
Oerlinghausen. Derzeit wird viel über Grundrechte diskutiert. Was darf der Staat? Wann und wie weit dürfen Grundrechte beschnitten werden? Alles berechtigte, wichtige Fragen. Was aber, wenn ein neues Grundrecht zur Diskussion gestellt wird. Das Grundrecht auf ein auskömmliches Leben. Dafür würde jeder deutsche Staatsangehörige von der Geburt bis zum Tod vom Staat ein bestimmtes Einkommen erhalten. Einfach so. Ohne Gegenleistung. Ohne die Möglichkeit, dieses Einkommen zu streichen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Das bekommt seit Februar für ein Jahr die Oerlinghauserin Maja Schubert. Sie hat es im Internet gewonnen. Aber sie hat sich nicht an einem Gewinnspiel beteiligt, sondern sich vor etwa einem Jahr auf der Seite www.mein-Grundeinkommen.de registriert. Auf dieser Seite werden, seit Michael Bohmeyer sie im Jahr 2014 initiiert hat, monatlich Grundeinkommen in Höhe von 1.000 Euro pro Monat für ein Jahr, verlost. Kostenlos.
Grundeinkommen werden über Crowdfunding finanziert
Finanziert wird das von Menschen, die ihr Sinnen und Trachten nicht der Gewinnmaximierung untergeordnet haben. Finanziell sehr gut gestellte Menschen sprechen sich beispielsweise für eine Vermögensabgabe aus, wie der Hamburger Reeder Peter Krämer im Politmagazin „Cicero“ oder der Millionär Ralph Suikat, der im vergangenen Sommer zusammen mit 82 weiteren Millionären aus sieben Ländern in einem offenen Brief höhere Steuern forderte – für sich selbst und andere Reiche.
Die gemeinnützige Nichtregierungsorganisation (NGO) „Mein Grundeinkommen“ sammelt über Crowd-funding, das ist eine Gruppenfinanzierung eines bestimmten Projekts, Geld für die Grundeinkommen. Sobald 12.000 Euro zusammengekommen sind, werden sie als einjähriges bedingungsloses Grundeinkommen verlost.
Maja Schubert hat vor einem halben Jahr erstmals an einer der Verlosungen teilgenommen. Am 20. Januar hatte die Verlosung stattgefunden, am 21. Januar bekam sie ihre Gewinnbenachrichtigung. Zwei Tage nach ihrem 29. Geburtstag. „Ich habe es zuerst gar nicht glauben können“, sagt sie im Gespräch mit der Neuen Westfälischen. „Zuerst habe ich gedacht: Na, wenn das mal keine Phishing-Mail ist. Doch dann kam eine Mail mit der Bitte um ein Telefonat. Aber so richtig geglaubt habe ich es erst, als Anfang Februar das Geld tatsächlich auf meinem Konto war.“ Der Gewinn kommt grad zur rechten Zeit. Drei Tage nachdem sie davon erfahren hatte, legte sie ihre Prüfung zur Fachkraft für tiergestützte Intervention ab. Die studierte Grundschullehrerin und Sonderpädagogin möchte mit Tieren Menschen helfen. Das geht von Besuchen in Senioreneinrichtungen, um mit Hilfe eines Tieres das Wohlbefinden der Bewohner zu stärken bis hin zur Arbeit am Sozialverhalten von Jugendlichen, wobei sie erklärt, dass bei der Arbeit mit Jugendlichen, die an Aggressionsstörungen leiden, auch ein Tier eingesetzt werden muss, dass den Aggressionen Paroli bietet. „Da wäre ein Meerschweinchen eher nicht geeignet“, sagt sie. Wohl aber Gänse. Die ließen sich streicheln, würden aber auch, wenn ein bestimmter Punkt überschritten wird, sehr deutlich ihre Grenzen aufzeigen.
Das bedingungslose Grundeinkommen steigert die Lebensqualität
Bisher hat sie in Teilzeit an drei Schulen als Vertretungslehrerin oder als Unterstützungskraft in Klassen mit Kindern mit Förderbedarf gearbeitet. Immer befristet, immer auf Honorarbasis. Da fällt jetzt ein großer Druck weg. Außerdem möchte Schubert sich für ihre tiergestützte Arbeit einen Hund zulegen. Und der muss eine besondere Ausbildung erhalten, die etwa 1.500 Euro kostet. Auch dabei hilft das bedingungslose Grundeinkommen. Durch dieses Geld, da ist sie sich sicher, wird sich ihre Lebensqualität erhöhen und voraussichtlich wird sie sich auch an der Finanzierung anderer Grundeinkommen beteiligen.
Diese Spender, ohne die das System nicht funktionieren würde, werden bei der NGO Crowdhörnchen genannt. Und die Spenden gehen von kleinen Beträgen bis hin zu hohen Summen.
Bisher haben 244.752 Menschen 752 Grundeinkommen finanziert. Verfolgt wird die Seite im Internet von mittlerweile 2,3 Millionen Nutzern, davon 300.000 Kindern. An den regelmäßigen Verlosungen nehmen durchschnittlich 750.000 Nutzer teil.
Das zeigt, dass viele sich über das bedingungslose Grundeinkommen informieren wollen. Gestartet hat das Projekt Michael Bohmeyer mit der Frage, ob Menschen bereit sind, jemand anderem eine Existenzgrundlage zu finanzieren – bedingungslos. Zur ersten Verlosung 2014 rief er mit einem einfachen Video auf. Mittlerweile besteht das Team aus 33 hauptamtlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Sie verstehen sich als Zukunftslabor zur Erforschung des Grundeinkommens. Vieldiskutierter Punkt ist, ob dann noch jemand arbeiten würde. Untersuchungen belegen, dass 90 Prozent der Menschen trotz eines Grundeinkommens weiter arbeiten würden, denn Arbeit formt unsere Identität und strukturiert unseren Alltag. Und auch unbeliebte Arbeiten könnten durch ein bedingungsloses Grundeinkommen weiterhin erledigt werden. Allerdings würde das nur funktionieren, wenn diese Arbeiten mit besseren Bedingungen ausgestattet würden. Das hieße – nicht nur, aber auch, eine bessere Bezahlung. Denn wenn jeder die Möglichkeit habe, eine Arbeit, die nicht wertgeschätzt oder angemessen bezahlt werde, abzulehnen, folgen Konsequenzen unausweichlich.
Und zu finanzieren sei das Ganze auch, sagt eine Pressesprecherin des Vereins „Mein Grundeinkommen“. Zwar würden alle mit 1.000 Euro starten, aber hinzu kämen die Gehälter. Durch steuerliche Regelungen würde das Grundeinkommen finanziert. Ärmere hätten mehr Geld, die Mittelschicht hätte etwa gleich viel zur Verfügung und Menschen mit hohen Einkommen etwas weniger.