Mordprozess nach tödlichem Unfall in Lippe: Psychiater von Suizidversuch überzeugt

Detmold/ Lügde. Seine eigenen Abschiedsworte noch einmal im Gerichtssaal aus den Lautsprechern zu hören, scheint für den Angeklagten kaum auszuhalten zu sein. Er vergräbt seinen Kopf in den Händen, starrt bewegungslos nach unten, als wolle er verschwinden. &bdquo;Dich zu verlieren, halte ich nicht aus. Nimm es halt als Kompliment. Es ist nicht deine Schuld.“ Die Sprachnachricht an seine Ex-Freundin ist von Tränen durchströmt. Wenige Minuten nach Senden dieser Wort soll der Pyrmonter der Anklage nach absichtlich auf einer Umgehungsstraße in Lügde in den Gegenverkehr gefahren sein. Ein 54-Jähriger kam dabei ums Leben. Diese private Nachricht gehört zu den Indizien, die die Staatsanwaltschaft Detmold dazu veranlasst haben, den tödlichen Unfall vom 7. März 2024 als Mord zu werten und als solchen anzuklagen. Am fünften Prozesstag vor dem Schwurgericht sieht Staatsanwalt Alexander Görlitz diese These ebenfalls durch die neuen Ergebnisse des Unfallanalytikers Dr. Ingo Holtkötter untermauert. Der Experte aus Münster war beauftragt worden, weil die Verteidigung gegen das erste Gutachten protestiert hatte. Auto beschleunigte kurz vorm Zusammenstoß Zwar hält der technische Sachverständige die angeblich ruckhafte Lenkbewegung kurz vor dem Zusammenstoß der Autos tatsächlich für eine Fehlinterpretation des zuvor erstellten Dekra-Gutachtens, Holtkötter kommt aber durch die elektronischen Daten ebenfalls zu dem Schluss, dass der Audi des Unfallfahrers fünf Sekunden vor dem Zusammenstoß kontinuierlich auf der Gegenfahrbahn beschleunigt wurde. &bdquo;Es ging etwa von 100 auf 135 Stundenkilometer hoch“, sagt der Unfallanalytiker. &bdquo;Dabei gab es keinerlei Bremsreaktionen oder eine andere Abwehrhaltung.“ Aus Sicht des Staatsanwaltes passt diese Analyse nicht mit der Aussage des Angeklagten überein, ihm sei kurz vor dem Unfall schwarz vor Augen geworden und er wüsste nicht, was passiert ist. &bdquo;Wer bewusstlos wird, ist nicht in der Lage, das Gaspedal zu betätigen“, sagt Görlitz am Rande des Prozesses. Verstörende Details kommen ans Licht In der Hauptverhandlung selbst kommen verstörende Details ans Licht. &bdquo;Ich möchte ohne X. nicht mehr leben. Da sie mir gesagt hat, dass es vorbei ist, heißt es, dass ich mich jetzt verabschieden will. Es tut mir leid, dass ich dich trauern lasse“, tönt es aus den Boxen. Die Sprachnachricht an seine Mutter kurz vor dem Unfall lasse sich als Abschied des Angeklagten interpretieren, davon ist der psychiatrische Sachverständige Dr. Michael Hintersdorf überzeugt. Er erkenne klare Inszenierungstendenzen. &bdquo;Er wollte sich umbringen - und es sollte ein Abgang mit einem großen Knall werden“, sagt der forensische Psychiater. Zwar geht Hintersdorf davon aus, dass der Angeklagte durch die Trennung von der Freundin zur Tatzeit emotional aufgewühlt und belastet war, seine Steuerungsfähigkeit sei deshalb aber nicht eingeschränkt gewesen. Genauso leide der Angeklagte an keiner psychisch krankhaften Störung, die seine Schuldfähigkeit infrage stellen könnte. Sein gestörtes Selbstwertgefühl und seinen Hang zum Dramatisieren ließen sich zwar als auffällige Persönlichkeitszüge einordnen, diese Punkte reichten allerdings nicht für ein diagnostiziertes Krankheitsbild aus. &bdquo;Er ist weder kriminell, noch ist er ein Psychopath“, sagt Hintersdorf. &bdquo;Das Tatgeschehen hat aber sicher eine Dynamik, die in seiner Persönlichkeit verwurzelt ist.“ Dass der 30-Jährige noch kurz vor der Unfallfahrt Suchbegriffe, wie &bdquo;ab wann ist ein Unfall tödlich“ und &bdquo;mit 100 km/h gegen die Wand“ gegoogelt habe, wie es der Vorsitzende Richter Karsten Niemeyer anführt, spricht aus Sicht des Psychiaters für ein Planen des Tatgeschehens, selbst wenn die Ausführung als solche ambivalent gewesen sei. Verteidiger will weiteres psychiatrisches Gutachten Dabei müsse der Angeklagte in der Lage gewesen sein, zu erkennen, was er mit dem Unfall anrichten könnte, meint Hintersdorf. &bdquo;Die Suizidtendenzen hat er umgesetzt. Da spielt es keine Rolle, ob er jemanden schaden wollte - oder nicht.“ Hätte er eine Panikattacke gehabt, wie der Angeklagte selbst angeben hatte, wäre eher nachvollziehbar gewesen, wenn er das Auto angehalten hätte. Verteidiger Torsten Gieseke ist mit den Ergebnissen des psychiatrischen Gutachtens nicht einverstanden. Daher deutet er an, ein Ergänzungsgutachten beantragen zu wollen. &bdquo;Ich habe eine Analyse vorliegen, die zu einem ganz anderen Ergebnis kommt.“ Dabei gehe es zentral um eine mögliche verminderte Schuldfähigkeit. Für seinen Mandanten geht es schließlich um viel. Sollte er wegen Mordes verurteilt werden, droht ihm eine lebenslange Freiheitsstrafe. Der Prozess wird am 21. November fortgesetzt. Hinweis der Redaktion Generell berichten wir nicht über Selbsttötungen, es sei denn, es gibt besondere Gründe für eine erhöhte Aufmerksamkeit. Wir halten uns möglichst zurück, da es bei Suiziden eine hohe Nachahmerquote gibt. Sollten Sie sich von besonderen Lebensumständen betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie 24 Stunden am Tag Hilfe und Beratung.

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