Oerlinghausen

Kapitän Günter Augustin verlässt das SPD-Schiff

Nach 26 Jahren als Ratsmitglied zieht sich Günter Augustin aus der Kommunalpolitik zurück. Aber vielleicht doch noch nicht so ganz.

Zum Abschied bekommt Günter Augustin (v. l.) eine Karrikatur, auf der alle Mitglieder der SPD-Fraktion unterschrieben haben. Überreicht wird das Geschenk vom Stadtverbandsvorsitzenden Peter Heepmann (Mitte) und Weggefährten Dirk Becker. | © Gunter Held

Gunter Held
02.09.2020 | 06.09.2020, 19:22

Oerlinghausen. Oh ja, Günter Augustin kann sich aufregen. In manchen Rats- oder Ausschusssitzungen so sehr, dass ein Fraktionskollege ihn schon mal beschwichtigen musste. Aber er beruhigte sich auch schnell wieder – äußerlich. Und dank seiner tiefen, sonoren Stimme blieben auch die kleinen Spitzen nicht ungehört. Am Dienstag verabschiedete er sich aus der Politik. Nach der Fraktionssitzung ging es zu Vassili und dort sagte Peter Heepmann, Stadtverbandsvorsitzender und stellvertretender Fraktionschef: „Ich weiß, dass du nicht gern im Mittelpunkt stehst – außer in Ratssitzungen – aber da musst du jetzt durch.“

26 Jahre lang war Günter Augustin in der Kommunalpolitik engagiert, 15 Jahre davon als Fraktionsvorsitzender. Seinen größten Erfolg verbuchte er bei den Kommunalwahlen 2014, als die SPD 14 von 16 Wahlkreisen direkt holte. „Es fehlten nur vier Stimmen, dann hätten wir alle Wahlkreise gehabt“, sagt Augustin. Zu dem Zeitpunkt war er schon seit einem Jahr im Gespräch mit Dirk Becker. Augustin sah den damaligen Bundestagsabgeordneten als nächsten Bürgermeister der Bergstadt.

Doch da wurde erst einmal der Deckel draufgehalten. „Fünf Leute wussten über die anstehende Kandidatur Bescheid“, sagt Augustin. Und Dirk Becker, der ihn als Freund und Weggefährten würdigt, ergänzt: „Das geht bei der SPD eigentlich gar nicht, dass solch eine Personalie eineinhalb Jahre geheim gehalten wird. Du hast es geschafft“, wandte er sich an Augustin. Er sprach mit den anderen Parteien im Rat und konnte sie mit ins Boot holen. Nur mit den Christdemokraten wollten Gespräche in den vergangenen Jahren nicht klappen. Außerdem unterstützten sie die damalige Bürgermeisterin, die parteilos war, der CDU aber nahestand. Der Erfolg bei der Kommunalwahl und die Wahl Beckers zum Bürgermeister – das wurde am Dienstagabend Günter Augustin zugeschrieben.

Becker ging in seiner Rede weit zurück. 1990 habe er Augustin zum ersten Mal getroffen – als sachkundiger Bürger. 1994 ließ sich Günter Augustin zum ersten Mal aufstellen und gewann seinen Wahlkreis direkt, was ihm insgesamt fünf Mal gelungen ist. 1999 kandidierte er als hauptamtlicher Bürgermeister, unterlag jedoch Ursula Herbort. Zu Beginn der 2000er Jahre kam es innerhalb der SPD zu gewaltigen Spannungen. Niemand nannte an Augustins Abschiedsabend einen Namen, doch alle wussten, dass es um den damaligen Fraktionsvorsitzenden Hans Brinkmann ging. Der wurde schließlich abgelöst, verließ die SPD und schloss sich den Freien Wählern an. Die warfen ihn aus der Partei, weil er sich der AfD andiente. Mittlerweile gehört er der CDU im Kreistag an.

2002 also wurde der Wechsel vollzogen und mehrere Fraktionsmitglieder bestätigten, dass von da an die politische Arbeit wieder Spaß machte und innerhalb der Partei wertgeschätzt wurde.

Gern Florett, aber auch mal Bratpfanne

Als Dirk Becker, der die Fraktion zunächst übernahm, 2005 in den Bundestag nach Berlin wechselte, „hast du dich in die Pflicht nehmen lassen“, sagte er zu Augustin. Vom Stil her gern Florett, aber auch mal die Bratpfanne, wenn es sein musste, habe Augustin seine Ziele beharrlich verfolgt und daran festgehalten. Große Projekte seien die Ansiedlung des damaligen Combimarktes und später der Einsatz für den Rewe-Markt gewesen. Letzteres habe von der Idee bis zur Verwirklichung zehn Jahre gedauert.

Die Zeit seiner größten politischen Erfolge war gleichzeitig von persönlichem Leid überschattet, als seine Frau verstarb. Es ist Hochachtung herauszuhören, als Becker schildert, wie Augustin trotz der schwierigen persönlichen Situation am politischen Ziel festgehalten hat. Auch wenn es in dieser Zeit persönliche Angriffe und Verletzungen gegeben hat.

Ernst Hasselberg bezeichnete Augustin als Kapitän eines Schiffes, das unter roter Flagge fährt und dessen Kapitän andere Schiffe hinter sich versammelt habe – „außer dem Seelenverkäufer, der unter schwarzer Flagge fährt“.

Auch Augustin selbst äußerte sich. Den Einzelhandel zu beleben habe ihm immer am Herzen gelegen. „Wir brauchen die Märkte vor Ort. Wir sind immer noch die Kommune mit dem stärksten Kaufkraftabfluss.“ Deshalb sei der Einsatz für den Rewe-Markt nur konsequent gewesen. „Jetzt braucht niemand mehr zu Buschkühle zu fahren“, sagte Augustin.

Ob er sich tatsächlich komplett aus der Politik verabschiedet, mochte er noch nicht endgültig sagen. „Wenn man mich als sachkundigen Bürger haben möchte . . . mal schauen.“ Sagt’s und lächelt dieses hintergründige Lächeln.