Wie Yoga Vidya in Bad Meinberg durch "selbstlose Diener" gigantisch wächst

Horn-Bad Meinberg. Das Urteil schlug ein wie eine Bombe: Das Bundesarbeitsgericht hat zwei Frauen recht gegeben, die einige Jahre im Bad Meinberger Yoga Zentrum &bdquo;selbstlosen Dienst“ getan hatten und anschließend auf Mindestlohn klagten (wir berichteten). Der Verein Yoga Vidya muss den so genannten &bdquo;Sevakas“ nachträglich Lohn zahlen – wie viel genau, muss nun das Landesarbeitsgericht klären. Doch das Urteil kann für den Verein und damit für das Ashram – so wird das Seminarhaus in Bad Meinberg genannt – weitreichende Folgen haben. Volker Bretz, Yoga-Vidya-Gründer und Leiter, sagt: &bdquo;Wir müssen damit rechnen, in die Insolvenz zu gehen.“ Bretz, dessen spiritueller Name Sukadev aus dem Sanskrit stammt und so etwas wie &bdquo;derjenige, der Freude ausstrahlen will“ bedeutet, sitzt in einem schlichten Kellerraum auf einem Stuhl im Schneidersitz. Es ist angenehm kühl hier unten an diesem warmen Sommertag, aber es riecht leicht muffig. Die vom Yoga Vidya nach und nach aufgekauften Gebäude der ehemaligen Rehaklinik können den etwas angestaubten Charme der 70er-Jahre eben nicht ablegen. "Würden lieber nur Yoga unterrichten" Der 60-Jährige trägt die im Ashram typische Kleidung – hellgelb-curryfarbenes Hemd und helle Hose. Er lächelt freundlich, doch eine gewisse Anspannung ist ihm anzumerken: &bdquo;Wir würden lieber nur Yoga unterrichten und unseren Glauben leben und freundlich zu allen Menschen sein, aber wir müssen jetzt tun, was zu tun ist.“ Dabei fürchte er nach dem Urteil weniger einen Rattenschwanz an Klagen ehemaliger Sevakas: &bdquo;Das wäre bereits passiert, aber es gibt nur eine weitere Klage.“ Und auch die Nachzahlungen an die beiden Frauen werden Yoga Vidya nicht in den Ruin treiben. So verlangte eine der beiden Klägerinnen, eine Volljuristin, für ihre jahrelange Arbeit im Ashram rund 46.000 Euro. Ein Betrag, der zu stemmen sein wird. Sorgen bereiten Bretz jedoch die Sozialversicherungen, die immense Nachzahlungen fordern könnten. Welche finanziellen Auswirkungen das hätte, sei nicht kalkulierbar. Zwar ist das schriftliche Urteil aus Erfurt noch nicht da, doch Bretz bereitet zusammen mit Juristen, die nach einem Aufruf auf der Homepage des Vereins ihre Unterstützung zugesagt hätten, schon eine Verfassungsbeschwerde vor. Seine Experten, Religionswissenschaftler und Verfassungsrechtler, seien überzeugt, dass das Verfassungsgericht das Urteil kassiere, sagt er. 42 Wochenstunden - 390 Euro Taschengeld Sevakas müssen sich für mindestens ein Jahr zum Dienst verpflichten, haben eine Sechs-Tage-Woche bei rund 42 Wochenstunden abzuleisten. Sie sind gesetzlich kranken-, arbeitslosen-, renten- und pflegeversichert und erhalten eine zusätzliche Altersversorgung. Sevadienste gibt es zum Beispiel in Küche, Haushalt, Garten, Gebäudeunterhaltung, Werbung, Buchhaltung, Boutique oder bei der Durchführung von Yogaunterricht. Als Gegenleistung erhalten die Sevakas rund 390 Euro Taschengeld, haben Kost und Logis frei und können in ihrer Freizeit sämtliche spirituelle Angebote im Ashram nutzen. Allein in Bad Meinberg, nach Angaben des Vereins europaweit das größte Yoga-Seminarhaus, gibt es neben einigen wenigen Angestellten rund 200 Sevakas, darunter auch Rentner und Kinder; rund 50 seien es an den anderen Standorten, sagt Bretz. Manche gründeten Familien im Ashram, andere gingen hier in Rente: &bdquo;Wenn wir in die Insolvenz gehen, verlieren viele Menschen auch ihr religiöses, spirituelles Zuhause“, fürchtet Pressesprecherin Maike Czieschowitz. Und damit meine sie nicht nur diejenigen, die vor Ort leben, wie sie selbst, sondern auch die, die dem Haus verbunden blieben, immer wieder hierher kämen oder über das Internet Angebote nutzten. "Man entscheidet sich bewusst dazu" Czieschowitz lebt und arbeitet seit einigen Jahren im Ashram. Auch sie ist eine Sevaka – ebenso übrigens wie Bretz selbst. Die Motivation der beiden Frauen, im Nachhinein auf Lohn zu klagen, kann sie nicht verstehen: &bdquo;Das Leben hier ist anders, das war mir klar, das ist jedem klar, und es steht steht auch in den Mitgliedsunterlagen. Man entscheidet sich bewusst, ein spirituell ausgerichtetes Leben zu führen. Und dass ich wenig verdiene, nur ein Taschengeld bekomme, weiß ich auch“, sagt sie. Die Freiwilligen wie sie sind es, die mit ihrem &bdquo;Dienst in der spirituellen Gemeinschaft“, wie es Bretz nennt, das Ashram am Laufen halten. Dazu zählen neben den Sevakas noch weitere Ehrenamtliche: Mithelfer, die in der Hierarchie auf der untersten Stufe stehen. Meist bewürben sich junge Leute nach der Ausbildung oder Rentner, aber auch Menschen, die sich für einen späteren Sevaka-Dienst interessieren, erklärt Czieschowitz. Mithelfer müssen sich im Gegensatz zu den Sevakas selbst krankenversichern, Yoga Vidya führt für sie keine Sozialbeiträge ab. Wer sechs Stunden Dienst tut, bekommt Kost und Logis im Mehrbettzimmer gratis und kann in seiner Freizeit die Angebote nutzen, wer nur drei Stunden arbeitet, muss für den Aufenthalt zahlen, hat aber die Angebote ebenfalls frei. Wer krank wird, muss gehen Sobald sie über einen längeren Zeitraum krank sind, müssen die Mithelfer das Ashram verlassen oder individuelle Übernachtungspreise zahlen. Ist das sozial? Es werde individuell entschieden, ob ein Kranker im Ashram oder doch besser zuhause aufgehoben sei, entgegnet Bretz: &bdquo;Die Mithelfer sind ja nicht Teil der Gemeinschaft im engeren Sinne. Sie haben alle ein Zuhause.“ Eine abhängige Beschäftigung sei es nicht, schließlich könnten die Mithelfer das Ashram jederzeit verlassen: &bdquo;Das ist eine vorübergehende Sache wie ein Praktikum – aber ein Praktikum ist es nicht“, betont Bretz. Eine Insiderin, die einige Monate als Mithelfer im Ashram gearbeitet hat, berichtet, dass die Arbeitszeit minutengenau anhand von Klickabständen kontrolliert worden sei, Stunden hätten nachgearbeitet werden müssen. In der Konsequenz habe sie tageweise von 7 bis 22 Uhr gearbeitet: &bdquo;Wie ist das mit Datenschutz, Arbeitsschutz und der ehrenamtlichen Mithilfe vereinbar?“, fragt sie sich. Für sie war die Tätigkeit weniger ein &bdquo;Dienst in der spirituellen Gemeinschaft“ als ein ganz normaler Job. Und der Benefit, an allen spirituellen Angeboten und Ritualen kostenlos teilnehmen zu können, könne je nach Arbeitszeit nur bedingt genutzt werden. Lege man den Mindestlohn von zwölf Euro zugrunde, so erwirtschafte ein Mithelfer bei 36 Wochenstunden im Monat 1.872 Euro. Als Gegenleistung könne er kostenlos im Mehrbettzimmer übernachten, ein Doppelzimmer koste 15 Euro Zuschlag am Tag: &bdquo;Da zahlt der Mithelfer, relativ gesehen mehr als Individualgäste, die ja den ganzen Tag Zeit haben, alle Angebote zu nutzen.“ Ohne Ehrenamtler kein Ashram Ob Sevakas oder Mithelfer: Die Freiwilligen sind es, die das umfangreiche Angebot im Ashram stemmen: Seminare, Yogalehrer-Ausbildung, Kongresse und Events, Meditation, Ayurveda und Yoga-Therapie, um nur einige zu nennen, sind auf der Homepage zu finden. Zudem gibt es ein eigenes Yoga-Wiki. Jährlich verzeichnet der verein eigenen Angaben zufolge mehr als 85.000 Übernachtungen. Menschen buchen wöchentliche Yogastunden im Ashram, sie bleiben ein paar Tage oder Wochen, sie verbringen ihren Urlaub oder eine längere Auszeit hier. Geschlafen wird im Einzelzimmer, Doppelzimmer, Mehrbettzimmer, Schlafsaal oder Zelt, je nachdem, was sich der Gast leisten kann oder will. Die Ehrenamtlichen umsorgen die Gäste. Entsprechend günstig sind die spirituellen Angebote. Ein Umstand, den andere Yoga-Anbieter kritisieren. Bretz verneint den angeblichen Wettbewerbsvorteil: &bdquo;Ein typischer Sevaka macht 20 oder 25 Stunden das, was man als Arbeit bezeichnen würde, und vieles andere ist spirituelle Beratung und Rituale ausführen, von denen wir annehmen, dass sie gut sind für die Schwingungen und um uns mit Gott zu verbinden.“ So gesehen seien Sevakas auch nicht günstiger als reguläre Angestellte, die ja all die Benefits nicht hätten. Im übrigen, sagt der Ashram-Leiter, gebe es ja in Deutschland in ganz vielen Bereichen Ehrenamtliche – in Vereinen oder in Kirchengemeinden zum Beispiel: "Sportvereine sind doch auch keine Konkurrenz zu Fitnessstudios." Ein Wirtschaftsunternehmen? Bretz begann mit dem Aufbau des Zentrums in Bad Meinberg 2003. Erst nur in einem der verlassenen Gebäude, mittlerweile gehören alle ehemaligen Klinik-Häuser zum Ashram. Es ist ein riesiges Geschäft rund um Yoga, Spiritualität und Ayurveda. Ist Yoga Vidya also nicht doch ein Wirtschaftsunternehmen, das hohe Gewinne erwirtschaftet und dadurch erst die Möglichkeit bekam, sämtliche ehemalige Klinik-Gebäude am Stadtrand von Bad Meinberg aufzukaufen? &bdquo;Nein, wir sind kein Wirtschaftsunternehmen – ebenso wenig wie der Fußballverein, der Gewinn erwirtschaftet, um seinen Fußballplatz zu erhalten“, betont Bretz. So ganz klar ist die Abgrenzung trotzdem augenscheinlich nicht. Bretz berichtet von unterschiedlichen Einschätzungen der Behörden: &bdquo;Die Agentur für Arbeit hat uns Coronageld zum Teil verweigert, weil wir eine spirituelle Gemeinschaft sind – die Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabe sollen wir aber zahlen, da wir ein normaler Arbeitgeber sind. Und die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft verweigert uns die Unfallversicherung, weil wir kein normaler Arbeitgeber sind“, nennt er Beispiele. Immerhin: Teile des Vereins, die Gewinn erwirtschaften, seien inzwischen abgekoppelt und würden als GmbH geführt – so unter anderem der Verlag und der Shop. Derzeit prüfe das Finanzamt, ob die Yogakurse, die im Zentrum für Jedermann angeboten werden, die Kriterien der Gemeinnützigkeit erfüllten. &bdquo;Jeder behandelt uns anders, aber wir wollen einfach nur als das behandelt werden, was wir sind: Eine geistliche Genossenschaft, also eine Art Klostergemeinschaft.“ Richter: Keine Religionsgemeinschaft Genau dieser Punkt ist aber strittig, denn die Richter erkennen in Yoga Vidya eben keine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes, für die entsprechende Sonderrechte gelten. Es fehle das erforderliche Mindestmaß an Systembildung und Weltdeutung, da sich Yoga Vidya auf Weisheitslehren, Philosophien und Praktiken aus Indien und anderen östlichen und westlichen Kulturen sowie auf spirituelle Praktiken aus Buddhismus, Hinduismus, Christentum, Taoismus und anderen Weltreligionen bezöge, sei das Spektrum zu weit gefasst. Diese Begründung will Bretz nicht gelten lassen: &bdquo;Wenn Intoleranz ein notwendiges Kriterium für Religion sein soll, widerspricht das der Praxis der heutigen Religion und der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts“, spitzt er zu. Und es klingt weniger nach meditativem &bdquo;Om“ als nach Entschlossenheit, nicht klein beizugeben.

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