Darum spenden Mütter in Lippe ihre überschüssige Milch für Frühgeborene

Kreis Lippe. Dass ihr Kind wahrscheinlich viel zu früh zur Welt kommen wird, ist Maria (34, Name geändert) aus Bad Salzuflen schon zu einem frühen Zeitpunkt ihrer Schwangerschaft klar. Sie bekommt Blutungen, die Plazenta löst sich langsam ab. Wochenlang muss die Salzuflerin daher in der Familienklinik des Klinikum Lippes im Bett liegen bleiben und Ruhe bewahren. &bdquo;Jeder Tag zählt“, sagen ihr die Ärzte immer wieder, um ihren Kleinen im schützenden Mutterleib zu behalten. Ende Dezember kann die Geburt dann nicht mehr weiter hinausgezögert werden, ihr Sohn wird in der 27. Schwangerschaftswoche mit knapp 1.000 Gramm per Notkaiserschnitt geholt – er gehört damit noch zu den Frühchen, also zu den Babys, die eigentlich noch gar nicht bereit für die Welt da draußen sind. Seine Mutter Maria kommt in eine Situation, an der viele Frauen durch Stress und Sorge nahezu zerbrechen. Sie fürchten um die Gesundheit des Kindes und darum, es überhaupt schon ernähren zu können. &bdquo;Mütter sind in solchen Fällen plötzlich mit vielen Ängsten konfrontiert, das wirkt sich natürlich auch auf die Milchbildung aus“, erklärt Bettina Schlößer, Ernährungsberaterin und Küchenleitung in der Familienklinik. Angst motivierte Mutter nach Notkaiserschnitt Kann ich mein Kind jetzt überhaupt schon mit Muttermilch versorgen, das ist die entscheidende Frage, die sich auch Maria stellt. &bdquo;Meine Angst, dass es nicht klappt, hat mich so motiviert, meine Brüste sofort auszustreichen“, sagt die 34-Jährige. Sie ist bereits Mutter von drei kleinen Kindern und hat sie alle gestillt. Das Ausstreichen sei ein Trick gewesen, den Milcheinschuss anzukurbeln. Und es klappt: Obwohl ihr Körper noch gar nicht darauf eingestellt sein sollte, kommt bei Maria die Milchproduktion in Gang. In dem Moment ist die 34-Jährige sehr erleichtert, sagt sie knapp vier Wochen später beim Gespräch im Klinikum Lippe. &bdquo;Für mich hat Stillen immer ganz viel Beziehung bedeutet. Mein Kind muss bei mir bleiben, nur ich kann es stillen“, sagt Maria. Außerdem ist die 34-Jährige überzeugt davon, dass Muttermilch das Beste für die Entwicklung ihres Kindes ist – gerade jetzt, wenn der kleine Sohn doch eigentlich noch weiter im Mutterleib über die Nabelschnur verbunden und versorgt werden müsste. Deshalb zögert Maria keine Sekunde, als das Team des Perinatalzentrums fragt, ob sie sich vorstellen könnte, ihre überschüssige Muttermilch anderen kleinen Patientinnen und Patienten zu spenden. &bdquo;Für mich war das selbstverständlich“, sagt die nun vierfache Mutter. &bdquo;Ich kann damit anderen Kindern und ihren Müttern helfen, daher musste ich überhaupt nicht überlegen.“ Sie selbst wäre dankbar gewesen, hätte ihr kleiner Sohn Milch von Spenderinnen bekommen, falls ihre eigene Milchproduktion noch nicht bereit gewesen wäre. &bdquo;Ich bin wirklich froh, dass es diese Möglichkeit hier gibt.“ Alle drei Stunden heißt es: Milch abpumpen Alle drei Stunden pumpt Maria seitdem mit der Milchpumpe ihre Muttermilch ab, während ihr Baby noch sicher im Inkubator liegt und über die Magensonde ernährt wird. Nachts muss sich Maria zum Abpumpen einen Wecker stellen, weil ihr Kind nicht neben ihr schläft. Jeden Tag gibt Maria dann ihre überschüssige Milch in der Milchküche in Detmold ab, wenn sie ihren Sohn besucht. Daheim lagert die 34-Jährige die abgepumpten Portionen im Kühlschrank zwischen. Ihr Baby kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht &bdquo;normal“ essen und bekommt nur ein ganz klein wenig Muttermilch über die Mundpflege zum Probieren. Er soll sich langsam daran gewöhnen. Schritt für Schritt geht es auf der Frühgeborenenintensivstation voran, der Kleine entwickelt sich gut. Bald soll ihr Sohn dann an die orale Ernährung herangetastet werden. Als seine Mama ihm das milchgetränkte Wattestäbchen an diesen Vormittag an den Mund hält, macht sich der Kleine nuckelnd auf die Suche nach der Quelle. Seine Mutter gehört laut Klinikum Lippe zu den 27 Frauen, die seit dem Start etwa 270 Liter Muttermilch gespendet und damit rund 2.500 Portionen für Frühchen oder kranke Neugeborenen im Perinatalzentrum am Klinikum Lippe bereitgestellt haben. Seit drei Jahren gibt es die Frauenmilchbank mit zentraler Milchküche inzwischen am Klinikum Lippe, in NRW zählte der Detmolder Standort sogar zu einem der ersten, der überhaupt die strengen Auflagen erfüllte. Inzwischen gibt es bundesweit etwa 50 Milchbanken. Das sind die Voraussetzungen für eine Spende &bdquo;Wir sind stolz, dass wir das hier machen können“, sagt Marc Robin Mendler, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin. Eigentlich sei es das Natürlichste der Welt, wenn Mütter sich bei dem Thema gegenseitig unterstützten. &bdquo;Man muss es sich so vorstellen: Früher sind die Frauen quasi mit der Milchkanne durchs Dorf gegangen, wenn sie selbst zu wenig Milch hatten“, sagt Mendler. Heute laufe das natürlich alles ein bisschen anders ab, die Milchspende über die Frauenmilchbank werde streng kontrolliert. Als Spenderinnen kommen nur Frauen infrage, deren Kinder selbst im Perinatalzentrum behandelt werden würden – von außen könne das Krankenhaus keine Spenden annehmen. Damit soll die bestmögliche Sicherheit für Spenderinnen und Empfängerinnen garantiert sein. Welche Milch verfüttert wird, bleibe zudem anonym. Die Kontrolle sei ausgiebig. &bdquo;Die Milch wird ähnlich streng kontrolliert wie bei einer Blutspende“, erklärt Bettina Schlößer. Muttermilch eingefroren sechs Monate haltbar Eingefroren könne die in Gefrierschränken gelagerte Milch etwa ein halbes Jahr aufbewahrt werden. In der Regel bekämen Frühchen oder Risikoneugeborene die gespendete Milch immer für eine Übergangszeit von etwa ein paar Tagen bis zu einer Woche. Gerade für die kleinen Empfängerinnen und Empfänger sei Muttermilch das Beste, sagt Bettina Schlößer. Muttermilch enthalte so viele Nährstoffe, dass man diese mittels industrieller Frühchennahrung gar nicht identisch herstellen könne. Beispielsweise kämen bei Muttermilch die humanen Oligosaccharide (HMO) in einzigartiger Vielfalt vor, sagt Schlößer, diese dienten den guten Darmbakterien quasi als &bdquo;Futter“ und stärkten deren Wachstum. &bdquo;Das ist gerade für Frühgeborene enorm wichtig.“ Welche große Bedeutung Muttermilch gerade bei Frühchen oder kranken Neugeborenen habe, zeige vor allem ihre Zusammensetzung. 4.000 lebende Zellen seien allein in einem Tropfen Muttermilch enthalten, sagt Krankenschwester Inna Rose, die auch Spenderin Maria und ihren kleinen Sohn sehr eng betreut. &bdquo;Es gibt auch Studien, die belegen, dass sich gestillte Kinder langfristig besser entwickeln.“ Deshalb ist Muttermilch wichtig Dabei spiele natürlich auch die enge Bindung zwischen Mutter und Kind beim Stillen eine Rolle, erklärt Mendler. Trotz aller Vorzüge: Beim Stillen gehe das Klinikum keineswegs dogmatisch vor. &bdquo;Wir unterstützen alle. Wenn sich jemand dagegen entscheidet, ist das auch in Ordnung.“ Seine eigene Frau habe beim dritten Kind auch keine Lust mehr auf das Stillen gehabt, trotzdem habe sich das Baby fantastisch entwickelt. Dennoch sieht der Chefarzt gerade bei Frühchen Muttermilch an erster Stelle. &bdquo;Es gibt so viele Stoffe, die wir gar nicht nachahmen können.“ Genau deshalb sei die Frauenmilchbank ein ungemein wichtiger Bestandteil des Perinatalzentrums. Und die meisten Mütter mit ihren Frühchen seien sehr dankbar, mit der gespendeten Milch – wie von Maria – die erste Zeit überbrücken zu können. So funktioniert die &bdquo;Milchbank“ Hinter unscheinbaren Türen und einer dezenten Klingel mit der Aufschrift &bdquo;Milchbank“ öffnet sich ein für Frühgeborene und deren Eltern wichtiger Bereich des Perinatalzentrums: Die Frauenmilchbank gibt es jetzt seit genau drei Jahren am Klinikum Lippe. Zuvor wurde hier in der Milchküche ausschließlich Muttermilch für das eigene Kind gelagert. Nun spenden Frauen auch für andere Frühchen, deren Mütter noch keine eigene Milch produzieren. Der gelagerte Inhalt ist für die Entwicklung der betroffenen Kinder sehr wertvoll, sagt das Team. Strenge Vorgaben müssten dazu eingehalten werden, um als zertifizierte Frauenmilchbank zu bestehen. Die Gefrierschränke werden daher rund um die Uhr überwacht, erklärt Bettina Schlößer, Ernährungsberatung und Milchküchenleitung. Sollte ein technischer Fehler auftreten, gehe unmittelbar ein Alarm los. Die Qualität der gespendeten Muttermilch genau zu kontrollieren, gehöre zu den zentralen Aufgaben der Milchküche. Aufgeteilt ist das Ganze daher in einen nicht sterilen und sterilen Bereich. Letzterer dürfe nur in entsprechender Schutzkleidung betreten werden. Hier wird regelmäßig Milch geprobt, portionsweise abgefüllt und entsprechend eingelagert. Das bewirkt Muttermilch Die Muttermilch ist nach Angaben des Klinikums Lippe so wertvoll, weil sie Enzyme und Abwehrstoffe enthält, die vor Infektionen sowie anderen Komplikationen schützen und die Entwicklung des noch unreifen Immun- und Verdauungssystems stimulieren. Bereits 100 Milliliter am Tag reichen laut Bettina Schlößer aus, um ein besonders kleines Frühgeborenes zu ernähren und sein Infektionsrisiko deutlich zu senken. Mütter beim Stillen zu unterstützen und zu beraten, gehöre ebenfalls zur Philosophie der Familienklinik. Und das habe seine Gründe. &bdquo;Wir wissen einfach, dass gerade bei Frühgeborenen die Komplikationsraten durch Muttermilch deutlich zurückgehen“, sagt Chefarzt Marc Robin Mendler.

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