„Irgendwann ist dir alles egal“: Wie ein Detmolder den Weg aus der Sucht fand

Detmold. &bdquo;Alkohol ist eine Facette der Persönlichkeit von vielen, aber sie prägt“, sagt Christian Philipps (49). Er weiß, wovon er spricht, denn er ist trockener Alkoholiker. Er, ein &bdquo;Junge aus gutem Hause“, ist abgestürzt und erzählt ungeschönt, wie es ihm ergangenen ist. Dass ihm zwischenzeitlich einfach alles &bdquo;scheiß egal“ war. Und warum er die Teillegalisierung von Cannabis in dieser Form für falsch hält. Doch von vorn. Gutbürgerlich sei er aufgewachsen, mit liebevollen Eltern. &bdquo;Ich hatte eine schöne Kindheit, wohlbehütet“, erzählt er. &bdquo;Es gab keine Traumata.“ Werde ja häufig vermutet, wenn es um Alkoholkarrieren geht. Doch eine Abhängigkeit könne jeden treffen, betont der Detmolder. Seine Eltern hätten ihm auch nie Druck gemacht. &bdquo;Sie sagten immer: ’Hauptsache, du bist glücklich’“. Nach dem Abitur folgte eine kaufmännische Ausbildung, die ihm Spaß gemacht habe. Mit Mitte 20 lebte er in Süddeutschland, &bdquo;da war Alkohol bereits ein Thema“, sagt er heute rückblickend, nennt es &bdquo;kritischen Konsum“– zu viel, zu regelmäßig. Aber damals habe er das natürlich nicht so gesehen. Alkohol stärkte sein Selbstwertgefühl Bereits in Süddeutschland habe er begonnen, in der Pflege zu arbeiten. &bdquo;Ich wollte in den sozialen Bereich, hatte keine Lust mehr auf was Kaufmännisches.“ 2015 zog Philipps nach Hameln, um näher bei seiner Familie zu sein. Doch der Alkohol nahm einen immer größeren Teil seines Lebens ein. &bdquo;Alkohol stärkt das Selbstwertgefühl, macht stark, nimmt die Hemmschwelle gegenüber anderen Menschen“, versucht er die Wirkung des &bdquo;Nervengiftes“, wie er es immer wieder nennt, zu beschreiben. Und er beschreibt ein Schlüsselerlebnis: &bdquo;Bei einer Wette habe ich eine Flasche Wodka gewonnen. Die stand wochenlang unberührt bei mir und meiner damaligen Freundin in der Wohnung.“ Nach einem Streit habe er einen Schluck probiert und festgestellt: &bdquo;Das ist ein tolles Zeug, das knallt sofort. Und dann fing der Spaß an.“ Der 49-Jährige beschönigt nichts, spricht die Dinge aus, wie sie sind. &bdquo;Hilft ja nichts, ob ich es mir schönrede oder nicht, ob ich sage ’ich saufe’ oder ’konsumiere’ – es ist dasselbe.“ Ab diesem Zeitpunkt habe er sich regelmäßig &bdquo;Kurze“ besorgt, in Wasserflaschen umgefüllt, Flaschen versteckt – sogar im Auto seiner Freundin. Hat viel Knoblauch gegessen. Irre eigentlich, findet er selbst und schüttelt den Kopf. Denn Alkohol riecht, der ganze Körper rieche danach. Und seine Freundin? &bdquo;Die hatte mit Alkohol nichts am Hut, hat gemeckert. Doch das interessiert dich dann nicht. Du wirst eher sauer, weil du ja weißt, dass es nicht richtig ist.“ Rückfall nach einjährigem Entzug 2017 war er dann gut fünf Wochen in einer Klinik. &bdquo;Ich habe mich gut aufgehoben gefühlt und tolle Leute kennengelernt.“ Und gemerkt, wie lustig es auch ohne Alkohol sein kann. Fast ein Jahr sei er danach trocken gewesen, habe eine Wohnung und einen Job gehabt und viel Sport gemacht. Doch dann ein Ereignis, das ihn aus der Bahn geworfen habe. &bdquo;Ich bin zur Tanke, habe eine Flasche Wodka gekauft. Und so ging es dann bis 2020 immer mal mit abstinenten Phasen weiter.“ Zwischen 2020 und 2022 habe er sich als Pflegeberater selbstständig gemacht und gearbeitet, fast nur am Schreibtisch gesessen. &bdquo;Ich habe da gelebt, gearbeitet, gegessen, geschlafen, gesoffen. Ich bin nachts aufgewacht und musste trinken, weil ich gezittert habe.“ Eines Nachts sei er in Schlappen und Schlafanzug zur Tankstelle, weil er nichts mehr da hatte. &bdquo;Die Scham fällt ab. Dir ist alles egal. Auch wenn du dich vorher noch so gepflegt hast. Nur der Konsum zählt dann noch.“ Seine Gesundheit habe gelitten, er habe extrem zugenommen, hatte eine Schlafapnoe mit Atemaussetzern, die Zähne und das Herz seien beeinträchtigt. Seinen Führerschein habe er ebenfalls wegen Alkohol am Steuer verloren. &bdquo;Zum Glück ist nie etwas passiert“, sagt er heute. Dabei habe er ja nicht nur sich, sondern auch alle anderen gefährdet. Auch seinen kleinen Waffenschein musste er abgeben – samt zwei Schreckschusspistolen, die bei ihm im Tresor lagen. Die habe die Polizei bei ihm abgeholt, &bdquo;ohne Waffenschein mit Waffen, nee“, sagt Philipps. Als die Polizisten in seine Wohnung kamen, hätten überall Flaschen gelegen. &bdquo;Eine Polizistin guckte mich mitleidig an und meinte: ’Es gibt doch Hilfe.’ Aber du brauchst den Willen, aufzuhören.“ Und den hatte er zu dem Zeitpunkt nicht. Selbsthilfe habe geholfen Noch nicht. Denn als er schließlich zurück nach Detmold, in seine Heimatstadt, zog, sollte alles anders werden. Der 18. September 2022 war das magische Datum. &bdquo;In Detmold wird alles anders, habe ich mir gesagt.“ Er habe einen Entzug gemacht und sei zu einer Selbsthilfegruppe des Blauen Kreuzes gegangen. &bdquo;Ich war eigentlich immer gegen Selbsthilfe“, sagt er heute und muss lachen. Denn mittlerweile leitet er selbst welche, sowohl vor Ort als auch online. &bdquo;Mir hat das unglaublich geholfen.“ Er beschäftige sich viel mit dem Thema Sucht. Auch deshalb sehe er die Teillegalisierung von Cannabis kritisch: &bdquo;THC hat eine Rauschwirkung wie Alkohol. Du fühlst dich gut und zack ist das Suchtverlangen da.“ Gerade auch die psychische Abhängigkeit sei so gefährlich. Und die Suchtspirale, wenn Cannabis nicht mehr reicht, Stärkeres her muss. Insbesondere der fehlende Jugendschutz rege ihn auf: &bdquo;Bis 25 entwickelt sich das Gehirn, das ist wissenschaftlich belegt.“ Außerdem frage er sich, wer prüfe, wer was und wie viel bei sich zu Hause anbaut. Ekel-Bilder auch für Alkohol Ebenso störe ihn, wenn Drogen verteufelt würden, Alkohol aber als völlig legitim angesehen werde. &bdquo;Warum muss ich mich rechtfertigen, wenn ich kein Bier, keinen Wein trinken will? Bei Zigaretten sind Ekel-Bilder auf der Schachtel, warum nicht auch auf einer Flasche Wodka?“ Wichtig sei ein Notfallplan für den Fall des Rückfalls, um nicht gleich wieder in den alten Trott zu verfallen. &bdquo;Und du brauchst ein stabiles Umfeld, ein starkes Netzwerk, um aus einer Sucht rauszukommen. Alleine geht es nicht.“ Warum er das alles erzählt? &bdquo;Wenn ich so nur einen dazu bringe, sich selbst, seinen Konsum zu hinterfragen, ist doch schon was gewonnen“, sagt er und lächelt. Und vielleicht schreibt er seine Geschichte irgendwann selbst einmal auf – ungeschönt, so wie er eben darüber spricht.

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