Wenn Wahn sich entzündet: Warum der Eggeturm zwischen Steinheim und Altenbeken brannte

Paderborn/Steinheim-Sandebeck. Was in Lukas F.s (Name geändert) Kopf vorgeht, während die 1. Strafkammer des Landgerichts Paderborn darüber verhandelt, ob er dauerhaft in einer Psychiatrie untergebracht werden sollte, lässt sich nur erahnen. Die meiste Zeit verfolgt er die Erörterungen rund um seinen Gesundheitszustand aufmerksam, aber emotional augenscheinlich unbewegt. Nur wenn sein tiefster Glaube zur Sprache kommt – kann er sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Dann zieht er die Brauen hoch und schirmt mit einer Hand die Augen ab. Vielleicht blendet die Erleuchtung. Richter Eric Schülke bezeichnet es als &bdquo;fundamentale religiöse Überzeugungen“. Der psychiatrische Gutachter Gerhard Dankwarth nennt es &bdquo;Endzeit- und Versündigungswahn“ und einmal kurz und knackig &bdquo;Blödsinn“. F.s Schwester möchte im Zeugenstand am liebsten gar nichts dazu sagen, woran ihr Bruder so glaubt. Und Lukas F. hört das alles und muss sich bestätigt fühlen. &bdquo;Ich habe es zuerst auch nicht verstanden“, beruhigt er den Vorsitzenden Richter, der von einem unverständlichen seitenlangen Schreiben F.s an das Gericht berichtet. Irgendwann aber gewann F. den Durchblick: &bdquo;Ich glaube nicht nur daran, ich sehe es kommen.“ Und dann hat er den Eggeturm auf dem Velmerstot bei Sandebeck in Brand gesteckt. Etwa anderthalb Jahre vor der Tat am 4. November 2023 beginnt Lukas F., sich mit Prophezeiungen auseinanderzusetzen. Er liest, schaut und hört, was er auf ausgewählten Kanälen dazu finden kann. Es sind keine schönen Utopien, sondern, wie Gutachter Dankwarth sie bezeichnet, &bdquo;Endzeit-Prophezeiungen“. Lukas F. beschäftigt sich immer intensiver mit diesem Gedankengut, sieht, wie er sagt, &bdquo;dass es sich zuspitzt“, zieht sich gleichzeitig immer mehr in seine Grübeleien zurück. Ende 2023 geht es ihm schlechter – das merkt nicht nur seine Schwester, mit der er in einer Art WG zusammen in Horn-Bad Meinberg lebt. Das bleibt auch ihm selbst nicht verborgen. Der 31-Jährige handelte &bdquo;psychotisch determiniert“ Er sei, sagt der heute 31-Jährige, damals in Ermangelung eines besseren Wortes &bdquo;zerstreut“ gewesen. &bdquo;Zerstreut klingt so ein bisschen harmlos“, hakt Richter Schülke nach. &bdquo;Das war gar nicht harmlos, das war eine Grenzerfahrung, ich wusste nicht mehr weiter“, präzisiert F. Grund für alles, was am frühen Abend des 4. November folgen wird, ist ein akuter psychotischer Schub, wie Gutachter Dankwarth später erklärt. &bdquo;Im Zustand der akuten Psychose ist man nicht mehr in der Lage, sein Handeln zu hinterfragen.“ Lukas F. schwingt sich – &bdquo;psychotisch determiniert“ – auf sein Fahrrad. In einem Anhänger transportiert er ein Konglomerat an Dingen, das einem handelsüblichen Flohmarktstand alle Ehre gemacht hätte. Darunter zwei Bibeln. Eine halbe Stunde trampelt er durch die Dämmerung, bis er den Eggeturm bei Sandebeck erreicht. &bdquo;Der Turm ist 2004 erbaut worden, das ist das Sterbejahr meiner Mutter“, sagt F. Angeklagter hatte eine tragische Kindheit Er und seine zwei Schwestern hatten keine Bilderbuchkindheit. Die Mutter ist krank, wohl schizophren. Eine Diagnose, die auch auf den Sohn zutreffen könnte, festlegen will Dankwarth sich noch nicht, das werde erst der weitere Krankheitsverlauf zeigen. Die Ehe der Eltern empfinden die Kinder als unglücklich. Es wird viel geschrien, Mutter und Vater schlagen sich. Um der Kontrolle des Jugendamts zu entgehen, wandert die Familie nach Frankreich aus. Sechs Jahre später stirbt die Mutter, ein operativer Eingriff geht dramatisch schief. F. ist da zehn Jahre alt. Vater und Kinder kehren zurück nach Deutschland, ziehen mehrfach um. Gewalt spielt in der Erziehung eine Rolle. Mit 15 beginnt Lukas F. zu trinken. Auf der deutschen Schule tut er sich schwer. Den Hauptschulabschluss macht er mit 17 oder 18, eine Lehre zum Koch bricht er ab. Kleinere Jobs nimmt er immer mal wieder an, hauptsächlich lebt er vom Staat. Und irgendwann finden ihn die Endzeit-Prophezeiungen. Zurück in den November 2023 In der Psychose gefangen, will er sich am 4. November 2023 umbringen. Am Turm angekommen, trifft er Vorkehrungen, um sich einen Weg zurück zu nehmen. Dann versucht er, Feuer zu legen. Zwar entzünden sich Teile des Bauwerks, doch das eigentliche Ansinnen des Kranken gelingt – glücklicherweise – nicht. Feuerwehr und Polizei rücken an, ihnen bietet sich ein schauriges Bild. &bdquo;Wir haben versucht, den Beschuldigten anzusprechen“, schildert eine Beamtin aus Lemgo. &bdquo;Er war oben im Turm, lief im Kreis, reagierte aber nicht auf Ansprache.“ Die Feuerwehr löscht die Flammen. &bdquo;Ich habe Wasser abbekommen“, erinnert sich Lukas F. Die eisige Dusche zeigt Wirkung. &bdquo;Mir war kalt und ich bin runtergekraxelt.“ Wieder halbwegs auf dem Boden der Tatsachen angekommen, wird er festgenommen. Den Polizeibeamten gelingt es, irgendwann grobe, kurze Schilderungen dessen, was passiert ist, aus dem Horn-Bad Meinberger herauszubekommen. Er wird in ein psychiatrisches Krankenhaus gebracht. Medikamente lassen Lukas F. klarer sehen Die erste Zeit dort habe Lukas F. als &bdquo;dumpf“ und &bdquo;surreal“ wahrgenommen. Erst nach und nach – auch dank der Medikamente – habe sich alles etwas &bdquo;aufgedröselt“. &bdquo;Aus heutiger Sicht war das ziemlich krank, aber ich habe das damals nicht erkannt.“ Die Psychopharmaka helfen. Es geht Lukas F. besser. Seine religiösen Überzeugungen spielen für ihn zwar noch eine wichtige Rolle, haben aber an Dringlichkeit verloren. Der 31-Jährige ist um geregelte Tagesabläufe bemüht, nimmt Arzttermine verlässlich wahr, ist regelmäßiger Kirchgänger und engagiert sich in seiner Gemeinde vor Ort, übernimmt in den Abendstunden kleinere Arbeiten am Gebäude. In der Kirche habe er auch Vertrauenspersonen, Freunde gefunden. &bdquo;Die stehen mitten im Leben und arbeiten.“ Etwas, was er sich auch für sich wünschen würde. Nur über die Prophezeiungen wird nicht gesprochen. &bdquo;Ich beschäftige mich alleine damit, die anderen würden davon überfordert.“ Lukas F. hat auch Pläne. Ein Antrag für eine Art betreutes Wohnen ist gestellt, in der kommenden Woche stellt er sich bei der Lebenshilfe vor, dort könnte er einen Platz in der Werkstatt bekommen. Juristische Feinheit: keine Brandstiftung Maßregelvollzug, also Sicherungsverwahrung, ist ein juristisches Instrument, dass die Allgemeinheit vor einer Person schützen soll. Vor Lukas F. muss – wenn er seine Medikamente nimmt – aber niemand geschützt werden. Gutachter Dankwarth kann keinerlei Anzeichen für Aggressivität oder Gewaltbereitschaft bei dem jungen Mann entdecken. Dazu hat F. niemals vor dem 4. November 2023 Probleme mit dem Gesetz bekommen – und auch seit dem Herbstabend nicht wieder. Zu keiner Zeit bestand eine Gefahr für andere. Und das Vergehen, der zerstörte Turm, gilt juristisch auch nicht als schwere Straftat, nicht mal, nebenbei erwähnt, als Brandstiftung. Denn der Turm hat keine Außenwände. Die &bdquo;Anlassstraftat“ sei demzufolge, erläutert Richter Schülke, eine teilweise Zerstörung eines Bauwerks. Und so sind sich am Ende alle einig: Sicherungsverwahrung abgelehnt. &bdquo;Wir wünschen Ihnen sehr“, sagt Schülke abschließend, &bdquo;und hoffen, dass Sie ein strukturiertes Fundament für Ihr Leben schaffen.“

Meistgelesen