
Oerlinghausen. Der Veranstaltungsraum im katholischen Gemeindehaus St. Michael an der Marktstraße füllt sich schnell. Alle wollen dabei sein, wenn Erfolgsautorin Mechtild Borrmann ihren neuesten Roman vorstellt. „Wir haben das Riesenglück, der Premierenlesung beizuwohnen“ sagt Martina Lange von der Buchhandlung Blume. Sogar Borrmanns Lektorin Andrea Hartmann aus München ist dabei. Die 100 Karten sind schnell vergriffen gewesen, doch die Stühle reichen trotzdem nicht aus. „Ich bin überwältigt, irgendwie sind mehr Leute da, als Karten vorhanden“, wundert sich Martina Lange.
Ein Rätsel, das ungelöst bleibt, aber auch zeigt, wie beliebt Mechtild Borrmann ist. Schon bevor sie auf die kleine Bühne tritt, um mit ihrem Publikum in die Geschichte der „Feldpost“ einzutauchen, signiert sie. Bereits da bildet sich eine kleine Menschenschlange, die am Ende der Lesung quer durch den ganzen Raum führt. Geduldig stehen die Fans an, um neben dem knapp 300 Seiten starken Buch ein paar persönliche Zeilen mitnehmen zu können. All ihre Bücher hat die in Bielefeld lebende Bestseller-Autorin in Oerlinghausen vorstellt. Nun also „Feldpost“.
In ihrem neuesten Roman verbindet Borrmann Zeitgeschichte mit einem Familiendrama, beschreibt die tragische Geschichte einer verbotenen Liebe zur Zeit des Nationalsozialismus, die Entfremdung zweier Familien und einen folgenschweren Hausverkauf. Borrmann gehört zu den Autoren, die nicht nur schreiben, sondern auch besonders ausdrucksstark lesen können.
Briefe und Fotos in einem Aktenkoffer
„Beginnen wir mit dem Anfang vom Ende“, kündigt sie an, startet mit dem Prolog und nimmt ihre Leser dann mit in das Jahr 2000 und die Begegnung der Anwältin Cara Russo mit einer Unbekannten in einem Kasseler Café. Die Frau verschwindet, hinterlässt aber eine schwarze Tasche, in der sich ein brauner Aktenkoffer mit Briefen und Fotos befindet. „An diesem Nachmittag ahnt Cara noch nicht, was ihre Nachforschungen auslösen würden.“
In einem zweiten Handlungsstrang erzählt Mechtild Borrmann in ihrer schnörkellosen, klaren, einnehmenden Sprache von Geschehnissen kurz vor dem Zweiten Weltkrieg, von einer Liebe zwischen Männern, die zu dieser menschenfeindlichen NS-Zeit nicht sein darf. Die Zuhörer im Gemeindehaus folgen dem Geschehen gebannt. Mucksmäuschenstill ist es, wenn Borrmann das Auditorium in die Vergangenheit mitnimmt und dabei tief in die Seelen ihrer Protagonisten schaut. Umso mehr Fragen kommen im Anschluss an die Lesung.
Schon während sie sich mit ihrem Roman „Trümmerkind“ beschäftigte, ist Mechtild Borrmann auf einen ominösen Hausverkauf im Jahr 1937 zu einem symbolischen Preis gestoßen. Zur Rückgabe der Villa kommt es nicht. Borrmann stieß außerdem auf die Aufzeichnungen eines jungen Arztes, der homosexuell war. „Zwei Stoffe, die man wunderbar miteinander verbinden konnte.“ Im Deutschen Tagebucharchiv Emmendingen fand sie das Gerüst für zwei Liebesgeschichten, die tragisch miteinander verwoben sind.
Warum es drei Jahre dauerte, bis der Roman fertig war
„Das Archiv ist eine unglaubliche Fundgrube“, sagt Borrmann. Schon längst hatte sie den Roman weiterentwickeln wollen, „doch dann kam Corona, ich durfte nicht in das Archiv“. Also dauerte es drei Jahre bis zur Fertigstellung von „Feldpost“.
Warum ihre Geschichte in Kassel spielt, möchte eine Besucherin wissen. „Weil Kassel eine vernachlässigte Stadt ist“, entgegnet Borrmann. Die einst reiche, wunderschöne Stadt sei 1943 fast komplett zerstört worden. Zweiter Grund: „Es ist wichtig, die Geschichte an andere Orte zu verlagern, damit es keinen Wiedererkennungswert gibt.“
Dass sich ihre Figuren nach und nach entwickeln und „irgendwann bei mir am Frühstückstisch sitzen“, erfahren die Besucher und auch, dass Mechtild Borrmann noch nie das Buch geschrieben hat, das ursprünglich geplant war. Eine Dame fragt am Ende fast flehentlich: „Warum können Sie sich nicht überwinden, Ihre Bücher als Hörbücher selbst einzulesen, ich könnte Ihnen stundenlang zuhören.“
Eine andere bittet: „Schreiben sie bitte noch lange weiter.“ Ein nächstes Buch ist bereits in Arbeit, soll Ende 2024 erscheinen und wird dann ganz sicher auch wieder in Oerlinghausen vorgestellt werden.