Interview zu Spaziergängen: „Rechte Parolen nicht unbeantwortet lassen“

Was geht Ihnen durch den Kopf angesichts dieser Bilder von Montagabenden in Ihrer Heimatstadt und in vielen anderen Städten in Deutschland?Ricardo Blaszczyk: Wir leben in einer Zeit, in der unsere Demokratie auf dem Prüfstand steht. Demokratie bedeutet immer auch Meinungsvielfalt – das äußert sich unter anderem auch dadurch, dass unterschiedliche Interessengruppen für ihre Positionen einstehen und dafür demokratisch demonstrieren.Auch wenn wir wissen, dass diese Montagsspaziergänge allzu oft von rechten Gruppen genutzt werden, um ihre Parolen unters Volk zu bringen, muss ich als Demokrat erstmal damit leben. Menschen haben unterschiedliche Meinungen – und Demokratie muss das aushalten. Da gibt es überhaupt keinen Kompromiss für mich.Ich persönlich finde es schade, dass wir es nicht schaffen, in der jetzigen Zeit konstruktiv an einem gemeinsamen Ziel zu arbeiten und uns als Gesellschaft zusammenraufen: Beide Seiten wollen letztlich dasselbe. Wir wollen das Ende der Pandemie. Die Frage ist nur, wie wir dieses Ziel gemeinsam erreichen. Was macht Ihnen am meisten Sorge bei diesen Bildern? Die extrem rechtspopulistische Unterwanderung dieser Spaziergänge. Manche Teilnehmer versuchen, mit einfachen Parolen wie &bdquo;Freiheit statt Spaltung“ einen Keil in unsere Gesellschaft zu treiben. Mit solchen Parolen werden komplexe Problemstellungen verharmlost. Ich kann ein verbrieftes Grundrecht nicht so runterbrechen.Freiheit ist unser höchstes Gut. Es ist unsere Pflicht, dieses demokratisch zu verteidigen. Doch es geht in dieser Pandemie nicht nur um Freiheit, es geht auch um das solidarische Miteinander in der Gesellschaft, ausgerichtet an den Schwächsten. Das Bündnis für Demokratie und Toleranz organisiert Solidaritätskundgebungen gegen die Montagsspaziergänge. Warum darf man Corona-Leugnern, Impfgegner und anderen nicht die Straße überlassen? Wir machen keine Kundgebungen gegen Montagsspaziergänge, sondern wollen zeigen, dass rechte Parolen und egoistisches Freiheitsdenken nicht die Meinung der breiten Gesellschaft sind. Für eine solidarische Gesellschaft müssen wir einstehen. Es ist wichtig, zu zeigen: Wer lauter schreit und die aggressivsten Parolen hat, der kann nicht mit der stillen Zustimmung der anderen rechnen. Es geht um solidarisches Handeln und die Einbeziehung aller Menschen. Bietet man ihnen damit nicht eher ein Forum und noch mehr Öffentlichkeit? Wäre es nicht einfacher, sie zu ignorieren und machen zu lassen? Ignorieren und machen lassen, das ist immer viel, viel einfacher, als für Werte persönlich und durch eigenes Handeln einzustehen. Natürlich bietet man eine gewisse Öffentlichkeit, auch in der öffentlichen Berichterstattung – aber es ist wichtig, zu zeigen, dass gesellschaftlicher Dissens immer mehrere Seiten hat. Gerade wenn Protest nur aus aggressiven Parolen besteht, um gesellschaftlich zu spalten, muss man sich bewegen, ins Handeln kommen, deutliche Zeichen setzen, um diese Parolen nicht unbeantwortet im Raum stehenzulassen.Ich finde im aktuellen Konflikt Begrifflichkeiten wie Corona-Leugner oder Impfgegner schwierig. Der Großteil der Menschen ist verunsichert, nicht gut informiert, hat im persönlichen Umfeld die Schwere der Pandemie noch nicht erlebt. Deshalb sehe ich die Montagsspaziergänger nicht als Gegner, sondern als Menschen, die eine Meinung vertreten. Und man muss trotz aller Differenzen stets die Hand zum Dialog ausstrecken. Woher kommt ein derart hohes Mobilisierungspotenzial in den vergangenen Wochen? Treibt sie die Angst?Angst ist ein zu großes Wort. Man darf die Themen Impfen und Impfpflicht gesellschaftspolitisch nicht unterschätzen. Es ist aus demokratischer Perspektive gut, dass es diese breite Debatte in der Gesellschaft gibt. Sie muss geführt werden. Als Bündnis wollen wir diese Debatte führen, da sie Teil einer gelebten Demokratie ist.Dass dieser Wille beim anderen nicht immer ankommt, sondern dort auf eine ideologische Versteinerung trifft, kann ich nicht immer einordnen. Aber das Thema ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, und wir sollten diese Diskussion demokratisch führen.Wer spaziert dort aus Ihrer Sicht? Ich glaube, dass es ein kompletter Querschnitt der Gesellschaft ist. Ich kann und will Spaziergänger nicht einteilen in Bildungshaushalte oder sozio-ökonomisch schlechter gestellte Haushalte. Die oft angeführte Informationsblase durch soziale Medien, in der sich viele Menschen befinden, ist ein wichtiger Faktor: Durch Nutzung baut sich jeder eine eigene Blase in den sozialen Netzwerken. Das passiert, indem wir bestimmte Posts und Themengebiete oft lesen und liken. Ein Algorithmus zeigt uns anschließend mehr und mehr die Information an, die zu unserem Nutzerverhalten passen. Es ist verführerisch für Menschen jeglicher Couleur, sich in dieser Blase zu verlieren. Je weiter man sich darin bewegt, desto weiter entfernt man sich von objektiven Informationen. Und umso schwieriger wird es, sich gegen den Algorithmus zu wehren. Es ist bekannt, dass gerade Populisten über soziale Medien deutliche Zugewinne haben, da sie Menschen bewusst in ihren Informationsblasen halten.Deshalb begrüße ich es sehr, dass soziale Plattformen von der EU verpflichtet werden sollen, die Schlüssel der Zuordnung von Information offenzulegen – wie diese auf die Nutzer zugeschnitten werden. Denn: Habe ich noch die Freiheit der Information, wenn ich durch Algorithmen eingeschränkt werde? Rechte Gruppen wie der III. Weg posten Orte und Zeiten von Montagsspaziergängen auf ihren Homepages – auch Beverungen, Warburg oder Bad Driburg stehen drauf. Wie hoch schätzen Sie diesen Anteil ein? Spaziergänge hatten ursprünglich mal einen demokratischen Hintergrund: Man will keine Impfpflicht, will ein Ende der Pandemie und der Maßnahmen. Mittlerweile nutzt die rechte Szene das bewusst, um ihr Gedankengut zu transportieren und gezielt gegen den Staat zu hetzen. Sie reduzieren komplexe Themen auf einfache Parolen: beispielsweise Freiheit statt Spaltung. So einfach wie diese Parole ist das gesellschaftliche Zusammenleben aber in einer Demokratie nicht.Ich kann nicht sagen, wie hoch der Anteil der Rechten ist. Aber wer sich aufmerksam durch soziale Medien klickt, der sieht, dass hauptsächlich rechte Gruppierungen die Spaziergänge als Werbeplattform nutzen, um zu zeigen, dass man die einzige &bdquo;Partei“ ist, die den richtigen Weg weiß. Was sie angeblich verhindern wollen, ist dabei erklärtes Ziel: Spaltung.Wissen die anderen Montagsspaziergänger denn, mit dem sie da unterwegs sind? Ja, ich bin der festen Überzeugung, die Menschen wissen genau, hinter wem sie da laufen. Das ist in den Medien oft genug dargestellt worden. Sorge macht mir: Es gibt Menschen, die mit Sicherheit nicht rechts gesinnt sind, dies aber billigend in Kauf nehmen. Ein viel größeres Problem. Ich kann in einer Demokratie anderer Meinung sein als mein Nachbar. Aber niemals für Rechte mit Rechten. Ist das gefährlich? Gefährlich ist ein großer Begriff . . . Ja, es ist auch gefährlich. Dieses rechte Gedankengut, das wir normalerweise aufgrund unserer demokratischen Grundeinstellung von uns weisen, wird nun indirekt in die Köpfe der Menschen getragen. Es wird auf einmal wieder selbstverständlicher, gewisse Sachen zu sagen. Dadurch verschieben sich Grenzen. Und dann laufen Kinder in einem solchen Umfeld mit.Die verstehen oft nicht einmal den Kontext, warum bei bestimmten Parolen gejubelt wird. Da liegt für mich eine gefährliche Entwicklung. Deshalb ist es besonders wichtig, dass wir uns als Gesellschaft dagegen stemmen. Wir lernen in der Schule, im Elternhaus und durch persönlich Betroffene, welche Folgen stumpfe Parolen und rechtes Gedankengut haben. Aber oft werden historische Zusammenhänge zwischen dem, was in der NS-Zeit geschah, und dem, was heute geschieht, übersehen – mittlerweile tun sich vielen Parallelen auf.Daher auch ein persönliches Anliegen: unsere Erinnerungskultur. Diese zeigt oft nur das Grauen, den Krieg, die Zerstörung, die KZs. Was wir zu selten erfahren, ist, wie wir dahin kamen, wie und wo alles begann. Da gibt es Änderungsbedarf in unserer Erinnerungskultur. Die Gefahr beginnt, wenn populistische Parolen langsam zu angenommenen Wahrheiten werden. Sie wenden sich bei den Solidaritätskundgebungen als Redner mit sehr direkten und deutlichen Worten gegen die, die sich an die Spitze der Bewegung gesetzt haben – gegen rechte Gruppierungen. Was treibt Sie an? Der Glaube an eine solidarische Gesellschaft, in der wir füreinander einstehen und gemeinsam im Kompromiss Lösungen finden. In der wir durch das miteinander Diskutieren und das Abwägen den besten Weg für alle finden. Haben Sie Angst – auch um sich selbst?Ich habe keine Angst. Ich stehe mit beiden Beinen fest an einer wertebasierten Position – und die vertrete ich. Es wäre ein Armutszeugnis für unsere Demokratie, wenn ich Angst um mich haben müsste. Ich glaube an unsere Gesellschaft, deshalb muss ich keine Angst haben.Ich glaube an die Fähigkeit der Gesellschaft, sich hinter demokratischen und solidarischen Werten zu vereinen und gemeinschaftlich eine bessere Zukunft zu schaffen. Demokratie heißt immer viel Arbeit – der Weg ist steinig. Es geht immer wieder darum, zu diskutieren, abzuwägen und die beste Lösung zu finden. Aber genau dies in unserer Gesellschaft überhaupt zu können, ist schon Demokratie. Ist deren Spaltung angesichts der tiefen Gräben, die durch Familien, Freundschaften, Nachbarschaften gehen, überhaupt noch abzuwenden?Ich sehe in Deutschland weniger spaltende Tendenzen als beispielsweise in Amerika, wo der Konflikt von Demokraten und Republikaner über Jahrzehnte befeuert wurde. In Deutschland ist die gesellschaftliche Spaltung lange nicht so tief – aber wir müssen aufpassen, dass sie nicht tiefer wird.Ich glaube, dass das Wertebewusstsein unserer demokratischen Gesellschaft unantastbar ist. Es sind allzu gern Rechtspopulisten, die den Begriff Spaltung für sich nutzen. Ich denke, wir vertreten als Gesellschaft unterschiedliche Meinungen, wie wir beispielsweise die Pandemie bewältigen können. Verfolgen aber das gleiche Ziel: Die Corona-Krise überwinden. Einziger Unterschied: der Weg dahin. Wie sieht er aus, der beste Weg? Nicht rechts oder links, ich glaube an eine Lösung dazwischen. Die muss man finden – wie beispielsweise im Gesetzentwurf für eine Impfpflicht ab 50. Ich sehe den Konflikt nicht als Schwarz-weiß-Konflikt, sondern in ganz vielen Graustufen.Wenn wir uns gemeinsam hinter den demokratischen Werten versammeln, wird es eine Lösung geben. Es gibt dabei nicht das richtige oder falsche Argument, sie müssen nur gehört und akzeptiert werden. Aus unserem Wertegerüst heraus müssen wir es schaffen, uns den Weg aus der Krise zu erarbeiten.Wie kann ich dann dem anderen begegnen? Was kann ich tun?Die befeuerten Emotionen mal loslassen und alles auf die sachliche Ebene zurückbringen. Offen sein, dem anderen zuhören, in den Diskurs gehen. Ein Problem einfach stehen lassen, es sacken zu lassen, später neu beginnen, aber niemals den Dialog zu beenden. Es ist unheimlich schwer, jemanden aus der ideologischen Informationsblase abzuholen.Aber ich darf ihn auch nicht ausgrenzen. Welchen Werten haben wir uns als Gesellschaft verschrieben? Der persönlichen individuellen Freiheit – dem Egoismus? Oder sind wir solidarisch und somit bereit, gemeinschaftlich Probleme zu lösen? Angesichts von Provokationen wie Verzicht auf Maske oder unangemeldeter Veranstaltungen: Wünschen Sie sich da ein stärkeres Durchgreifen von Polizei und Ordnungsämtern? Wir als Bündnis begrüßen die beruhigende und zurückhaltende Art der Ordnungsbehörden in diesen Situationen. Ich selbst habe da einen Heidenrespekt vor: Sie sind beiden Seiten verpflichtet, müssen beide schützen. Denn jeder hat das gleiche Recht – auch auf gleichen Schutz. Wird der Rechtsstaat damit nicht vorgeführt? Wenn gezielt Aktionen von rechten Elementen unterwandert werden, dann ist die Provokation des Rechtsstaats ein wesentlicher Bestandteil der Eigendarstellung. Wer aber provoziert wird und die Fähigkeit besitzt, ruhig zu antworten, ist auf jeden Fall der Stärkere. Provokation löst nie Probleme und ist zu verurteilen. Versuche, einen Staat vorzuführen, sind ebenfalls zu verurteilen.Diese agitatorischen Provokationen haben nichts mehr mit Protest zu tun. Den eigenen Staat schlecht aussehen zu lassen – ich weiß nicht, welches Ziel so was haben soll. Außer, sich politisch in eine extreme Richtung zu bewegen. Da gibt es den kausalen Zusammenhang: Wo die Rechten stark sind, da gibt es sehr oft Provokationen. Haben die Behörden, hat es die Politik in der Vergangenheit womöglich versäumt, die Kritiker, die noch erreichbar waren, von ihrer Corona-Politik zu überzeugen und mitzunehmen?Ich glaube, es sind alle Menschen erreicht worden – das zeigt die hohe Impfquote von mehr als 90 Prozent bei den Zweitimpfungen im Kreis. Das zeigt, dass die Informationspolitik super funktioniert hat. Die Angebote waren da. Da ist doch alles richtig gemacht worden. Es wird aber immer Menschen geben, die eine Impfung verweigern. Wie auch bei den Masernimpfungen. Wo ist für Sie Schluss mit reden, weil es nichts mehr bringt?Das ist relativ einfach: In dem Moment, wo man merkt, dass der Gegenüber nicht mehr offen ist, über das gelieferte Argument zu sprechen oder nachzudenken, da braucht man nicht mehr reden, sondern muss Abstand gewinnen und es ein anderes Mal erneut versuchen. Leider sind diese Punkte in unsere Gesellschaft mittlerweile sehr früh da. Trotzdem sollte uns das nicht davon abhalten. Und wo hört Toleranz auf? In dem Moment, wo der Diskurs nur noch aus rechtswidrigen Argumentationsketten besteht. Wo es in Aggressionen und Beschimpfungen umschlägt. Wo mit Drohungen oder Gewaltexzessen reagiert wird, da ist Toleranz zu Ende. Wie wollen Sie diejenigen, die Corona-Leugnern, Impfgegnern und Co. nicht zustimmen, aber dennoch Montagabend zuhause bleiben, überzeugen, dass es sich lohnt, nächsten Montag bei der Veranstaltung des Bündnisses dabei zu sein? Ich denke, wir müssen sie gar nicht überzeugen. Man muss die Werte aufzeigen, für die wir stehen und für die wir ein Zeichen setzen wollen. Ich glaube, dass sich viele Menschen in diesen Werten wiederfinden und über sie nachdenken werden.

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