
Detmold. Vor dem Landgericht findet am 4. Dezember 2019 ein spektakulärer Gerichtsprozess statt: Bernd R., der sich selbst als „Führerscheinkönig“ bezeichnet, und seine Frau Anne R. stehen im Mittelpunkt eines Verfahrens, das für viel Aufsehen sorgt.
Autofahrer, die ihren Führerschein verloren haben, sollten von Bernd R. gerettet werden. 1.200 Euro mussten sie mindestens dafür zahlen, versprochen wurde ihnen dafür ein britischer Führerschein. Doch letztendlich gingen sie leer aus. Dieser Fall, bei dem es um einen Gesamtschaden in Millionenhöhe gehen soll, landet schließlich vor Gericht. Im Prozess sind rund 650 Geschädigte involviert.
In der neuesten Episode von „OstwestFälle“, dem True-Crime-Podcast der „Neuen Westfälischen“, geht es um diesen Komplex von gewerbsmäßigem Betrug und Steuerhinterziehung in Hunderten Fällen. Birgit Gottwald und Janet König, Redakteurin der Lippischen Landes-Zeitung, sprechen darüber.
Der „Führerscheinkönig“ – der Fall im Überblick:
- Bernd R. garantiert Verkehrssündern, die in Deutschland wahrscheinlich ohne eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) keine Fahrerlaubnis mehr erhalten, die Beschaffung von EU-Führerscheinen, die allerdings nicht ausgestellt werden.
- Das Landgericht Detmold verhandelt. Der selbst ernannte „Führerscheinkönig“ und seine Frau Anne R. müssen sich wegen gewerbsmäßigen Betrugs und Steuerhinterziehung verantworten.
- Der Detmolder erhält eine Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Seine Frau wird zu einer Strafe auf Bewährung verurteilt.
- In einem weiteren Prozess, der 2024 stattfindet, wird die Alkoholsucht von Bernd R. erneut thematisiert. Das Landgericht hat zuvor nicht untersucht, wie relevant seine Sucht für die Verurteilung wegen Beleidigung, Betrugs bei Corona-Hilfen und Trunkenheit am Steuer ist und ob eine Therapie angebracht wäre.
- Ein Gutachter stellt im April 2024 fest, dass die Alkoholsucht von R. als nachrangig für seine Straftaten zu betrachten ist, sodass das Urteil von einem Jahr und sechs Monaten aus dem Jahr 2023 aufrechterhalten wird. Auch gegen dieses Urteil legt Bernd R. Revision ein.
Respektloses Verhalten im Gerichtssaal
Während der zweistündigen Verlesung seiner Anklage zeigt der Angeklagte unangemessenes Verhalten, indem er plaudert, Grimassen schneidet und Zettel mit seiner mitangeklagten Frau austauscht. Beide werden vom Staatsanwalt Kristoffer Mergelmeyer ermahnt.
Dem Unternehmerpaar wird in diesem Prozess gewerbsmäßiger Betrug und Steuerhinterziehung vorgeworfen. Ihnen wird zur Last gelegt, zwischen 2012 und 2017 Rasern, Alkoholikern und Gewalttätern gegen Bezahlung versprochen zu haben, britische Ersatzführerscheine zu beschaffen. Die Kunden, die ihre Fahrerlaubnis verloren haben, erhalten diese jedoch nie.
Bernd R., weist die Anschuldigungen entschieden zurück und stellt sich als Opfer von Verfolgung dar, erwartet einen Freispruch. Er behauptet, dass die Anklage „in sich zusammenfallen“ werde, da alles, was er getan hat, legal sei und die Führerscheine echt sowie gültig seien.
Das Geschäftsmodell des Betrügers umgeht die MPU
Seine Kunden seien Fahrer, die ihren Führerschein verloren haben und diesen nur durch das Bestehen einer Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU) wiedererlangen können. Um den unliebsamen „Idiotentest“ zu umgehen, suchen sie seine Hilfe. Er unterstützt sie dabei, in Ländern wie Ungarn, Tschechien, Polen oder Spanien für 183 Tage einen Wohnsitz anzumelden, um dort Fahrstunden zu nehmen und eine Prüfung zu bestehen.
Zudem gibt R. an, das eingenommene Geld nicht in Deutschland versteuert zu haben, da seine Firma im Ausland registriert sei und er dementsprechend dort Steuern entrichte.
Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft stehen jedoch in starkem Gegensatz zu diesen Behauptungen. Die Anklage wirft Bernd R. vor, dass seine Kunden für versprochene, aber nicht erbrachte Dienstleistungen gezahlt haben. Sie haben keine neuen Führerscheine erhalten. Zudem soll der Angeklagte gewusst haben, dass die Bedingungen für einen legalen Führerscheinerwerb in Großbritannien nicht erfüllt waren. Die dortige Meldepflicht habe der Führerscheinkönig verschleiert.
Ein neuer Anwalt übernimmt den Fall des Betrügers
Im Februar 2020 tritt Carsten Ernst, der Verteidiger von Bernd R., nach einer Anzeige wegen Parteiverrats durch die Detmolder Staatsanwaltschaft zurück. Ernst hat zuvor einen Ex-Kunden des „Führerscheinkönigs“ vertreten und angegeben, sich an den Fall nicht erinnert zu haben, als er die Verteidigung übernommen hat. Ein neuer Anwalt übernimmt den Fall.
Wenig später, am 20. Mai 2020, folgt die Verurteilung: Bernd R. muss wegen 37 Betrugsfällen und neun Versuchen des Betrugs für vier Jahre und drei Monate ins Gefängnis. Seine Frau, Anna R., kommt mit einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten davon. Der Vorwurf der Steuerhinterziehung wird komplett fallengelassen.
Lesen Sie auch: Urteil rechtskräftig: Lipper Führerscheinkönig muss jetzt ins Gefängnis
Das Urteil gefällt R. nicht, er geht in Revision und hat Erfolg. Da viele Fälle bereits verjährt sind, wird seine Strafe auf drei Jahre und sechs Monate reduziert. Eine erneute Revision wird abgelehnt.
Führerscheinkönig Bernd R. erscheint nicht zum Haftantritt
Bernd R. flüchtet und erscheint nicht zum Haftantritt. Auf seiner Flucht verhöhnt er die Justiz in einem Video mit “Ich fahre jetzt nach Detmold, um es den Ermittlungsbehörden leichter zu machen, mich festzunehmen”. Die Reaktion? Ein Vollstreckungsbefehl wird erlassen. In Wolfenbüttel schlafend in seinem Auto entdeckt, wird er nach einer kurzen Flucht festgenommen.
Lesen Sie dazu: Haft nicht angetreten – Führerscheinkönig aus Lippe auf der Flucht
Der Detmolder steht 2023 erneut vor Gericht. Er wurde bereits 2021 wegen Beleidigungen, Trunkenheit am Steuer und Betrug mit Corona-Soforthilfe zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, doch das Urteil ist von beiden Seiten angefochten worden. In der neuen Verhandlung zeigt sich R. aggressiv, beleidigt Staatsanwälte und Zeugen und rechtfertigt sein Verhalten mit einer Krankheit. Die Vorwürfe der Trunkenheitsfahrt und des Betrugs weist er zurück.
Wortgefechte im Prozess – Haftstrafe für Bernd R.
Während des gesamten Prozesses kommt es immer wieder zu verbalen Auseinandersetzungen zwischen Bernd R. und der Staatsanwaltschaft. Das Gericht verhängt eine Haftstrafe von einem Jahr und sechs Monaten ohne Bewährung gegen R. Die Richter sehen keine Anzeichen für eine Besserung.
2024 stellt ein Gutachter fest, dass R.s Alkoholsucht nur eine untergeordnete Rolle bei seinen Straftaten spielt. Daher bleibt das Urteil von einem Jahr und sechs Monaten Haft aus dem Vorjahr bestehen.