bdquo;Die Haltung ist für Mathilda nicht optimal, da sie so nicht ihre ganze Beinkraft nutzen kann“, so die Mutter weiter. Bei einem Liegefahrrad sei das anders. &bdquo;Mathilda konnte ein Liegefahrrad bei Bekannten testen, und damit ist sie abgezischt. Sie war richtig schnell, das war so schön“, sagt ihre Mutter. Mit der Antriebsunterstützung wäre es Mathilda auch möglich, das Tempo der anderen Kinder zu halten. Und auch mit ihrer Zwillingsschwester und ihrem Bruder würde sie gern gemeinsam Fahrradfahren. &bdquo;Für ihren Körper wäre das Fahrradfahren auch sehr wichtig“, ergänzt Mathildas Mutter. Kristina Eitner hat sich das Ziel gesetzt, ein passendes Fahrrad für das Mädchen zu besorgen. &bdquo;Ich hab Fahrradhändler und Influencer angeschrieben“, berichtet die Integrationskraft. Zwar habe sie einige freundliche Rückmeldungen erhalten, doch konkreter sei es bisher nicht geworden. Teilweise sei auch keinerlei Rückmeldung erfolgt. &bdquo;Eigentlich würde auch schon ein Leihfahrrad für ein Jahr reichen, damit sie die Fahrradprüfung mitmachen kann, wie alle anderen auch“, findet die Integrationskraft. Fehlendes Fahrrad nimmt Mathilda Normalität Der Fahrradunterricht gehört zum Fach Sachkunde. Dort lernen die Kinder die Verkehrsregeln zunächst in der Theorie kennen. Die praktischen Stunden finden dann über einen Zeitraum von sechs Wochen statt. &bdquo;Dann kommt ein Polizist in die Schule und nimmt den Kindern die Prüfung ab“, so die Integrationskraft weiter. Kann sie nicht teilnehmen, wird Mathilda Unterrichtszeit und ein großes Stück Normalität genommen.

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