Heiligabend in Bethlehem: Warburger Malergeselle wandert ins Heilige Land

Warburg. Die Reise ins Heilige Land: Heute, am heiligen Abend vor 125 Jahren stand Dionys Hartmann, Maler aus Warburg, auf den reichen Mosaikböden vor dem silbernen 14-zackigen Stern, der die Stele der Geburt Jesu bezeichnet, in der Geburtskirche in Bethlehem. Ein weihnachtlicher Besuch nach langen Jahren der Wanderschaft, die den Malergesellen aus der Altstadt weit hatten herumkommen lassen. &bdquo;Lauf-Lauf“, so der spätere Spitzname des 1958 im Alter von 89 Jahren verstorbenen Altstädters. Die Reise nach Jerusalem: &bdquo;Zu Fuß“, sagt Gabriele Jankenberg (73). Sie ist Hartmanns Großnichte, beschäftigt sich mit der Familiengeschichte und stieß bei Dionys Enkelin Anke Lütkemeyer-Schub auf noch erhaltene Reiseaufzeichnungen, die sie sich auslieh, um die Zeilen von der Sütterlinschrift ins heutige zu übertragen. Die Beschreibungen sollten den Nachkommen auch inhaltlich zugänglich werden, sagt Jankenberg. Leider sei ein Teil der Notizbücher 1965 Opfer des verheerenden Diemel-Hochwassers, das die Altstadtgassen überschwemmt hatte, geworden. Das Entziffern mühevoll, &bdquo; die Zeilen in den Heften zumeist eng gedrängt in winzig kleiner Schrift mit blassem Bleistift geschrieben“. Lediglich der Palästinabericht, den Hartmann wohl selbst noch aus der autodidaktisch erlernten damaligen Kurzschrift übertragen habe, sei großzügiger und mit Tinte verfasst. Aber auch vom Hochwasser verwischt. Ende des 19. Jahrhunderts war Jerusalem das exotische Traumziel vieler Pilger. Und berühmte Schriftsteller aus aller Welt setzten ihren Reisen ins Heilige Land literarische Denkmäler. Da reiht sich die Stimme des Volksschülers aus der Altstadt ein. &bdquo;Sein Augenmerk war eindeutig auf die Architektur gerichtet“, sagt die pensionierte Lehrerin aus der Dorfschule in Großeneder. Akribisch beschreibe Hartmann in seinen Notizbüchern vor allem Gebäude, heilige Stätten, Kirchen und Landschaften.Bericht wie Fotografien mit Worten &bdquo;Fotografien mit Worten“, sagt Jankenberg. Persönliche Erlebnisse und Eindrücke seien ihm in den Aufzeichnungen weniger wichtig gewesen. Dafür vermerke er genaue Uhrzeiten, verzeichne die Höhenmeter der Berge auf dem Weg, streue, gut vorbereitet, kundig Historisches und Bibelzitate ein. Zwischen den Seiten finde sich aber auch mal ein gepresstes Blümchen. Mit 25 Jahren war Dionysius Bernhard Hartmann 1892 zunächst zum Hamburger Hafen aufgebrochen. &bdquo;Wegen eines Choleraausbruchs in der Stadt änderte er jedoch seine Route“, sagt Jankenberg. Der Sohn des Tischlermeisters Christian Hartmann aus der Eisenhoitgasse blickt gen Süden und landet in München. &bdquo;Dort blieb er längere Zeit, besuchte die Kunstschule.“ Anfang August 1895 zieht es ihn weiter: Hartmann wandert über Wien, Budapest und Bukarest nach Constanza in Georgien und weiter über das Schwarze Meer bis nach Konstantinopel, dem heutigen Istanbul. Ein Spion: Die Türken sehen in seinen Stenoschriftzeichen eine Geheimschrift. Hartmann wird mit Steinen beworfen gejagt. Im griechischen Piräus schifft er sich nach Beirut ein. Dort besorgt er sich das Visum für Palästina, dem Ziel seiner Wanderschaft, das damals noch zum Osmanischen Reich gehörte.»Diplomatisch, besonnen, gläubig« Sieben Tage vor dem Weihnachtsfest betritt er 1896 nach 16 Monaten den Boden des Heiligen Landes in der Hafenstadt Haifa. Drei Tage später ist er in der Morgenfrühe in Jerusalem. &bdquo;Und erfüllte sich damit einen Lebenstraum“, weiß Jankenberg aus den Notizen des abenteuerlustigen und bildungshungrigen Warburgers. &bdquo;Um 14 Uhr“, so vermerkt Hartmann, macht er sich an Heiligabend ins gut zehn Kilometer entfernte Bethlehem auf. Im galiläischen Dorf verbringt er den Abend, besucht den Gottesdienst und wandert noch in der Nacht wieder zurück nach Jerusalem. Fünf Wochen wird er in der Region bleiben, wird im Toten Meer baden, den Suezkanal überqueren, in Ägypten die Städte Alexandria und Kairo und die Pyramiden besuchen, bevor er über Griechenland, Italien und Frankreich den Weg zurück unter die Füße nimmt.&bdquo;In Marseille erreicht ihn die Nachricht, dass sein jüngster Bruder Christian, ein 17-jähriger Gymnasiast, unheilbar erkrankt ist“, berichtet Jankenberg. Die geplante Spanienreise bricht er ab. &bdquo;Als er im März 1898 sein Elternhaus nachts erreicht, findet er den Bruder im Sarg aufgebahrt im Hausflur vor.“ Ein begnadeter Zeichner, sagt sein Enkel Stefan Lütkemeyer und blickt auf ein Bild in seinem Lokal, der &bdquo;Tenne“ in der Altstadt. Hartmann habe ein dickes Buch über die Kunst in Renaissance und Barock hinterlassen, &bdquo;mit zahlreichen Zeichnungen in Tusche und Wasserfarben“."Ein liebenswerter Sonderling" &bdquo;Ein liebenswerter Sonderling“, der prächtig von seinen Reisen habe erzählen können, sagt Jankenberg. Die Gymnasiallehrer holten ihn daher auch gern in den Unterricht. Vor den Schülern kniet sich der Katholik nieder, rezitiert den Gebetsaufruf des Imans. &bdquo;Ein religiöser, gläubiger Mensch“, sagt Lütkemeyer.&bdquo;Diplomatisch, besonnen, nie ein böses Wort über andere.“ Sein Opa habe weder geraucht noch getrunken, &bdquo;aber für den Pastor und die Dominikanermönche immer alles im Haus gehabt“. Ein Asket, von dem erzählt wird, dass er neben dem Garten die Obstalleen in der Stadt gern in Anspruch nahm. Auf seiner Jerusalem-Reise arbeitet Hartmann in Caféhäusern, als Anstreicher, immer wieder für Bauern, hütet eine Eselherde, verkauft angefertigte Zeichnungen. Zurück in der Heimat wird der wandernde Malergeselle dann zum Kirchenmaler, heiratet spät mit 58 Jahren. 1928 erwirbt er ein Haus in der Klockenstraße.Familiengründung durch Heiratsanzeige Er solle nicht immer im Zimmer sitzen und lernen, hat Jankenberg in einem erhaltenen Brief der Schwester gelesen. Auf eine Heiratsanzeige, geschaltet von den Geschwistern, meldet sich eine Witwe aus Rietberg mit zwei Kindern. Zur Familie kommen zwei eigene, Friedel und Edeltraut, hinzu.Warum der Altstädter zum Weltenbummler wurde und den Mut aufbrachte, zu Fuß loszuziehen, darüber können die Nachfahren nur spekulieren. Von seinen Erlebnissen bleiben die schillernden Erzählungen, auf seinem Grabstein in der Nähe der Kapelle des Altstädter Friedhofs Wanderschuhe und -stab.In der Heiligen Nacht vor 125 Jahren mit seinen Reisebegleitern von Bethlehem zurück in Jerusalem, berichtet wird von einem Schweden und einem Dänen, wird Hartmann in den Notizen seiner Wanderjahre dann doch ein wenig persönlich: &bdquo;Es war eine helle, stille hl. Nacht, und es wurde dann das passende Lied, das uns allen bekannt, gesungen“.

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