Volkmarser Amokfahrt bleibt ein Rätsel

Warburg. Mit erschütternden Zeugenaussagen ist der Prozess gegen Maurice P., der mit seinem Mercedes im vergangenen Jahr in Volkmarsen in den Rosenmontagszug gerast war, im Juli fortgeführt worden. Der 30-jährige Tatverdächtige steht wegen der Autoattacke vor dem Kasseler Landgericht – und schweigt. Knapp 14 Monate nach der Amokfahrt in der Warburger Nachbargemeinde hatte Anfang Mai der Prozess vor der sechsten Großen Strafkammer zunächst in den Kasseler Messehallen begonnen. Insgesamt waren 31 Prozesstage angesetzt worden. Verhandelt wird nun im Kulturbahnhof in Kassel. Am 24. Februar 2020 war das Auto des Angeklagten in die fröhliche Zuschauermenge gefahren. Der damals 29 Jahre alte Fahrer soll den Wagen absichtlich ins Gedränge gesteuert haben. 90 Menschen, darunter Kinder, erlitten teils schwerste Verletzungen. Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt wurden mehr als 150 Betroffene beeinträchtigt oder traumatisiert. Maurice P. wird uner anderem Mordversuch in 91 Fällen vorgeworfen. Die Richter hörten unter anderem von den Ängsten einer Mutter (35) aus Warburg, die mit ihrer damals dreijährigen Tochter als Zuschauer des karnevalistischen Umzuges am Straßenrand stand. Beim Aufsammeln der Kamelle war das Mädchen vom Fahrzeug des Angeklagten erfasst worden und unter den Wagen geraten. Plötzlich sei ihre Tochter verschwunden gewesen, schilderte die Mutter, die im Prozess auch als Nebenklägerin auftritt. Männer hoben das Auto an, legten das regungslose Kind in die Arme einer Frau. Dieses Bild gehe ihr nicht aus dem Kopf, sagte die Warburgerin. Mit dem Rettungshubschrauber war das Mädchen in eine Göttinger Klinik geflogen worden. Der Schrecken bleibt, immer wieder krieche die Angst hoch, berichtete ihre Mutter. Seit der Tat arbeitsunfähig, sei in den Monaten nach dem Erlebten die Bindung zu ihren Kindern immer enger geworden. Die Empfindsamkeit, die übergroße Sorge seien dem Vater zu viel geworden. Man lebte sich auseinander, die Ehe ging in die Brüche. Er habe die Fahrertür aufgerissen und den Fahrer, um ihn zu stoppen, in den Würgegriff genommen, berichtete ein weiterer Zeuge. Von der Beifahrerseite aus, habe er sich mit seinem Gewicht auf den Oberkörper des Fahrers geworfen, schilderte ein anderer. Um den Schlüssel im Fahrzeugschloss wurde gerangelt. An Details können sich die Männer nicht mehr erinnern. Von ihnen möchte Strafverteidiger Bernd Pfläging, der den Amokfahrer vor Gericht vertritt, wissen, wer denn seinen Mandaten mit Schlägen traktiert habe. Vor dem Haftrichter habe Maurice P. ausgesehen, als sei er &bdquo;über zehn Runden Sparringspartner eines Profiboxers gewesen". Diesbezügliche Ermittlungen seien eingestellt worden, teilte Oberstaatsanwalt Tobias Wipplinger im Gericht mit. Verschlossen, kaum Kontakt und emotionslos Auch der Angeklagte, der weiterhin beharrlich schweigt, bleibt ein Rätsel. Als &bdquo;emotionslos" schildern ihn Menschen, die ihn in der nordhessischen Stadt in den Jahren zuvor erlebt hatten. Angehört wurden ein früherer Arbeitgeber, Supermarkt-Mitarbeiter, Arbeitsvermittler und eine Gefängnis-Psychologin. Auch um seinem persönlichen Umfeld näher zu kommen. Der Handwerksmeister, bei dem Maurice P. vor elf Jahren eine Ausbildung zum Elektroinstallateur begonnen hatte, kündigte ihm bereits nach dem ersten Jahr. Unpünktlich, keinerlei Kontakt zu Kollegen. Als verschlossen und immer allein, schildert ihn die Frau des Ausbilders. Bei Fahrten durch die Innenstadt sei ihr der junge Mann nach der Kündigung immer wieder aufgefallen. Wie er mit einem Kaffeebecher in der Hand immer wieder an gleicher Stelle am Steinweg gestanden habe. Cappuccino aus der Kühltheke, Wodka und Zigaretten: Unfreundlich, den Gruß nicht erwidernd, gibt ein Supermarktleiter zu Protokoll. Den Mitarbeiterinnen in der Agentur für Arbeit, die Maurice P. zuletzt 2019 betreut hatten, sei er höflich und freundlich begegnet. Aus der Erinnerung heraus schilderten sie ihn aber auch als zurückhaltend und in sich gekehrt. &bdquo;Wenig emotional", befand eine Psychologin bei der Anhörung vor dem Richter. Sie hatte in der Justizvollzugsanstalt Frankfurt I mit dem Angeklagten mehrfach gesprochen. Dabei habe er einmal gesagt, dass es ihm für die Opfer leid tue. Tiefer gehende Gespräche habe er allerdings stets abgelehnt. Die Gefängnis-Psychologin hielt mit Blick auf den Angeklagten eine &bdquo;schizoide Akzentuierung" fest. Hinweise auf seine Gedankenwelt oder Motivation gäbe er nicht, lasse er nicht zu. Menschen mit einer schizoiden Störung hätten keinen Zugang zu ihrem inneren Erleben und könnten auch nicht sagen, wie sich fühlten, erklärte die Psychologin. Im Zeugenstand hatten auch die Mutter des Angeklagten, sein Halbbruder und die Halbschwester Platz genommen. Sie machten aber von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Am Donnerstag steht ab 9 Uhr im Kulturbahnhof in Kassel der nächste Verhandlungstermin vor dem Landgericht an.

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