Sexualverbrechen Lippe

Faktencheck: Wer darf eigentlich Pflegekinder aufnehmen?

Nach den mutmaßlichen Missbrauchsvorfällen fordert die Vorsitzende des größten Landesverbandes für Pflege- und Adoptivfamilien neue Qualitätsstandards im Pflegekinderwesen. Dabei gibt es schon einige Kriterien, die Pflegefamilien erfüllen müssen

Die Pflegeeltern Helga und Uwe spielen mit ihren beiden beiden Pflegekindern, einem Geschwisterpaar, im Kinderzimmer ihres Hauses. Im Hintergrund steht die Mitarbeiterin im Pflegekinderdienst und schaut zu. Symbolfoto | © picture alliance / dpa

David Knapp
06.02.2019 | 06.02.2019, 09:28

Nach den mutmaßlichen Missbrauchsvorfällen eines Pflegekindes und weiterer Minderjähriger auf einem Campingplatz in Lügde ist das Vorgehen der Jugendämter Teil der aufgenommenen Ermittlungen. Insbesondere das Jugendamt in Hameln-Pyrmont steht in der Kritik, da es die Unterbringung des mittlerweile achtjährigen Mädchens zu prüfen hatte. Das wirft die Fragen auf, wie die Vermittlung von Pflegekindern in die Familien funktioniert, was in Lügde falsch gelaufen ist und welche Lehren nun gezogen werden müssen.

Wer darf Pflegefamilie werden?

Ob es sich bei der Pflegefamilie um ein verheiratetes oder unverheiratetes Paar oder eine alleinstehende Person handelt, ist zunächst nicht ausschlaggebend. Wichtiger erscheint, dass der Altersabstand zwischen Kind und Pflegeeltern nicht zu groß ist, eine ständige Bezugsperson vorhanden ist, die Pflegeeltern gesund sind und ein polizeiliches Führungszeugnis vorweisen. Darüber hinaus muss die Lebenssituation gesichert und ausreichend Wohnraum vorhanden sein.

Wo können sich Pflegefamilien informieren?

Sylvia Olbrich, Vorsitzende des NRW-Landesverbands für Pflege- und Adoptivfamilien (PAN), sagt, potenzielle Pflegefamilien müssten sich im Vorhinein umfassend informieren und informieren lassen. Ihr Verband oder die zuständigen Jugendämter können Material wie Broschüren und weiterführende Informationen zur Verfügung stellen. "Wie bei uns gibt es in den allermeisten Städten Informationsabende, an denen auch eine Pflegemutter eingeladen wird und Fragen beantworten kann", erklärt Christiane Amedick vom Jugendamt Bielefeld.

Wer vermittelt Pflegekinder an die Familien?

Generell sind die Jugendämter zuständig. Es können aber auch freie Träger über Vermittlungsstellen Pflegekinder und Familien zusammenbringen. Die Stellen sollten laut Olbrich die ersten Ansprechpartner sein.

Was passiert nach dem ersten Kontakt?

"Das macht jedes Jugendamt anders. Manche besuchen die Eltern Zuhause, andere laden ins Jugendamt ein", sagt Olbrich. Ein meist über mehrere Tage verteiltes Vorbereitungsseminar sei allerdings überall verpflichtend. In Bielefeld findet nach den Gesprächen und einer Schulung ein weiteres Auswertungsgespräch statt. Verläuft dieses positiv, kommt ein Pflegeverhältnis zustande. "Allerdings passiert die Vermittlung nicht sofort. Bis dahin können einige Monate vergehen", sagt Christiane Amedick. Danach sei ein stetiger, vertrauensvoller Kontakt zwischen Pflegeeltern und Jugendamt wichtig. "Die Begleitung muss von der ersten Minute an kontinuierlich fortbestehen", erklärt Johannes Schmidt vom Vorstand des Kinderschutzbundes Niedersachsen. Darüber hinaus müssten die Sachbearbeiter "ein gutes Verhältnis zu den Kindern haben, damit diese sich jemandem anvertrauen können."

Erhalten die Pflegeeltern Geld für die Aufnahme eines Kindes?

Der Anspruch auf ein Pflegegeld ist im achten Sozialgesetzbuch, Kinder- und Jugendhilfegesetz, geregelt. Das Pflegegeld besteht aus einem Betrag zur Deckung der Unterhaltskosten und einem Erziehungsgeld. Es variiert je nach Alter der Pflegekinder - je älter das Kind ist, desto höher fällt das Pflegegeld aus, das etwa zwischen 700 bis 900 Euro monatlich liegt. Dass Menschen sich nur des Geldes wegen für ein Pflegeverhältnis interessieren, hält Christiane Amedick für eher unwahrscheinlich: "Ich würde das nicht ausschließen, dass sich mal jemand telefonisch bei mir meldet. Aber bei jenen, die letztlich an den Gesprächen teilnehmen, ist das nicht der Fall. Das würden wir mitbekommen."

Was lief schief in Lügde?

"Es ist für mich völlig unvorstellbar, dass ein Kind auf einem Dauercampingplatz untergebracht wurde", sagt Olbrich. Das Problem sei, dass der Elternwille über dem Kindeswohl stehe. In dem Fall befürwortete die Mutter des Mädchens eine Unterbringung bei dem Mann. Es greift die sogenannte Netzwerkpflege. Johannes Schmidt sieht mangelnde Transparenz für mitursächlich: "Wir müssen aufhören, Lebensräume zu schaffen oder aufrechtzuerhalten, die nicht mehr einsehbar sind."

Was muss sich ändern?

Schmidt fordert eine "Supervision für Pflegefamilien": "Der Fall Lügde wird große Auswirkungen auf die Standards haben", sagt Schmidt. Die Grundausbildung für Pflegefamilien sei überholt. Gleichzeitig plädiert er für standardisierte Weiterqualifizierungen. PAN-NRW-Vorsitzende Olbrich mahnt, dass auch bei der Verwandten- und Netzwerkpflege noch genauere Überprüfungen als bisher durchgeführt werden müssen. Sie hofft nun auf bessere personelle und finanzielle Bedingungen der Jugendämter, damit weniger Fälle pro Sachbearbeiter anfallen. Zudem müssten Vereinheitlichungen und standardisierte Rahmenbedingungen vorangetrieben werden. Es gebe in Deutschland mehr als 560 Jugendämter und "jedes kocht sein eigens Süppchen".