Europawahl

Europas Bedeutung für Oerlinghausen

Die Podiumsdiskussion der Akademie am Tönsberg zusammen mit der Neuen Westfälischen endet mit einem Aufreger. Erstwähler sind in der Aula kaum vertreten.

Nike Alkema, Leiterin der Akademie am Tönsberg (2. v. l.) und NW-Redakteur Gunter Held (3. v. r.) begrüßen in der Aula (v. l.) Elmar Brok, Chiara Johannesmeier, Kerstin Bartsch, Lina Kindsgrab, Julia Eisentraut und Jörg Schillinger. | © Karin Prignitz

Karin Prignitz
09.06.2024 | 09.06.2024, 20:16

Oerlinghausen. Die Europawahl ist gelaufen. Vorab haben rund 100 Bürgerinnen und Bürger in der Aula des Niklas-Luhmann-Gymnasiums die Chance genutzt, an einer Diskussion mit Vertretern aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft teilzunehmen und der Frage nachzugehen: „Was bedeutet Europa für uns?“ Auch „Mister Europa“ Elmar Brok ist mit etwas Verspätung dabei und sorgt am Ende lautstark für Aufregung.

„Wir wollen Partizipation und Teilhabe stärken, wir möchten die Demokratie gemeinsam leben“, dazu solle mit der Veranstaltung „Oerlinghausen diskutiert“ beigetragen werden, sagt Nike Alkema. Die Leiterin der Akademie am Tönsberg und Gunter Held, Redakteur der Neuen Westfälischen, haben den Abend gemeinsam vorbereitet und übernehmen die Moderation.

Erstmals ab 16 Jahre

Mit Kerstin Bartsch, der ehemaligen stellvertretenden Büroleiterin einer EU-Stabilisierungsmission, Chiara Johannesmeier, Doktorandin der Zeitgeschichte an der Universität Bielefeld, Jörg Schillinger, dem Leiter der Unternehmenskommunikation der Oetker-Gruppe mit Werk in Oerlinghausen, Lina Kindsgrab, Schülerin des Niklas-Luhmann-Gymnasiums, der für Robin Wagener kurzfristig eingesprungenen Grünen-Politikerin Julia Eisentraut, seit 2022 Mitglied des Landtages, und Elmar Brok (CDU), der dem Europaparlament fast 40 Jahre angehört hat, werden unterschiedliche Blickweisen abgedeckt.

Erstmals haben Jugendliche ab 16 Jahren wählen dürfen. Deshalb geht die erste Frage an Lina Kindsgrab. Die 17-Jährige hat Geschichte als Leistungskurs, war im Vorstand der Oerlijugend, Mitinitiatorin der Demonstration gegen Rechts im Februar und ist aktiv im Bündnis für Vielfalt und Toleranz. Klimawandel sei eines der wichtigsten Themen, hebt Lina Kindsgrab hervor. „Damit muss sich die Politik auseinandersetzen.“ Kontrovers diskutiert würden unter Jugendlichen die Themen Migration und Asyl. Die Q1-Schülerin nimmt wahr, „dass sich viele Jugendliche von der Rhetorik der AfD angesprochen fühlen“, vor allem, weil sie in den sozialen Medien präsenter sei als andere Parteien.

Historisch einzigartiges Konstrukt

Lina Kindsgrab wünscht sich, dass „die Debatte auf Inhalte und nicht auf rechte Rhetorik und Hetze ausgelegt ist“ und erntet dafür Applaus. In der Schule werde derzeit mehr über aktuelle Vorfälle gesprochen, wie etwa über das Sylt-Video und Angriffe auf Politiker, erzählt sie. Schule, so ihr Eindruck, habe aber auch Angst, Schüler zu beeinflussen. Viele Jugendliche seien vor der Wahl unentschlossen.

Chiara Johannesmeier spricht über die Entwicklung Europas als „historisch einzigartigem Konstrukt“, Kerstin Bartsch über den Stellenwert auch außerhalb der EU, etwa in Afrika, wo zum Beispiel mit der Ausbildung von Polizisten, durch Informationskampagnen und die Vermittlung von Kompetenzen vieles erreicht werden könne.

Internationales Feeling unglaublich gewachsen

Jörg Schillinger hebt die große Bedeutung der Europäischen Union für die Wirtschaft hervor. Oetker mache 65 Prozent der Umsätze im Ausland. „Ohne Europa ginge es nicht, es gibt kein Land dort, in dem wir nicht vertreten sind.“ Im Betrieb arbeiteten Menschen aus 30 bis 40 Nationen. „Das internationale Feeling ist in den vergangenen Jahren unglaublich gewachsen“, sagt Schillinger.

Oetker habe die Nachhaltigkeits-Charta unterzeichnet, setze auf Diversität. „Diskriminierung jeglicher Art akzeptieren wir nicht.“ Die Geschäftsleitung fordere die Mitarbeiter auf, zur Wahl zu gehen, aber auch, sich im Vorfeld zu überlegen, „was passiert, wenn Deutschland aus der EU geht“, verweist Schillinger auf den Brexit in Großbritannien. Ein Schritt, den er als „absoluten Wahnsinn für die Wirtschaft“, einschätzt. Elmar Brok bestätigt: „Keine der großen Herausforderungen kann alleine bewältigt werden.“

Julia Eisentraut spricht sich dafür aus, die Anerkennung ausländischer Abschlüsse deutlich zu vereinfachen. „Hürden, die nicht notwendig sind, müssen abgebaut werden.“ Ihre Erfahrung ist, dass viele Menschen nicht wissen, wie das europäische aber auch das deutsche System funktioniert. Hier müsse mehr Transparenz her.

Politiker verliert die Beherrschung

Auch die Zuhörer bekommen Gelegenheit, ihre Fragen loszuwerden. Als Philipp Kaibel unter anderem auf eine mögliche Zusammenarbeit von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der EKR-Fraktion von Giorgia Meloni verweist und diese kritisch bewertet, verliert Elmar Brok die Beherrschung. Obwohl sich die Runde im Vorfeld darauf geeinigt hat, keine parteipolitische Debatte zu führen, kommt es zu einer hitzigen Auseinandersetzung zwischen Elmar Brok und Julia Eisentraut. Brok wird laut, fällt ins Wort, vergreift sich im Ton. Lina Kindsgrab mischt sich ein, fordert die CDU auf, sich klar von einer Partei wie der von Meloni abzugrenzen.

„Vielleicht ist es genau das, was Jugendliche abschreckt“, sagt Lina Kindsgrab am Ende, denn es fällt auf, dass sich unter den Besuchern nur eine verschwindend geringe Zahl jugendlicher Erstwähler befindet. Dass Elmar Brok am Ende ohne das Schokoladengeschenk auskommen muss, kommentiert einer der Besucher so: „Es wird eben nicht alles belohnt.“