Wie ein junger Afghane in Warburg neu durchstartet

Warburg. Er liest Nietzsche und Spinoza. Hat eine Leidenschaft für Mathe und Physik. Ihn interessiert die Frage nach der Identität. Da hat er auch bei den arabischen Denkern nachgelesen. Er spielt gern Fußball auf dem Bolzplatz und geht regelmäßig ins Fitnessstudio. Und nachdenken hält er für normal. Mohammad Musbah Shams ist 25. Ein ausgeglichener Mensch. Das war nicht immer so. Die Geschichte des jungen Afghanen, der vor vier Jahren nach Warburg kam, &bdquo;ist eine Mutmach-Geschichte“, sagt Dirk Waldhoff, der Freund, den er in der Stadt fand. Und die sollte erzählt werden. Mit den Eltern und seinen drei Schwestern wohnt Musbah mitten in der Warburger City, am Marktplatz in der Neustadt. Roma (28) und Faiqa (26) sind Ärztinnen, ausgebildet in ihrem Heimatland. In Deutschland dürfen sie aber nicht ihrem Beruf nachgehen. Sie kümmern sich um eine Approbation. Um sie zu bekommen, müssen die beiden Medizinerinnen nach den speziellen Sprachkursen, die sie absolvierten, noch weitere Dokumente beibringen. Aus Kabul. Die Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse ist ein langer Prozess, sagt Waldhoff. Mittlerweile sind in Afghanistan Frauen vom Medizinstudium ausgeschlossen. Auch Musbahs jüngste Schwester möchte Ärztin werden. Aktuell besucht Helay (21) in Hamburg ein Studienkolleg. Flucht aus Afghanistan mit Unterstützung der Bundesregierung Die Familie hatte nach dem Abzug der amerikanischen Truppen und der Machtübernahme der Taliban das Land am Hindukusch verlassen müssen. Die Flucht sei mit Unterstützung der Bundesregierung gelungen, ist Musbah dankbar. Mitte März vor vier Jahren wurden sie ausgeflogen, landeten in Düsseldorf, kamen für eine Woche ins Corona-Camp nach Hannover, schließlich nach Warburg. In die Geflüchtetenunterkunft an der Bahnhofsstraße. Sechs Personen, zwei Zimmer, Gemeinschaftsküche und -sanitäranlagen. Fern der Heimat, &bdquo;ein neuer Ort, ein anderes Klima, andere Menschen, eine andere Kultur und Sprache“, sagt Musbah. Die Sprache zu erlernen, sei das Wichtigste. Allerdings sei es schwer, &bdquo;auf ein gutes Level“ zu kommen. &bdquo;Ein Schritt nach dem anderen“, gibt sein Vater für alle die Richtung vor. Auch interessant: Warburg baut ein neues Zuhause für Geflüchtete In Warburg lähmt die Angst vor der Zukunft Der stammt aus einer Kleinstadt gut 80 Kilometer von Kabul entfernt. Wegen der Kinder zieht die Familie des Bauingenieurs in die afghanische Hauptstadt. Dort sind die Schulen besser und es gibt eine Universität. Auf der wird Musbah später studieren. &bdquo;Sieben Semester“, sagt er. &bdquo;Energy Engineering“, nennt er das Fach. &bdquo;Windkraft, Photovoltaik, nachhaltige Energie“, erklärt er. Seine Professoren hatten in Frankreich, Deutschland und Japan gelernt. Die Bücher in Englisch, auch Klausuren und Prüfungen finden auf Englisch statt. Als Musbah in den Flieger steigt, fehlt ihm nur noch ein letztes Semester bis zum Abschluss. Der Frust keimt und steigt Musbah besucht das Warburger Berufskolleg, beginnt, andere Jugendliche kennenzulernen, spricht mit den Sozialarbeitern am Kolleg, nimmt in Paderborn an einem Sprachkurs der Volkshochschule teil. &bdquo;Eine unbekannte Sprache von null auf“, schüttelt er den Kopf. Der Schulbetrieb verwirrt Kopf und Seele. &bdquo;Als ich ihn traf, hatte er Probleme, das Haus zu verlassen“, sagt Waldhoff. &bdquo;Musbah war gar nicht gut drauf“, fasst er knapp zusammen. Der junge Afghane hatte die Perspektive verloren. Orientierungslos lähmte ihn die Frage, wie es weiter gehen sollte. &bdquo;Musbah verstand nicht, wie das Land funktioniert“, sagt Waldhoff. Der Frust keimt und steigt. Ein Treffen, das alles entscheidet Den Kontakt hatte eine engagierte Dame aus der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe geknüpft. Aufgewachsen in Warburg, lange Zeit in Berlin, sechs Jahre im Marketing der Uni im englischen Bournemouth tätig. Dort lernt Waldhoff seinen späteren Ehemann Dean kennen. Die beiden ziehen nach Warburg. Heute arbeitet der 52-Jährige an der Paderborner Uni als Koordinator in der Forschung. Und verschafft dem neuen Mitbürger aus seiner Heimatstadt einen Halt. &bdquo;Das Gespräch gab mir Hoffnung“, sagt Musbah heute. &bdquo;Du bist kein Analphabet. Mach was“, hatte auch der Vater gesagt. Lesen Sie auch: Was den Frauentreff der &bdquo;Zweiten Heimat“ in Warburger besonders macht Musbah ergreift die Chance und nimmt sein Leben wieder in die Hand, überwindet das Gefühl, isoliert zu sein, häuft Sprachkurs auf Sprachkurs. Bis er das Niveau erreicht, das ihm Einlass ins Studium gewährt. Elektrotechnik in Paderborn. In wenigen Tagen beginnt das zweite Semester. In drei Jahren möchte er fertig sein. Wichtiger als im Job eine Menge Geld zu verdienen, ist ihm, &bdquo;die Welt für den Menschen zu einem besseren Ort zu machen“. Grundlage sind ihm seine Lebenserfahrungen und sein Wissen. &bdquo;Deutschland hat uns als Familie viel gegeben“, sagt Musbah. &bdquo;Wir wollen etwas zurückgeben.“ Auch als Ärztinnen und Ingenieur. Ehrenamtlich gibt Musbah schon jetzt Mathenachhilfe. In Englisch. In Kabul zerreißt eine Bombe die Uni Ein Kriegsopfer: In Kabul zerreißt eine Bombe des IS die Mauern der Uni. 20 Menschen verlieren das Leben. Musbah sieht sie sterben. Es brauche schon eine Menge Energie, um solche Erlebnisse zu überwinden, merkt Waldhoff. Aber auch, um sich auftürmende Hürden im Zufluchtsland zu überwinden.&bdquo;Davon machen sich viele keinerlei Vorstellung“, übt er Kritik. Als Flüchtling müsse man eine Menge Geduld beweisen und den Glauben an sich und die anderen nicht verlieren. Individuell müsse jede und jeder sicherlich andere Schritte gehen, doch gemeinsam müsse allen ein Durchhaltewillen sein. Zu denken, allein zu sein, sei ein Gefühl, das oftmals einfach nicht der Wahrheit entspreche, gibt Musbah seine Erfahrung der vergangenen Jahre wieder. &bdquo;Buntes Warburg“: 700 Menschen protestieren in Warburg für Demokratie &bdquo;Wer ist wer?“, stellt er die philosophische Frage und erzählt von seinem Cousin. &bdquo;Gelbliches Haar, blaue Augen, als Kind dachte ich, er sei ein Ausländer, ein Russe. Weil er nicht so aussah wie ich.“ Ihn freut ein kleiner Aufkleber, den er neulich in der Stadt entdeckt habe, mit dem Aufdruck &bdquo;Buntes Warburg“. Ein gutes Motto: &bdquo;Unsere Welt ist schön mit Farbe“, bekräftigt Musbah. &bdquo;Neugierig bleiben und keine Scheu haben, andere Leute kennenzulernen“, rät Waldhoff. &bdquo;Lern was oder mach was“, nennt Musbah das positive Motto seines Vaters, das er immer, wenn er in sein Zimmer hineinschaue, wiederhole. &bdquo;Um Zeit nicht leichtfertig zu verschenken“, führt Waldhoff den Gedanken fort. Musbah liest. Die Philosophen.

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